Was tun gegen die Wohnungsnot?

Hanns Graaf

Wer hätte noch vor einigen Jahren gedacht, dass in Deutschland einmal 100.000e Wohnungen fehlen würden – über 70 Jahre nach dem letzten Krieg und bei fast gleicher Bevölkerungszahl? Und doch ist die Situation in vielen Großstädten heute dramatisch. Es mangelt an Wohnungen, v.a. an billigen, die Mieten steigen und immer mehr Menschen können ihre Wohnung nicht mehr bezahlen oder finden keine bezahlbare. Die Schlangen bei einer Wohnungsbesichtigung etwa in Frankfurt/Main sind inzwischen länger als die vor einem DDR-Konsumladen in Frankfurt/Oder, wenn es Bananen gab.

Wie zugespitzt die Lage ist, zeigt auch die Initiative „Deutsche Wohnen enteignen!“ Sie richtet sich völlig richtig gegen die extreme Ausplünderung der MieterInnen durch die Deutsche Wohnen u.a. Immobilienkonzerne. Bei ihrer Forderung beruft sich die Initiative sogar auf das Grundgesetz, das eine Enteignung – allerdings mit Entschädigung – durchaus ermöglicht. Die Initiative verdient unbedingt Unterstützung! Allerdings ändert sie nichts am Hauptproblem, dem Wohnungsmangel. Dieser kann nur durch Wohnungsneubau behoben werden.

Kapitalismus und Wohnen

Auch die Immobilien- und Bauwirtschaft unterliegen den Mechanismen des Kapitalismus – allerdings gibt es Besonderheiten. So zählt das Wohnen zu den „Grundbedürfnissen“ des Menschen. Insofern gibt es einen direkten Zusammenhang von Bauen und Wohnen mit der Politik und kommunalen Strukturen. Die Ware Wohnung gilt als „soziales“ Gut. Daher sind Kommunal-Politiker stärker in der Verantwortung gegenüber der Bevölkerung, sich darum zu kümmern.

Die Miete unterscheidet sich von anderen Einkünften der Bourgeoisie. Während diese ihren Profit sonst v.a. aus der Ausbeutung von Lohnarbeit zieht, trifft das bei der Miete nicht zu. Diese besteht aus zwei Teilen. Einerseits ist sie eine Raten-Abzahlung realer Kosten wie Baukosten, Instandhaltung, Verwaltung, Kredite usw. Andererseits beinhaltet sie einen Grundrenten-Anteil, quasi einen „Aufschlag“, der erhoben wird, weil der Vermieter im Besitz der Immobilie ist und für deren Nutzung ein Entgelt verlangt, das für ihn sozusagen ein „leistungsunabhängiges“ Einkommen darstellt. Auch dieser Grundrenten-Anteil hängt vom Markt ab, u.a. davon, wie lukrativ die Lage ist, ob sie z.B. in der Innenstadt oder in einem Boomgebiet liegt. Zu den Wohnkosten gehören außerdem diverse „Nebenkosten“ für Energie, Müllentsorgung usw.

Der Sammelbegriff „Mieter“ darf nicht darüber hinweg täuschen, dass sie eine sozial heterogene Gruppe darstellen, zu der Lohnabhängige genauso gehören wie Kleinbürger, Mittelschichtler bis hin zur Bourgeoisie. Obwohl bestimmte Interessen für alle Mieter gleichermaßen gelten, wie z.B. das Bedürfnis, möglichst billig zu wohnen und einen möglichst hohen Wohnstandard zu haben, gibt es auch solche, die je nach Klassenlage stark differieren. So können „gutbürgerliche“ Mieter ein starkes Interesse haben, die „Unterschicht“ aus dem Kiez zu verdrängen oder infrastrukturelle Luxusprojekte zu befürworten, während die Lohnabhängigen v.a. niedrige Mieten wollen und ein ausreichendes Angebot an billigen Wohnungen.

Am weitesten werden die Interessen aber auseinander gehen, wenn es zu Konflikten um Mieten und Wohnen kommt. Dann brechen die zuvor oft unsichtbaren Interessengegensätze offen auf, insbesondere, wenn es zu Auseinandersetzungen zwischen BewohnerInnen und Vermietern bzw. dem Staat kommt. Sobald die Mieter-Bewegung weitergehende soziale oder gar antikapitalistische Forderungen aufstellt und zu militanten Aktionen übergeht, werden die oberen Schichten sich eher davon distanzieren oder sich offen dagegenstellen.

Der Kapitalismus kann die Versorgung mit gutem Wohnraum nicht gewährleisten. Könnte man noch auf die Idee kommen, dass in den hochentwickelten Ländern das Wohnproblem mitunter für den größten Teil der Bevölkerung im Wesentlichen gelöst werden kann, so wird das mit Blick auf die Welt insgesamt niemand behaupten. Immer noch hausen Milliarden Menschen unter Bedingungen, die nicht menschenwürdig genannt werden können: in Slums, oder in primitiven Hütten ohne sauberes Wasser, ohne Sanitäranlagen, ohne Stromanschluss und ausreichend Platz für alle BewohnerInnen.

In Deutschland hat sich die Wohnsituation nach 1945 deutlich verbessert, auch für das Proletariat. Doch es kann keine Rede davon sein, dass das Wohnungsproblem gelöst wäre – es sei denn, wir setzen das Qualitätslevel sehr niedrig an. Wenn man aber einen Maßstab anlegt, der wichtige Bedürfnisse berücksichtigt, stellt man schnell fest, dass ein großer Teil, vielleicht sogar die Mehrheit der Lohnabhängigen auch in Deutschland unter Bedingungen wohnt, die vielleicht „akzeptabel“, aber nicht gut sind. Immer noch ist es nicht selbstverständlich, dass jedes Kind ein eigenes Zimmer hat oder dass es ein Arbeitszimmer gibt, wo ein Mensch ungestört sein kann, ganz davon abgesehen, dass Jugendliche mit 18 Jahren eine eigene Wohnung haben können, wenn sie das möchten. Deutschland gehört zu jenen Ländern, wo der Anteil von Mietwohnungen sehr hoch ist und die Wohnkosten einen immer größeren Anteil an den Lebenshaltungskosten ausmachen.

Seit Jahren verschlechtert sich die Wohnsituation in vielen Großstädten. Dort fehlt es absolut an Wohnraum, v.a. an preiswerten Wohnungen. Eine Folge davon ist die vielbesprochene Gentrifizierung, d.h. die Verdrängung der ärmeren eingesessenen Bevölkerung durch betuchtere Schichten, so dass v.a. in den Innenstädten zunehmend entweder nur noch reichere Schichten leben oder aber Büros, Hotels, Banken, Firmenzentralen usw. zu finden sind und keine „normale“ Bevölkerung.

Profitgier?

Oft wird als Ursache dieser Wohnungsprobleme „das Kapital“ oder die Gier von Wohnungseigentümern und Spekulanten angeführt. Doch diese Auffassungen sind sehr verkürzt und missverstehen grundsätzliche Eigenschaften des Kapitalismus.

Zunächst einmal gibt es kein Interesse der Bourgeoisie als Gesamtklasse an hohen Mieten. Im Gegenteil: für das Kapital zählen die Wohnkosten zu den Gesamt-Reproduktionskosten der Lohnarbeit. Hohe Wohnkosten erhöhen diese tendenziell. Gerade im modernen Kapitalismus wird aber ist die Disponibilität der LohnarbeiterInnen immer wichtiger. Wenn z.B. ein Konzern neue Mitarbeiter, oft ausländische, an einem Standort braucht, so muss er diesen auch eine Wohnung bieten. Auch insofern gibt es kein Interesse „des Kapitals“ an Wohnraumknappheit oder Überteuerung.

Davon unterschieden werden müssen die Interessen besonderer Teile des Gesamtkapitals. So ist natürlich die Bauindustrie daran interessiert, möglichst viel zu bauen und zu sanieren. Die Eigentümer von Immobilien wollen, dass durch Knappheit die Miet- und Verkaufspreise steigen.

Es gab in Deutschland auch Phasen, in denen die Preise für Mieten und Wohnen unter der allgemeinen Inflationsrate lagen. Warum hat sich dieser Trend in den letzten Jahren komplett umgekehrt? Warum steigen seit Jahren die Wohnkosten immer weiter?

Ursachen der Misere

Die Bevölkerungszahl in Deutschland ist fast konstant, allerdings steigt die Zahl derer, die in Boomtowns wie Berlin leben, tw. erheblich an. Hier müssen unter „leben“ nicht nur jene Menschen verstanden werden, die offiziell dort leben, sondern auch Touristen, die tw. Wohnraum, der als Gästewohnung genutzt wird, bewohnen oder Studierende oder Menschen, die sich „illegal“ dort aufhalten. So schätzt man, dass sich in Berlin ständig über 100.000 Menschen „illegal“ aufhalten. Es ist klar, dass sich dadurch die Nachfrage nach Wohnraum und damit die Wohnpreise erhöhen.

Die Gründe für die aktuelle Misere sind vielfältig: mehr Single-Haushalte, mehr Studierende, mehr Touristen und viele Zuzüge sind v.a. in den Metropolen ein Problem. Diese Menschen suchen meist kleinere und billige Wohnungen. Das Wohnproblem rührt aber auch daher, dass die Einkommen vieler Menschen sinken oder stagnieren und sie sich darum die immer teureren Wohnkosten kaum mehr leisten können. Natürlich sind „willkürliche“ Mietsteigerungen und Luxussanierungen oft die Ursache für explodierende Mieten.
Auch der Verkauf von ca. einer Million kommunaler Wohnungen an private Gesellschaften in den letzten 15-20 Jahren führte zur Verteuerung und zur Verdrängung von ärmeren MieterInnen. An diesen zweifelhaften Versuchen, die leeren Stadtkassen auf Kosten der MieterInnen aufzufüllen, waren auch die Linkspartei, die SPD und die Grünen aktiv beteiligt. Aufgrund der Finanznot vieler Kommunen wurde der soziale Wohnungsbau dramatisch reduziert. Ab 2015 musste ca. eine Million Flüchtlinge mit Wohnraum versorgt werden. Dass zu wenig gebaut wird, liegt auch daran, dass die Baugenehmigungen viel zu lange dauern und dass es immer mehr Auflagen gibt, die das Bauen und Wohnen verteuern.

Die Baukosten steigen ständig, obwohl die Bautechnik sich verbessert und also die technisch bedingten Kosten sinken müssten. Dass dem nicht so ist, liegt z.T. daran, dass die Projektions- und Planungskosten in die Höhe schießen, u.a. weil sie nicht von den realen Aufwendungen abhängen, sondern prozentual vom Auftragsvolumen, in etwa so, wie es bei Notaren üblich ist. Eine andere Ursache ist, dass nicht billige und rationelle Typenbauten gebaut werden, sondern jedes Gebäude „individuell“ ist – obwohl fast alle Gebäude dann letztlich doch nur einfallslose Glas/Beton-Kästen sind.

Ein wichtiger Grund für höhere Kosten sind auch die Energievorschriften, die überdimensionierte oder unsinnige Dämmungen bzw. die Errichtung von Solaranlagen erzwingen. Sie sind ein Beispiel dafür, wie der Hype um die Klimakatastrophe letztlich nur dazu führt, dass die Massen zugunsten von kleinen und großen Profiteuren – den Dämmstoffherstellern, den Baufirmen, der Solarwirtschaft usw. – abkassiert werden. Ohne Zweifel existiert auf Bundesebene wie in den Kommunen ein Filz zwischen Gesetzgebung, Verwaltung, Abgeordneten, Planern, Gutachtern, Immobilienunternehmen und Bauindustrie, der Bauen und Stadtplanung im Interesse der Massen permanent unterminiert.

Der Mietspiegel

Ein Beispiel und zugleich ein wichtiger Grund dafür, dass die Mieten permanent steigen können, ist der Mietspiegel (MS). Er soll dafür sorgen, dass die Mieten nur moderat steigen. Doch der MS orientiert sich nicht an den realen, d.h. technisch bedingten Bau- oder Instandhaltungskosten, sondern an anderen Mieten, dem Neubau oder der Infrastruktur. Wenn etwa in einem Wohnviertel bessere Infrastruktur entsteht, ein Einkaufscenter oder ein U-Bahn, können die Mieten angehoben werden, obwohl das mit den Kosten eines Hauses gar nichts zu tun hat. Das ist gerade so, als wenn ein Auto deshalb teurer würde, weil die Straßen besser werden. Der MS ist ein Freibrief für permanente Mietsteigerungen. Auch der Aufschlag von Sanierungskosten auf die Miete gehört dazu. Eigenheimbesitzer (die meist mit Kredit bauen) wissen, dass sie vergleichsweise billiger wohnen als in einer Mietwohnung, obwohl es eigentlich andersherum sein müsste. Und: Wofür dient eigentlich die Miete für eine Wohnung in einem Haus, das 80 oder 100 Jahre alt ist, bei dem also die Baukosten längst abbezahlt sind?!

Die Mietpreisbremse

2015 wurde auf Initiative des damaligen Justizministers Heiko Maas (SPD) die „Mietpreisbremse“ (MPB) eingeführt, um den rasanten Anstieg der Mieten zu begrenzen – nicht etwa zu beenden. Die MPB sieht vor, dass in „angespannten Wohnungsmärkten“ die Mieten (nur für Neuvermietungen) höchstens 10% über dem örtlichen Vergleichswert liegen dürfen. So soll die Umlage von Modernisierungskosten auf die Miete erschwert werden. Statt wie bisher 11% dieser Kosten sollen es dann pro Jahr „nur“ noch 8% sein. Aktuell gilt die gesetzlich vorgeschriebene „Kappungsgrenze“, nach der ein Vermieter die Miete innerhalb von drei Jahren um nicht mehr als 20% erhöhen darf, auch wenn die ortsübliche Vergleichsmiete noch nicht erreicht ist. In knapp 400 Städten und Gemeinden darf die Miete sogar nur um 15% innerhalb von drei Jahren erhöht werden. Doch konkret heißt das, dass die Miete pro Jahr um 5-7% ansteigen darf – ein Wert, der weit über der Inflationsrate liegt.

Die Bremskraft der Maas´schen Reform geht gegen Null, ja die Mieten steigen rasanter als noch vor 4 Jahren. Die Ursache des Versagens der MPB liegt u.a. darin, dass 1. als Vergleichsbasis die „ortsübliche Miete“ dient, die ja ständig u.a. durch Neubauten steigt, 2. die Auflagen für die energetische Sanierung (Dämmung, „erneuerbare Energie“-Anlagen) zu Zusatzkosten führen, 3. sich die Schere zwischen Angebot und Nachfrage weiter öffnet und 4. die absurde Umlage von Sanierungskosten auf die Miete nach wie vor erlaubt ist.

Die Initiative von Maas scheitert also – wie letztlich alle Reformen – daran, dass die Grundlagen die Kapitalismus, die Marktkonkurrenz, das Privateigentum, die Enteignung der ProduzentInnen bzw. der BewohnerInnen nicht in Frage gestellt werden: weder das Kapitalverhältnis noch das private Grundeigentum werden attackiert.

Linke Lösungen

Die meisten Linken sehen in einer stärkeren Rolle des Staates bzw. der Kommunen eine Lösung für das Wohnungsproblem. So heißt es z.B. bei der Gruppe ArbeiterInnenmacht: „Der Staat soll selbst sozialen Wohnungsbau betreiben, nicht das private Wohnungskapital subventionieren. Das bedeutet nicht nur Kommunalisierung des Grund und Bodens, sondern Baubetrieb in Staatshand zwecks Neubau wie Altbausanierung (…)“
Der Haken an solchen Verstaatlichungsforderungen ist, dass letztlich die Kontrolle über das Bauen und die Wohnungsverwaltung in den Händen von Kapital und Bürokratie verbleibt und die MieterInnen in einer unterprivilegierten Randrolle mit stark eingeschränkten Kontrollrechten verbleiben. Das kann nur geändert werden, indem sie selbst zu EigentümerInnen von Wohnungen und Häusern werden und diese gemeinschaftlich oder genossenschaftlich verwalten. Obwohl es viele erfolgreiche Beispiele dafür gibt, tun linke Organisationen meist so, als ob das unmöglich wäre und verbreiten statt dessen die Illusion, dass mehr Staat bzw. mehr Kommune die Situation grundlegend verbessern würde, obwohl viele Wohn-Probleme auch Folge falscher kommunaler Entscheidungen und des Filzes aus Bürokratie und Kapital sind.

Die großen Mieterverbände sind fest in reformistisch-sozialdemokratischer Hand. Meist beschränkt sich ihre Aktivität auf eine Mischung von Lobbyismus und Beratung – ohne jeden Anspruch, die eigenen Mitglieder zu mobilisieren. Sie haben keine Perspektive zu bieten. Zudem ist die Mieterbewegung über lokale Strukturen nie hinausgekommen, eine bundesweite Bewegung oder Strukturen gibt es nicht. Es wäre also dringend nötig, die Ausrichtung und die Führungsstrukturen der Mieterverbände zu ändern.

Selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird über erfolgreiche Projekte berichtet, wo MieterInnen ihr Haus gekauft und saniert haben, es gemeinschaftlich verwalten und dabei finanziell und mental weit besser fahren als vorher.

Sicher ist das Genossenschaftswesen gerade im Wohnbereich eine Alternative zu Privatkapital und Bürokratie. Die Wohnungs-“Genossenschaften“ heute sind allerdings nicht das, was ihr Name besagt. Wirkliche Genossenschaften wären u.a. dadurch gekennzeichnet, dass sie demokratisch von den Mitgliedern kontrolliert werden. Davon kann allerdings meist keine Rede sein. Zudem sind oft die Kommunen, also der Staat, Mitglied oder alleiniger Anteilseigner einer Genossenschaft, was deren ursprünglicher Intention völlig widerspricht.
Dass die Linke bezüglich der Genossenschaften auf einem Auge blind ist, verweist nur auf deren programmatische Defizite und zeigt, dass sie die wichtige Frage der proletarischen Selbstorganisation für die Bewusstseinsentwicklung und den Klassenkampf nur unzureichend versteht.

Oft wird demagogisch behauptet, es gebe „keine sozialistischen Inseln im Kapitalismus“. Doch es geht bei den genossenschaftlichen Strukturen nicht um Sozialismus, sondern „nur“ darum, sich selbst als Eigentümer, als soziale Subjekte zu organisieren – so weit wie möglich gegen und ohne Staat und Kapital. Gerade der Wohnsektor zeigt auch, dass die Genossenschaften keineswegs in Konkurrenz zueinander stehen müssen, sondern sehr gut kooperieren können.

Manche linke Gruppen, wie etwa die Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM), schlagen richtigerweise auch „öffentlich nützliche Wohnungsbau- und Sanierungsmaßnahmen vor zu Tariflöhnen und bezahlt aus Unternehmerprofiten vor. Der Staat soll selbst sozialen Wohnungsbau betreiben, nicht das private Wohnungskapital subventionieren.“ Doch auch hier bleibt der Staat das handelnde Subjekt. Richtig wäre es hier zu fordern, dass diese Maßnahmen von genossenschaftlichen Strukturen durchgeführt werden, die (teilweise) vom Staat mitfinanziert werden. Wenn die GAM weiter fordert, dass der Staat selbst sozialen Wohnungsbau betreiben soll, anstatt das private Wohnungskapital zu subventionieren, so ist das zwar gut gemeint, überlässt die Entscheidungsgewalt aber wieder dem Staat und blockiert weitgehend die aktive und selbstständige Rolle der Massen.

„Das“, fährt die GAM fort, „bedeutet nicht nur Kommunalisierung des Grund und Bodens, sondern Baubetrieb in Staatshand zwecks Neubau wie Altbausanierung, bezahlt aus dem beschlagnahmten Vermögen des entschädigungslos enteigneten Wohnungs- und Baukapitals bzw. einer progressiven Steuer auf alle Unternehmensprofite. Auch macht die enge Verknüpfung des Wohnungskapitals mit dem Finanzkapital es nötig, ebenso bei den Finanzierungsgesellschaften entschädigungslose Enteignungen durchzuführen.“ Das ist sicher richtig, doch dann folgert die GAM ganz willkürlich: „Erst auf dieser Grundlage kann eine echte Selbstverwaltung bzw. Mitsprache der MieterInnen stattfinden, begleitet von ArbeiterInnenkontrolle über das Wohnungsbauwesen.“ Die Widersprüchlichkeit und Halbheit dieser Ansichten kommt schon in der Formulierung „Selbstverwaltung bzw. Mitsprache“ zum Ausdruck. Die Proletarier dürfen auch ein wenig mitreden – doch Mitreden ist eben keine Selbstverwaltung! Subjekte des Handelns bleiben hier Staat und Kapital, die Arbeiterklasse bleibt wesentlich nur Objekt.

Die GAM u.a. „marxistische“ Organisationen würden den Genossenschaftsgedanken als utopisch abtun, doch ihre (richtige) Forderung nach Beschlagnahmung der „Vermögen des entschädigungslos enteigneten Wohnungs- und Baukapitals bzw. einer progressiven Steuer auf alle Unternehmensprofite“ sind nicht mehr oder weniger „utopisch“ bzw. nur als Ergebnis forcierten Klassenkampfes vorstellbar. Wirklich utopisch ist hier nur die Annahme der GAM, dass die Arbeiterklasse einmal die Macht ergreifen könne und wolle, ohne über praktische Erfahrungen in proletarischer Selbstverwaltung zu verfügen. Dahinter steckt nur der alte Glaube an den großen revolutionären Knall, bei dem das Proletariat wie der Phönix aus der Asche zur Macht steigt. Doch auch ein Phönix muss zuvor das Fliegen gelernt haben!

Programmatische Antworten

Für den Marxismus steht immer die Eigentumsfrage im Mittelpunkt. Wem gehören die Immobilien? Wer bestimmt über deren Gebrauch, wer legt die Gesetze fest? Eine Wohnungspolitik, die diesen Fragen aus dem Weg geht, muss scheitern oder bleibt in jeder Hinsicht stark beschränkt.

Die „Wohnungspolitik“ richtet sich immer nur gegen besonders krasse „Auswüchse“, nicht gegen die Grundstrukturen und das Privateigentum. Der „soziale“ Wohnungsbau beschränkt sich meist auf Subventionierungen.

Allein schon die weitgehende Unwirksamkeit gesetzlicher Vorgaben verweist darauf, dass nur die Organisierung und Mobilisierung der MieterInnen und deren politischer Druck wirkliche Verbesserungen bringen kann. Das ist auch die Position der meisten Linken. Doch schon die Frage der Einbeziehung der Arbeiterbewegung, v.a. der Gewerkschaften, in die Mieterbewegung wird von vielen Linken nicht verstanden.

Der Kampf für bessere Wohnbedingungen, gegen Mietwucher und Gentrifizierung ist objektiv Teil des allgemeinen Kampfes gegen die Auswirkungen des Kapitalismus und für einen andere, sozialistische Gesellschaft. Wie jeder Klassenkampf darf er nicht nur an seinen unmittelbaren Ergebnissen gemessen werden, die immer nur zeitweilige Kompromisse darstellen, sondern v.a. daran, ob sie das Bewusstsein und die Organisiertheit des Proletariats erhöhen.

Obwohl „die Mieter“ in Deutschland etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, haben sie allein oft nicht die Kraft, ihre Forderungen durchzusetzen, weil sie selbst mit militanten Aktionen wie Mietboykott, Besetzungen, Blockaden oder der Verhinderung von Zwangsräumungen nicht so viel ökonomischen Druck erzeugen können wie etwa Streiks im Produktionsbereich, welche die Profitproduktion an entscheidender Stelle unterbrechen können.

Daher ist es notwendig und – weil die große Mehrzahl der MieterInnen Lohnabhängige sind – auch real möglich, die Mieterbewegung mit der Arbeiterbewegung und der Linken, ihren Kämpfen und sozialen Protesten zu verbinden. Dazu ist es aber auch notwendig, die politische und strukturelle Vorherrschaft des Reformismus über die Arbeiterbewegung und ihre Organisationen (SPD, Linke, DGB u.a.) zu bekämpfen. Ansonsten ist es schwer oder unmöglich, eine effektive Kooperation im Kampf zu erreichen, weil der Reformismus eine Doktrin ist, die jeden Kampf und jede Struktur bürokratisch beherrschen und die direkte demokratische Kontrolle der Basis einschränken will, und weil er die Kämpfe und Bewegungen auf den Rahmen des Kapitalismus und die geringen Spielräume „der Demokratie“ begrenzt, sie bremst oder auf symbolische Akte beschränkt.

Zum Kampf gegen den Reformismus wie zur Einbindung der großen proletarischen Organisationen, v.a. der Gewerkschaften, ist es notwendig, Forderungen an deren Führungen zu stellen, sie zum Kampf, zu konkreten Aktionen und zur Unterstützung der Mieterbewegung aufzurufen. Im besten Fall werden so die Möglichkeiten der Mieterbewegung größer, im schlechtesten Fall wird der Basis immerhin bewusster, wie untauglich die reformistischen Führungen und Konzepte sind.

Die Mieterbewegung kann nur schlagkräftig werden, wenn sie neben ihren Verankerungen im Kiez auch überregionale Strukturen schafft und bundesweite und international verbundene Aktionen startet. Die Verhinderung von Zwangsräumungen, Mietboykotte, die Besetzung leerstehender Häuser sowie Straßenblockaden, Demos, Kongresse usw. sind geeignete Mittel, um eine breite Bewegung aufzubauen und mediale Aufmerksamkeit zu erreichen. Diese Maßnahmen sollten möglichst mit breiteren Mobilisierungen verbunden und nicht nur Stellvertreter-Aktionen sein, die vom Staat relativ leicht unterbunden werden können. Diese Aktionsformen führen aber nur dann auch zu einer Stärkung der Bewegung, wenn sie damit verbunden sind, neuen Kräften konkrete Strukturen und Aktionen zum Mitmachen anzubieten und wenn es eine politische Perspektive und eine Aktionsplanung gibt.

Auch für eine erfolgreiche Mieterbewegung sind effektive Strukturen im Sinne von Einheitsfrontstrukturen nötig. Gelegentliche Aktionen und punktuelle, zeitlich begrenzte Koordinierungen reichen nicht. Erste Schritte dazu sind Mieterversammlungen und die Schaffung von Verbindungen im Haus, im Wohnblock und im Viertel, aus denen dann Mieterkomitees als regelmäßig arbeitende Strukturen entstehen sollten, die eine Koordinierung/Führung/SprecherInnen wählen, die rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar sind. Diese Bündnisse müssen für alle linken und proletarischen Organisationen offen sein. Die Propagandafreiheit muss gewährleistet, faule Propagandablöcke aber müssen abgelehnt werden. Die Komitees sollen v.a. der Aktion dienen.

Als grundlegende Forderungen schlagen wir vor:

  • Offenlegung der Geschäftsunterlagen aller Wohnungsunternehmen, Vermieter, Investoren und Baufirmen für Mieter- bzw. Arbeiterkontroll-Komitees!
  • Festlegung von Mietobergrenzen und Ersetzung der Mietspiegel durch Entscheidungen dieser Kontrollkomitees der MieterInnen und der Gewerkschaften!
  • Entschädigungslose Enteignung aller Vermieter, die bewusst Häuser zu Spekulationszwecken „entmieten“ oder Wuchermieten kassieren!
  • Entschädigungslose Rekommunalisierung bzw. möglichst Vergenossenschaftlichung aller privatisierten Wohnungen und kommunalen Wohnungsgesellschaften!
  • Ausbau des kommunalen sozialen Wohnungsbaus – finanziert aus der progressiven Besteuerung von Reichtum und Kapital, darunter v.a. der Immobilienkonzerne!
  • Keine Modernisierung, kein Umbau oder Sanierung ohne mehrheitliche Zustimmung der MieterInnen!

2 Gedanken zu „Was tun gegen die Wohnungsnot?“

  1. Der Autor war in den letzten Jahren mehrfach bei Mieter- u.a. sozialen Protesten aktiv beteiligt und kennt daher die Probleme des Widerstands gut.

    Die Position der GAM bei solchen Konflikten ist immer, die „Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle“ zu fordern. Inwieweit sei damit die AöR meint, ist unklar. Gegenüber dem jetzigen Zustand wäre eine AöR sicher ein Fortschritt. Doch auch dabei blieben die NutzerInnen weitgehend in einer Objekt-Rolle. Zum Subjekt ihrer (Wohn)verhältnisse können sie nur werden, wenn sie Eigentümer sind. D.h. dass sie ein juristisches Eigentumsrecht und auch die reale Verfügung darüber haben. Das wären dann selbstverwaltete oder Genossenschaftsstrukturen – kein individuelles Privateigentum. Nur dann ist es möglich, weitgehend den Zugriff von Kapital und Bürokratie auszuschalten. Diese Strukturen müssten überregional (und sogar international) vernetzt sein. Sie müssten von der Arbeiterbewegung (Linke, Gewerkschaften usw.) durchgesetzt und verteidigt werden.

    Gerade das hat die Arbeiterbewegung und die Linke seit Jahrzehnten nicht getan – und trägt somit eine Mitverantwortung dafür, dass das Wohnen immer mehr zum Spielball von Kapital und Staat wurde.

    Es gibt viele historische und aktuelle Beispiele dafür, dass selbstverwaltetes Wohnen gut funktionieren kann und ein angenehmeres und rationelleres Leben ermöglicht. Diese Selbstverwaltung ist nicht nur eine Keimform des Kommunismus, sie ist auch jene Form von „Sein“, die notwendig ist, um ein kollektives widerständisches Leben und Bewusstsein zu „erzeugen“, auf dem auch eine Revolution einmal aufbauen kann. Das Negativum dazu ist die stalinistische Verstaatlichung des Wohnungswesens.

  2. Schöner Artikel. Habe aber eine Kritik:
    Mit „Mitbestimmung“ bezieht sich die Gruppe Arbeitermacht ja eventuell auch auf das Modell für die zu schaffende Anstalt öffentlichen Rechts des Volksentscheids „Deutsche Wohnen und Co Enteignen“:
    https://www.dwenteignen.de/2018/10/25/volksentscheid-vorl%C3%A4ufiger-beschlusstext/
    “ – 5 Vertreter*innen der Mieter*innen, gewählt von den Bewohner*innen
    – 4 Vertreter*innen der Beschäftigten der AöR
    – 4 Vertreter*innen der Stadtgesellschaft, gewählt von allen in Berlin gemeldeten Bewohner*innen gleich welcher Staatsangehörigkeit.
    – 1 Vertreter*in der Senatsverwaltung für Finanzen
    – 1 Vertreter*in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen“
    Das unter „Mieter bleiben Objekt“ abzutun, wäre ja zumindest daraufbezogen eine etwas flache Kritik. Sicher ist es so, dass Repräsentation oft zu Bürokratie gerät und du hast Recht: um das zu verhindern, braucht es eine lebendige demokratische Struktur bis in die einzelnen Häuser, Blöcke, Viertel hinein, welche die repräsentativen Vertreter*innen effektiv bindet. Nun schlägt das nicht so Welle, dass die Kanzlerin es kommentiert und ist unglaublich viel Arbeit im Klein-Klein: Aber die Initiativenbildung die in diese Struktur hineinwachsen könnte ist Teil der Kampagne. Ja: Es braucht noch viel mehr Linke die sich auf dieser Ebene engagieren, mithelfen die oft erste politische Organisationserfahrung der Leute zu einem Erfolg werden zu lassen. Das Problem ist: Linke schreiben gern Texte, philosophieren, analysieren, fühlen sich wohler in klar aufgestellten Fronten, drehen gerne am ganz großen Rad. Das ist was ganz anderes als als Teil einer großen Organizing-Welle in nur einem Block/Viertel beim Organisationsaufbau zu unterstützen und sich in jahrelanger mühsamer Diskussion mit Mieter*innen, denen die politischen Ursachen ihrer individuellen Misere meist unglaublich weit weg erscheinen, wo man auch öfter mit Rassismus und anderem zu tun hat, das einem gar nicht passt, auf kollektive Ziele zu einigen. Ich will das nicht unterstellen, hab aber schlechte Erfahrungen, deswegen an dieser Stelle: Ich hoffe der Autor oder das „wir“ aus diesem Text(?), hat auch selbst schon Basis-Arbeit gemacht und sieht sich nicht nur als Vordenker für jene die das dann ausführen sollen. Wenn du keinen Ansatzpunkt im eigenen Umfeld hast, böte sich zum Beispiel die (Initiativen-) Start-Hilfe-AG der Enteignen-Kampagne an um sich in die Arbeit zu stürzen.

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