Querdenker über Querdenker

Hanns Graaf

Die Marxistisch-leninistische Partei Deutschlands (MLPD) stellt sich selbst gern als die einzige „wirklich“ revolutionär-sozialistische Kraft hierzulande dar. Wir haben uns von dieser penetranten Selbstbeweihräucherung nicht abhalten lassen, hier einen Artikel ihres Mitglieds und früheren Vorsitzenden Stefan Engel zur Bewegung der „Querdenker“ zu besprechen (https://www.mlpd.de/2020/11/was-sind-eigentlich-querdenker).

Die dort eingangs gestellte Frage Was sind eigentlich „Querdenker? wird wie folgt beantwortet: Es ist die Umsetzung einer altbekannten Strategie und Taktik der Faschisten. Diese Strategie und Taktik wurde nach dem gescheiterten Kapp-Putsch entwickelt.Der Kapp-Putsch fand bekanntlich 1920 statt – und so stellen wir erstaunt fest, dass die „Querdenker“ einer 100 Jahre alten Taktik folgen würden. Immerhin ist das nicht unmöglich. Schauen wir uns also an, was diese Taktik lt. MLPD war.

Historische Bezüge

Engel schreibt: Die Militärs hatten damals ohne Massenbasis die demokratisch gewählte Regierung gestürzt. Das ist an dem Widerstand der Arbeiterbewegung gescheitert, vor allem unter Führung der Kommunisten. Dazu stellen wir erstens fest, dass Anlass und historische Situation damals und heute grundverschieden waren. Zweitens war 1920 der Generalstreik, der zum Zusammenbruch des Kapp-Putsches führte, vom ADGB organisiert und geführt – nicht von der KPD. Diese hatte es anfangs sogar versäumt, zur Unterstützung des Streiks aufzurufen. Immerhin hat sie diesen politischen Fehler aber noch korrigiert. Weiter behauptet Engel: Im Laufe der Weimarer Republik gewann die KPD die Mehrheit der Arbeiterklasse für sich.Das ist gelogen. Wie die Wahlergebnisse, aber auch der (durch Fehler der KPD, v.a. die RGO-Politik) schwindende Einfluss der KPD in den Gewerkschaften zeigen, stand die Mehrheit der Arbeiterklasse bis 1933 immer noch hinter der SPD, wenngleich die KPD zuletzt auch an Stärke und Einfluss zulegen konnte. Was Engel hier betreibt, ist Geschichtsfälschung!

Lt. Engel wurde nach dem Kapp-Putsch die Querfront-Strategie und -Taktik entwickelt.Der etwas schillernde Begriff der „Querfront“ dient hier dazu, die Politik des Faschismus bzw. der extremen Rechten als Taktik darzustellen, mit der das Wesen des Faschismus verschleiert worden wäre, um die proletarischen Massen besser zu erreichen. Aber viele waren wenig geschult und anfällig für die sozialfaschistische Demagogie der Faschisten.Für Engel entsteht politisches Bewusstsein offenbar v.a. durch Demagogie, das ganze Land ist quasi Opfer verschiedener Prediger. Nicht spezifische sozialökonomische Bedingungen prägen für ihn Ideen, sondern nur andere Ideologien bzw. Ideologen. Eine komplett unmarxistische Sichtweise.

Stefan Engel weiter: „Es wurden nach dem Vorbild der revolutionären Arbeiterbewegung faschistische Organisationsformen entwickelt und aufgebaut.“ Doch: Welche Arbeiterpartei oder welche ihrer Vorfeldorganisationen funktionierte nach dem Führerprinzip mit dem Ausschluss jeder Art von inner-organisatorischer Demokratie, Genosse Engel?! Welche hat sich wie die SA durch permanenten Terror ausgezeichnet?! War die faschistische „Deutsche Arbeitsfront“ etwa eine Gewerkschaft?! Engel produziert einen Unsinn nach dem anderen! Und diese „Analyse“ kommt von einer Partei, die sich „marxistisch“ nennt!

Was ist Faschismus?

Die kruden Ideen von Engel zeugen von einem Unverständnis des Faschismus. Gerade deshalb, weil dieser v.a. eine kleinbürgerliche Bewegung ist – nicht nur ideell, sondern auch hinsichtlich ihrer sozialen Basis -, ist sie nicht einfach bürgerlich-reaktionär oder gar Ausdruck des Großkapitals, sondern spiegelt auf besondere Weise die Zwischenlage der Mittelschichten wider, die damals durch die Krise ruiniert und tief verunsichert waren. So richteten sie sich auch gegen das (große) Kapital, gegen das sie in der Konkurrenz nicht ankamen. Dieser „Antikapitalismus“ mag von einigen Spitzen der Nazis ein demagogischer Schachzug gewesen sein – für die faschistische Basis in SA-Uniform war sie durchaus ernst gemeint. Dass der Kapitalismus keine Zukunft hat und das Privateigentum überwunden werden muss, war damals eine verbreitete Meinung – bis ins Bürgertum hinein. Allerdings wird aus einer Meinung oder Haltung nicht mechanisch eine bewusste oder klare politische Einstellung. Im Grunde huldigt die MLPD wie auch in anderen historischen Fragen einer simplen Verschwörungstheorie, nach der es immer um Verrat, mangelnde Wachsamkeit usw. gegangen wäre. V.a. blendet Engel aus, dass es die völlig verfehlte Politik von SPD und KPD war, die den Sieg Hitlers ermöglichte. Bei Engel wirkt es eher so, als sei die Arbeiterbewegung von den cleveren Demagogen Hitler und Goebbels geradezu übertölpelt worden.

Die Querdenker

Und damit sind wir justament bei den „Querdenkern“, von denen natürlich ein Teil auch eine  „Verschwörungs-Denke“ pflegt.

Die „Querdenker“ sind lt. Stefan Engel „die dritte Stufe dieser faschistischen ultrarechten und faschistoiden Bewegung in Deutschland: Als erstes waren sie 2015/2016 gegen Flüchtlinge. Dann protestierten sie gegen die Klimapolitik, in dem sie behaupteten, der Übergang in die Umweltkatastrophe sei alles frei erfunden. Die dritte Stufe sind jetzt die „Hygienedemonstrationen“.

Hier wirft Engel alles in einen Topf. Sicher waren die Gegner der Merkelschen Flüchtlingspolitik (die nicht „links“ war) meist Leute mit eher rechter, rassistischer oder national-konservativer Einstellung. Doch nicht alles, was rechts ist, ist deshalb schon „faschistisch“ – oder wie Engels originelle Wortschöpfung lautet „die dritte Stufe dieser faschistischen ultrarechten und faschistoiden Bewegung“.

Die „Klimakritiker“ kriegen von Engel natürlich auch gleich ihr Fett weg. Auch sie sind natürlich alles Faschisten. So gesehen wimmelt es unter Wissenschaftlern und Ingenieuren weltweit nur so von „Ultrarechten“. Übrigens: Wo haben diese Leute „gegen die Klimapolitik protestiert“? Es müssen sehr sehr abgelegene Nebenstraßen gewesen sein. Wenn Genosse Engel sich die wissenschaftlichen Arbeiten, die Medienbeiträge und Kommentare von Klimakritikern auch nur einmal angeschaut hätte, dann würde er festgestellt haben, dass dieses Klientel überwiegend bürgerlich-liberal orientiert ist und nicht „rechts“ oder gar faschistisch. Und natürlich ist für Engel Klimakatastrophe = „Umweltkatastrophe“. Dass die „Klimakritiker“ Umweltprobleme alle für „frei erfunden“ halten, hat Stefan Engel selbst – frei erfunden.

Zurück zu den „Hygienedemonstrationen“. Wer eine Bewegung einschätzen will, sollte sich deren Programmatik, Aktionsformen, soziale Basis und Führung anschauen. Nicht so Engel, der klebt ihr nur das Logo „faschistisch“ an und schon ist die „Analyse“ fertig. Mehrere Studien, die sich mit der politischen Präferenz der „Corona-Kritiker-Demos“ beschäftigt heben, kamen bezüglich der Teilnehmer zu folgendem Ergebnis: Wähler der Grünen ca. 30%, Linke ca. 20%, AfD 15%. Nicht gerade sehr faschistisch. Engels analytische Fähigkeit beschränkt sich hier darauf, die völlig einseitigen und übertriebenen Berichte der „Staatsmedien“ über die Rolle der wirklichen Rechten bei den Aktionen nachzuplappern. Entgegen dem dort vermittelten Eindruck stellte die organisierte Rechte immer nur einen sehr kleinen, aber natürlich besonders sichtbaren Teil der Bewegung.

Ein ebenfalls kleiner Teil der „Corona-Kritiker“ waren Impfgegner, Esoteriker, „Naturheilaffine“ und Homöopathen – die sind aber eher Anhänger der Grünen. Das Gros waren Leute, die gar nicht bestritten haben, dass es Covid 19 gibt, die aber die Maßnahmen der Regierung kritisierten und darauf hinwiesen, dass diese ihre Existenz bedrohen. Natürlich war deshalb der Anteil von Selbstständigen und Freiberuflern besonders hoch.

Lt. Engel besteht die Methode der „Querdenker“ darin, dass sie linke, fortschrittliche Leute und Organisationen aufrufen, bei ihnen mitzumachen, weil es angeblich nicht um „links“ oder „rechts“ ginge, sondern um den Protest gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Dabei setzen sie an berechtigten Kritiken, wie z. B. gegen die Einschränkung bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten, an. Diese Forderungen sind aber Forderungen der Kommunisten, der Arbeiterbewegung, der fortschrittlichen Menschen.

Wenn Letzteres so wäre: Wo waren dann die Mobilisierungen der Linken – von „der Arbeiterbewegung“, d.h. den Gewerkschaften, ganz zu schweigen?! Der dominante Einfluss von kleinbürgerlichen Kräften, z.B. „Querdenken 711“ (die aber nicht faschistisch oder extrem rechts sind), ist ja gerade das Ergebnis dessen, dass die Linke nicht mobilisiert hat. Die Einschränkungen von sozialer Bewegungsfreiheit und politischen Rechten einerseits und das Versagen des bürgerlichen Establishments hinsichtlich eines schnellen und effektiven Handelns gegen Corona, v.a. beim Schutz von Risikogruppen, wären allemal Gründe für die Linke gewesen, als Opposition – nicht gegen Anti-Corona-Maßnahmen per se, sondern für eine angemessenes Vorgehen – aktiv zu werden. Doch die Linke hat wieder einmal versagt!

Die MLPD wie auch Stefan Engel verstehen nicht die tiefere Ursache all dieser Verschwörungstheorien und „Querdenkereien“. Diese sind nämlich kaum Resultat bewusster ideologischer Irreführung im Sinne von rechtem politischen Dummenfang. Vielmehr sind sie Ausdruck eines zunehmenden Irrationalismus der bürgerlichen Gesellschaft. Diese – neben oder trotz der steigenden Bedeutung von Wissenschaft und Technik – zu beobachtende Tendenz ergibt sich notwendig zum einen aus der auf Privateigentum und Konkurrenz beruhenden Sozialstruktur, in der diverse bornierte Interessen(gruppen) dominieren; daneben kommt der Irrationalismus aber auch daher, dass der „Marxismus“, die Linke und die Arbeiterbewegung schon seit Jahrzehnten unter einer tiefen Degeneration leiden und daher außer Stande sind, das Denken und Handeln der Gesellschaft rational und alternativ zu beeinflussen.

Der Marxist Joseph Weber hatte recht, als er schrieb: Das Zeitalter der verfallenden bürgerlichen Gesellschaft, das Zeitalter der Wissenschaft par excellence, ist das unwissenschaftlichste, durch das die Gesellschaft je gegangen ist.“

Man mag die Querdenker ob ihrer oft kruden Ansichten kritisieren – was Politik, Staat und Medien  zu bieten haben, ist oft nicht besser. So war die Corona-Berichterstattung etwa zu Bergamo oder New York im März/April reine Panikmache und von der Wahrheit ein großes Stück entfernt. Auch die bis heute absurden und alarmistischen Corona-Zahlen dienen nicht der sachlichen  Information, sondern v.a. zur Begründung der Lockdowns und ihrer oft absurden Maßnahmen und vermitteln ein völlig falsches Bild der Situation. Von Kritik am offenkundigen Versagen der Regierung(en) oder des RKI ist bei Engel (und beim Gros der Linken) keine Rede, genauso wenig wie von den sich häufenden kritischen Stimmen aus der Fachwelt zur Corona-Politik der Herrschenden. Das angesichts dessen Leute denen „da oben“ und der Linken nicht (mehr) vertrauen und sich ihre ihre eigenen Erklärungen basteln, sollte da nicht überraschen.

Glaubt Engel etwa, dass das Corona-Management von Merkel und Co. irgend etwas mit Planung, Wissenschaftlichkeit, Sachverstand und Logik zu tun hat?! Und dasselbe Bild von Absurditäten zeigt die Klima- und Energiepolitik, die Bildungspolitik, die Digitalisierung usw. usf.

Und die Linke?

Engel führt keinen einzigen Beleg dafür an, wo Linke direkt zum Mitmachen bei den Querdenkern aufgerufen worden wären. Warum? Es gibt solche Aufrufe nicht! Wenn sich die Bewegung gegen die Einschränkung bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheitenausspricht, dann ist das nicht gerade eine typische Losung der Rechten. Wenn aber zumindest einige Forderungen der Bewegung berechtigt sind – warum hat sich die Linke dann nicht eingemischt?! Ja, warum hat die Linke nicht selbst mobilisiert und dabei eigene Forderungen aufgestellt?! Warum hat sie es zugelassen, dass politische Obskuranten wie der „Querdenken 711“-Gründer Ballweg ohne Konkurrenz von links die Initiative ergreifen konnten?! Diese, für die Linke und die Arbeiterbewegung wichtigen Fragen stellt Stefan Engel nicht.

Unsere eigenen Eindrücke von solchen Kundgebungen sind eher die, dass sich dort politisch viele Milieus mischen; auch Rechte sind dabei, stellen aber nur eine kleine, in sich differenzierte Minderheit dar. Studien stellten fest, dass die Teilnehmer der „Hygienedemos“ v.a. aus der Mittelschicht kamen, was nicht verwundert, da gerade sie besonders unter den Lockdowns zu leiden haben. Trotz aller staatlichen Hilfen werden hunderttausende Existenzen, v.a. Selbstständige, ruiniert – von den dramatischen sozialen Auswirkungen in der „3. Welt“ ganz zu schweigen.

Alles, was auch nur andeutungsweise einer Analyse der „Anti-Corona-Bewegung“ ähnlich wäre, fehlt im Beitrag von Engel vollständig. Immerhin reicht es dazu, richtig festzustellen, dass „die Regierung (…) die Verwirrung gleich“ ausnutzt, um das Demonstrationsrecht generell zu beschränken. So dürfen politische Treffen praktisch nicht stattfinden, aber Gottesdienste.

Wenn Engel feststellt, dass die Querfront-Politik (…) eine faschistische Taktik ist, die prinzipiell abgelehnt werden muss, dann geht sein Schuss weit am Tor vorbei, denn Querdenken u.ä. Bewegungen sind meistens weder von den Rechten initiiert noch geführt worden – anders als etwa Demos gegen die Asylpolitik.

Engels behauptet, dass die Querfront-Taktik wesentlich auf sogenannten „Verschwörungstheorien(beruht), deren Kern ebenfalls faschistisch ist.Nun kann man Verschwörungstheorien sehen wie man will, doch dass die Auffassungen der Impfgegner u.a. Milieus „faschistisch“ wären, ist einfach absurd. Schön wär´s, wenn die Anhänger der Hohlerde-Theorie, der Echsenmenschen u.a. Auffassungen alle Faschisten wären, dann wären sie nämlich ungefährlich, dann könnten ihre kruden Ideen keine Massen erreichen. Leider ist dem nicht so.

Sicher kennen „Verschwörungstheoretiker“ keine Arbeiterklasse, keine Kapitalistenklasse, sondern „Gute“ und „Böse“. Da hat Engel recht, doch das trifft auf die meisten bürgerlichen, nicht-marxistischen Ideologien zu. Nach der „Definition“ von Engel wäre dann fast alles „faschistisch“. Absurd!

Interessant ist nun, was Engel dem entgegen setzen will: Im Kern ist es Volksverhetzung, die verboten gehört!Nicht etwa die Mobilisierung der Arbeiterbewegung und der Linken fordert Engel – sondern den bürgerlichen Staat. Was aber ist mit jener Desinformation und der oft billigen  Meinungsmache der „öffentlich-rechtlichen“ u.a. Massenmedien? Diese, nicht gewisse Internetplattformen sind die Hauptverbreiter von Fakenews und bürgerlicher Ideologie. Was ist damit? Soll der Staat auch die verbieten?!

Was Engels Beitrag und die MLPD insgesamt zum Verständnis der „Querdenker“-Bewegung leisten, gegen gegen Null. Was Engel an historischen Bezügen anführt, ist komplett falsch. Bezüglich der „Weltsicht“ kann man Engel nur raten, nicht mit Steinen zu werfen, wenn man selbst als Verschwörer im Glashaus sitzt.

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