Paul Pfund
Die aktuellen Zuspitzungen am Wohnungsmarkt – fehlender Wohnraum in den Boomtowns, steigende Mieten und die MieterInnen-Proteste – sind für uns Anlass, auch einen Blick auf die historischen Erfahrungen der Arbeiterbewegung in der Wohnungsfrage zu werfen.
Nach dem 1. Weltkrieg herrschte in Deutschland große Wohnungsnot. Diese rührte aber nicht wie nach dem 2. Weltkrieg daher, dass die Städte zerstört waren, sondern daher, dass viele Flüchtlinge aus den Gebieten, die Deutschland abtreten musste, eine neue Bleibe suchten. Dadurch verschärfte sich die ohnehin schon schlechte Wohnsituation des Proletariats noch mehr. 1918 gab es knapp 14 Mill. Wohnungen und einen Fehlbestand von etwa einer Million. Dieser Fehlbestandszahl liegt allerdings die Annahme zugrunde, dass die oft erbärmlichen Wohnbedingungen des Proletariats so bleiben würden, wie sie waren, ansonsten läge die Zahl deutlich höher.
Trotzdem gab es in der Weimarer Republik, als meist die SPD im Reich oder in den Kommunen (mit)regierte, kaum Wohnungsneubau. Das hatte mehrere Ursachen: die hohen Reparationen an die Siegermächte, die schwache Massenkaufkraft und den Mangel an Baustoffen, der hohe Baustoffpreise zur Folge hatte. Das Baukapital orientiert sich daher eher auf Wirtschafts- denn auf Wohnungsbau.
Der Krieg hatte zur sog. „Wohnungszwangswirtschaft“ geführt. Diese bestand u.a. darin, die Mietpreise zu deckeln, um zu verhindern, dass Familien oder Witwen von Soldaten ihre Wohnung verlieren bzw. bei der Wohnungssuche abgezockt werden. Keine Regierung der Weimarer Republik hatte gewagt, diese Regelung zu kippen. Ebenso wurde am staatlichen Wohnungsbauzuschuss festgehalten. Trotzdem gelang es den Banken, Grundeigentümern, Vermietern und der Bauwirtschaft oft, diese Regelungen zu umgehen und ihre Profite zu steigern. So erhöhten z.B. die Banken die Zinsen für das Baugeld. Der Bauhausarchitekt Bruno Taut beklagte sich darüber, dass eine Wohnung 1930 im Schnitt 50% höhere Mieteinnahmen zur Kostendeckung erbringen musste als noch 1927, d.h. die Schere zwischen Baukosten und Kaufkraft klaffte immer weiter auseinander.
Die Politik von SPD und KPD
In vielen Kommunen, insbesondere in den Städten, stellten SPD und KPD (bzw. die USPD und die KPD/O) Abgeordnete oder verfügten sogar über eine Mehrheit im Stadtparlament. Ihren Delegierten, die damals noch sehr viel enger mit der proletarischen Basis verbunden waren als heute, war es ein wichtiges Anliegen, etwas gegen die Wohnungsmisere der Arbeiterklasse zu tun. In vielen Kommunen, wo KPD, SPD und liberale Kräfte stark waren, gab es Bemühungen, die Wohnsituation zu verbessern. In Stuttgart etwa wurden bis Ende 1919 über 1.000 kleine und billige Wohnungen gebaut, in Leipzig waren es bis 1926 über 4.000, was 50% des gesamten Wohnungsbaus der Stadt ausmachte.
In Fragen des Wohnungsbaus und der Milderung der Wohnungsnot war die KPD stärker engagiert als die SPD. Beide setzten sich v.a. für die Stärkung des kommunalen Einflusses und die Schaffung kommunaler Baubetriebe ein. Kurt Junghanns schreibt dazu in seinem Beitrag „KPD und SPD: Zwei Linien der Wohnungspolitik in den zwanziger Jahren“: „Die von der SPD dominierten Gewerkschaften nahmen deren Orientierung auf und gründeten seit 1919 Bauhütten, zuerst als Genossenschaften für die Bauausführung, später in Form von Aktiengesellschaften ohne Gewinn. 1921 gab es bereits über 100 Bauhütten, 1922 schon 207. 1920 schufen sie mit dem „Verband sozialer Baubetriebe“ eine Dachorganisation. Man glaubte, mit den Bauhütten die kapitalistischen Baubetriebe verdrängen und so Schritt für Schritt zu einem sozialistischen Wohnungssektor zu kommen.“ (http://www.trend.infopartisan.net/trd0314/t130314.html)
Weiter heißt es dort: „Zunächst hatte diese sozialdemokratische Politik durchaus Erfolg. Viele der heute noch geschätzten Wohnanlagen der 1920er gehen auf die Bauhütten zurück. Sie leisteten einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen die Wohnungsnot, aber auch zur Artikulierung der Wohnbedürfnisse in der Arbeiterschaft. Darüber hinaus förderten sie allgemein den Fortschritt im Wohnungs- und Städtebau. Die Tätigkeit in den Bauhütten und Arbeiterbauvereinen hat den Erfahrungsschatz der Arbeiterklasse bereichert und ihre Fähigkeit, die Produktion zu organisieren und zu leiten, gefördert.“
Die Bauhütten repräsentierten aber nur einen Anteil von 2-3% des Gesamtumsatzes der Bauwirtschaft. Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 begann dann der Niedergang der Bauhütten. Das lag zum einen am Einbruch der Miteinnahmen bzw. der Nachfrage nach Wohnraum durch die Massenarbeitslosigkeit, zum anderen war daran ab 1930 die Senkung bzw. ab 1932 die Abschaffung der niedrig verzinsten staatlichen Wohnungsbaukredite verantwortlich. Diese doppelte finanzielle Misere untergrub die Existenz der Bauhütten. Allerdings waren von der Krise auch alle anderen Wirtschaftsbereiche, auch die Baubranche, stark betroffen.
Bereits vorher litten die Siedlungen der Bauhütten aber an einem zentralen Mangel: es wohnten dort nur ärmere MieterInnen, reichere Leute wollten nicht in die „Proletenkieze“. So konnten bestimmte Infrastrukturbauten oft nicht realisiert werden, weil dafür die Mittel fehlten bzw. die Miteinnahmen nur die Baukosten und den Substanzerhalt sichern konnten, jedoch zu wenig Überschüsse für den Infrastrukturausbau übrigblieben. Das wurde noch dadurch verstärkt, dass die staatliche Wohnungsbauförderung nur für Wohnbauten galt, nicht jedoch für Läden, Kneipen oder Kindergärten.
Auch die KPD der Weimarer Zeit stand der Kommunalisierung und den Bauhütten positiv gegenüber, sie verfügte dort aber über weniger Einfluss als die größere SPD und die mit ihr verbundenen Gewerkschaften. Besonderen Wert legte die KPD – im Unterschied zur SPD – auf die Mieterausschüsse. Im Entwurf zu einem wohnungspolitischen Programm der KPD von 1922 heißt es dazu: „Die Verwaltung aller erstellten Neubauten obliegt den Mieterausschüssen (Mieterräten)“ sowie „Für die Mieteinigungsämter ist insbesondere zu fordern: Wahl der Beisitzer durch die Mieterorganisationen; Verbot der Veränderung jeglicher Miet- oder Pachtverhältnisse zuungunsten der Mieter oder Pächter ohne Genehmigung des Mieteinigungsamtes; Verbot jeglicher Räumungsvollstreckung ohne Genehmigung des Mieteinigungsamtes und ohne ausreichende Bereitstellung anderer Unterkunftsmöglichkeiten.“ und „Die kommunistischen Beisitzer der Mieteinigungsämter haben stets die Interessen der unter der allgemeinen Wohnungsnot und unter den Verhältnissen des besonderen Streitfalles am meisten Leidenden wahrzunehmen, nach Maßgabe des kommunistischen Siedlungs-, Bau- und Wohnungsprogrammes stets den Schwachen gegen den Kapitalkräftigen zu schützen.“ (das gesamte Programm hier)
Bezeichnend für die Politik der KPD – wie auch der Komintern – damals ist aber, dass es keine Orientierung auf Genossenschaften für den Wohnungsbau bzw. die Wohnraumnutzung gab. In der Komintern-Politik spiegelte sich somit die ignorante, ja ablehnende Haltung der Bolschewiki gegenüber genossenschaftlichen und Selbstverwaltungsstrukturen wider. Hier fielen die „Kommunisten“ konzeptionell tw. noch hinter die SPD zurück. Die Bauhütten waren zwar selten Genossenschaften im strengen Sinn, sondern eher kommunale Strukturen, doch es gab dort immerhin einen starken Einfluss der Arbeiterschaft in Gestalt ihrer Abgeordneten bzw. Gewerkschaftsvertreter.
Die Mieterausschüsse der KPD waren v.a. dazu gedacht, Kontrollfunktionen wahrzunehmen und politischen Druck auf die kommunalen Gremien auszuüben. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden, doch letztlich lag die Entscheidungs- und Verfügungsmacht über Bauen und Wohnen bei diesem Modell nicht bei den ArbeiterInnen bzw. MieterInnen, sondern immer noch beim Privatkapital oder/und dem Staat (der Kommune). Eine korrekte proletarische Wohnungspolitik hingegen hätte den politischen Kampf gegen Mietwucher und für bessere gesetzliche Regelungen usw. mit dem Aufbau von selbstverwaltetem gemeinschaftlichem Wohneigentum koppeln müssen.
Argumente
Der Niedergang der Bauhütten im Zuge von Krise und Inflation wird von Linken oft als Argument dafür angeführt, dass Bauunternehmen und Wohnungen in „Arbeiterhand“ nicht funktionieren würden. Doch diese Argumente überzeugen nicht, denn 1. waren die Bauhütten oft keine „wirklichen“ Genossenschaften, sondern Kommunalunternehmen unter starkem Einfluss der Partei, v.a. der SPD. Das ist ein Unterschied. 2. haben die Bauhütten ohne Frage einen positiven Effekt für die Wohnsituation von ProletarierInnen gehabt. 3. fehlte es an einem energischen politischen und Klassenkampf, v.a. der SPD und der Gewerkschaften, gegen die private Bau- und Immobilienwirtschaft und für bessere gesetzliche Rahmenbedingungen für Bauen und Wohnen. Immerhin haben die Bauhütten aber die Wohnsituation von vielen Zehntausenden ProletarierInnen verbessert – und das in der kurzen Zeit von nur etwa 5 Jahren und unter komplizierten Bedingungen. Mit der Machtergreifung der Nazis wurden die Bauhütten u.a. „alternative“ Strukturen enteignet und der Deutschen Arbeitsfront (DAF) eingegliedert.
An der Geschichte der Bauhütten wird aber vorstellbar, was möglich wäre, wenn die Arbeiterbewegung sich noch stärker dafür engagieren würde und wenn ihre soziale Lage besser ist als in der Weimarer Republik. Ohne Frage wäre ein wesentlich größeres und erfolgreicheres „proletarisches“ Wohnungs- und Bauwesen möglich. Das es nach 1945, als es eine zweite Chance gab, nicht dazu kam, liegt nicht an objektiven Gründen, sondern nur daran, dass die Reformisten in SPD und DGB das nicht wollten bzw. Ansätze dazu ruinierten.
Wir verweisen hier auch auf Lassalles Idee der Arbeitergenossenschaften mit Staatshilfe. Letztere – nicht die Idee der Genossenschaften an sich (!) – wurde ja bekanntlich von Marx in seinen „Randglossen zum Gothaer Programm“ 1875 kritisiert. Doch die Wohnungsbauförderung der Weimarer Republik (wie auch heute der „soziale Wohnungsbau“ oder das Wohngeld) sind konkrete Beispiele dafür, dass eine solche Staats-Unterstützung nicht nur eine hohle Phrase ist. Wie diese konkret aussieht, hängt u.a. davon ab, welchen Druck die Arbeiterbewegung dafür aufbaut. Im Unterschied zur Politik von KPD und SPD hätten RevolutionärInnen für genossenschaftliche und Selbstverwaltungsstrukturen gekämpft – und für die deren Co-Finanzierung durch den Staat.
Nach 1945 wurden zur Bekämpfung der Wohnungsnot in vielen Städte, v.a. in Kommunen mit SPD-Regierung, kommunale Wohnungs(bau)gesellschaften gegründet. Doch auch diese waren wieder keine „echten“ Genossenschaften, sondern Kommunalunternehmen. Was das bedeuten kann, zeigte sich vor einigen Jahren, als viele Kommunen unter dem Druck hoher Schulden, ihr Wohneigentum an private Investoren verscherbelten. Nun wollen sie angesichts des Mangels an Wohnungen und der explodierenden Mieten, die Wohnungen wieder zurückkaufen – eventuell für ein Vielfaches des damaligen Verkaufspreises. So richtig die Enteignungsforderung ist, so falsch wäre es jedoch, Immobilienkonzernen wie Deutsche Wohnen oder Vonovia Milliarden in den Rachen zu werfen. Dann ist es tatsächlich besser, mit diesem Geld neue Wohnungen zu bauen. Deshalb kann es nur um eine entschädigungslose Enteignung gehen.
Die „Neue Heimat“
Als die größte Wohnungsnot in der Nachkriegs-BRD überwunden war, ließ das Engagement der SPD und der Gewerkschaften hinsichtlich eines „genossenschaftlich-kommunalen“ Wohnungs- und Bausektors immer mehr nach. Deren Ausbau und die Zurückdrängung des privaten Bau- und Immobiliensektors standen nicht mehr auf der Agenda. Allerdings entstand mit dem Unternehmen „Neue Heimat“ (NH), das zu 100% dem DGB gehörte, Europas größter Immobilienkonzern mit 400.000 Wohnungen und Umsätzen von 6,4 Milliarden D-Mark. Das „Startkapital“ der NH war dabei das Vermögen der Bauhütten, die von den Nazi enteignet und nach 1945 von den Alliierten den Gewerkschaften zurückerstattet worden war.
1982 erschien im Spiegel ein Bericht über die persönliche Bereicherung von NH-Funktionären, Misswirtschaft und einen riesigen Schuldenberg. Obwohl der Großkonzern NH dem DGB gehörte, kümmerte sich dieser – genauer deren reformistische Spitzen – offenbar nicht um den Zustand ihres Milliarden schweren Kindes und erfuhren erst durch die bürgerliche Presse, wie schlecht es ihm geht. Analysen offenbarten dann, dass NH durchaus wirtschaftlich hätte bestehen können, doch Missmanagement, mangelnde Kontrolle, persönliche Bereicherung und nicht notwendige Risiko-Investitionen im Ausland zu einer schweren Schieflage des Unternehmens geführt hatten. Schließlich wurde NH für eine symbolische Mark verkauft.
Der „Neue Heimat“-Skandal verweist auf zwei zentrale Fragen: 1. ist es offenbar möglich, dass die Arbeiterbewegung bzw. das Proletariat eigene Unternehmen von tw. beträchtlicher Größe schaffen kann. 2. zeigt sich aber auch, dass der Reformismus, d.h. das Fehlen von direkter Arbeiterkontrolle, solche Projekte letztlich nur in den Abgrund führt und ein effizientes verhindert.
Einige Schlussfolgerungen
Die aktuelle Wohnungsmisere ist sowohl Ergebnis des Profitstrebens der Immobilienunternehmen wie der falschen und kurzsichtigen Politik der Kommunen, v.a. der in den Großstädten meist regierenden SPD (tw. in Partnerschaft mit der LINKEN), aber auch der Bundespolitik, die stets die Rahmenbedingungen so gestaltet, dass die Ausplünderung der MieterInnen und kleinen Häuslebauer durch das Immobilien- und Bankkapital gesichert ist.
Nur Wohnungen bzw. Wohnanlagen, die ihren BewohnerInnen bzw. deren Kooperationen gehören und von ihnen direkt verwaltet werden, bieten eine gewisse Garantie dafür, dass Wohnungen ein „soziales Gut“ sind und kein Spekulationsobjekt. Wirkliche Erfolge in der Wohnungspolitik sind für das Proletariat kaum möglich, wenn die Bereiche Wohnungspolitik und Wohneigentum getrennt bleiben, wie es in der Vergangenheit meist der Fall war. Der Kampf gegen Immobilien-Spekulanten, für Mieterschutz, soziale Leistungen usw. muss damit gekoppelt werden, dass selbstverwaltete Wohn- und Bauprojekte geschaffen werden. Diese sind nicht nur „ökonomische“ Lösungen, sondern Strukturen, in denen Leben wenigstens tendenziell unabhängig von und gegen Kapital und Staat möglich ist. Es sind Labore einer anderen, über den Kapitalismus hinausweisenden Gesellschaft. Doch diese Strukturen können nur geschaffen, verteidigt und ausgebaut werden, wenn sie Teil des Klassenkampfes sind. Dieser ist aber (nicht nur hinsichtlich der Wohnungspolitik) weitestgehend vom Reformismus (SPD, DGB, Linkspartei, tw. Grüne) geprägt. Diese wollen aber nicht nur die grundlegenden Strukturen des Immobiliensektors – das Wechselspiel von Privatkapital und Staat (Kommune) – beibehalten, sie haben zugleich auch kaum Interesse daran, sich für genossenschaftliche und selbstverwaltete Strukturen einzusetzen.
Die radikale Linke wiederum teilt sich in verschiedene, sich überlappende Milieus: ein autonomer Teil setzt auf mehr oder weniger illegale Hausbesetzungen, die niemals als Strategie taugen und regelmäßig in einem Kleinkrieg mit der staatlichen Repression enden. Andere Teile treten v.a. für eine linkere Variante sozialdemokratischer Wohnungspolitik ein. Wieder andere setzen v.a. auf die Selbstorganisation und den Widerstand der Betroffenen, übersehen aber, dass auch bei dieser Strategie die rechtliche und faktische Verfügungsgewalt im Immobilienbereich weiterhin Kapital und Staat obliegen, d.h. dass die BewohnerInnen weiter enteignet bleiben. Zwar ist für diese „MarxistInnen“ die Eigentumsfrage an sich, „abstrakt“ die zentrale Frage – nur „konkret“ hier eben nicht. So lange in der linken Wohnungspolitik eine wirklich marxistisch-revolutionäre, auf die Verbindung von politischem Kampf und die Schaffung von Selbstverwaltungsstrukturen gerichtete Strategie nicht beheimatet ist, so lange wird der Kampf gegen die Wohnungsnot ein perspektivloser Dauerlauf im Hamsterrad bleiben.