Ostdeutsches Heldenlied

Hanns Graaf

Ach, Leipzig, deine Messen sind gesungen.
Oktober Neunundachtzig lange her.
Die Freiheitschöre sind dir längst verklungen.
Die Heldenstadt ist wieder heldenleer.

Das Land gedreht, gewendet durch die Mängel.
Das Fass ist voll und die Fassade bricht.
Das brave Volk entpuppt sich als ein Bengel,
Hört auf Stiefvater Staat nun länger nicht.

Für Montag steht Revolte im Kalender.
Wie´s Morschgebälke unterm Thron schon kracht!
Der Kaiser ist ja nackt, der alte Blender!
Sein Kronprinz, der blöd grinst, wird ausgelacht.

Erst lauft ihr Sturm und dann nur noch im Kreise,
Kriecht denen auf den Leim zum Runden Tisch.
Die Führer führn euch an in jeder Weise.
Ihr Braten ist nicht Fleisch und auch nicht Fisch.

Die Weltenwender vorm Gewandhaus warten,
Bis die Eroica hat ausgespielt.
Der Aufruhr hofft noch auf die Eintrittskarten,
Verläuft sich bald und hat sich wohl verkühlt.

Ach, Leipzig, hattest dich nur halb gewandelt.
Warst leider satt schon vor dem Hauptgericht.
Was hast du Handelsstadt dir eingehandelt!
Was kam, das Neue, war so neu doch nicht.

Ach Leipzig, deine Messen sind verklungen.
Oktober Neunundachtzig lange her.
Heut wird nur ein Lamento noch gesungen.
Die Heldenstadt ist wieder heldenleer.

1990

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert