Interview mit einem Aktivisten
Redaktion: Ralf, Du bist Aktivist in der Kampagne DWE …
Ralf: Ja, das muss man wohl so sagen. Wir haben viel gemacht in den letzten Monaten. Ich war am Anfang eher noch reserviert, weil ich dachte, dass daraus sowieso nichts wird. Aber dann ging nach und nach die Post ab.
Redaktion: Wie siehst Du die Situation vor dem Volksentscheid am 26.9.?
Ralf: Zunächst Mal ist es ein großer Erfolg, dass fast doppelt so viele Unterschriften gesammelt wurden, wie nötig gewesen wären. Die Umfragen zeigen auch, dass die Zustimmung in der Bevölkerung für unser Anliegen immer größer geworden ist und mittlerweile bei 47% der Berliner liegt, während nur 43% dagegen sind. Davon abgesehen wurde das Thema der Enteignung von Privateigentum, das ja im Grunde tabu war, in der Öffentlichkeit etabliert.
Redaktion: Welche Wirkung kann das Volksbegehren haben?
Ralf: Schwer zu sagen. Der neue Senat muss sich daran ja nicht halten, er kann es auch nur als Empfehlung ansehen. Daran zeigt sich auch, welche undemokratischen Elemente der sog. Rechtsstaat hat. Die Meinung der Mehrheit kann eben auch ignoriert werden. Egal, wie der Senat entscheidet, es wirft viele juristische Fragen auf. Beim Mietendeckel haben wir ja gesehen, dass das Vorhaben einfach vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde. Die Frage der Entschädigung wirft das Problem auf, wie hoch diese ausfällt – geht man von aktuellen Marktwert der Wohnungen aus oder vom damaligen Verkaufspreis oder oder …
Redaktion: Es wäre zwar gut, ist aber auch sehr unwahrscheinlich, dass es eine Enteignung ohne Entschädigung gibt. Wie stehst Du dazu?
Ralf: Das sehe ich auch so. Für mich ist ganz klar: entweder die Entschädigung fällt weg oder ist sehr niedrig oder aber man sollte den Rückkauf bleiben lassen und mit dem Geld lieber neue preiswerte Sozialwohnungen bauen. Die Enteignung schafft ja nicht mehr Wohnraum, da haben die Kritiker von DWE schon recht. Das Wohnproblem besteht eben nicht nur darin, dass das Wohnen und auch das Bauen durch die Preisexplosion immer teurer wird, es fehlt auch schlicht an Wohnraum, weil immer mehr Menschen nach Berlin ziehen, sich hier als Tourist aufhalten oder hier studieren.
Redaktion: Um welche Summen geht es beim Rückkauf überhaupt?
Ralf: Das wüsste ich auch gern, genau weiß das Niemand. DWE schätzt, dass für die über 200.000 Wohnungen, die kommunalisiert werden sollen, ca. 7-13 Milliarden Euro bezahlt werden müssen, wobei es verschiedene Modelle gibt, wie die Bezahlung bzw. Abzahlung erfolgen soll. Offizielle Studien gehen dagegen von über 30 Milliarden aus. Auf jeden Fall wäre es in beiden Fällen kein schlechtes Geschäft für die Immobilien-Konzerne, weil diese ja einerseits schon jahrelang riesige Gewinne aus ihren Immobilien gezogen haben, zum anderen war der Verkaufspreis für sie damals sehr niedrig, eigentlich ein Schnäppchen.
Redaktion: Die Kampagne schlägt vor, die Wohnungen in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) zu überführen. Wie stehst Du zu dieser Form von Vergesellschaftung?
Ralf: Das ist eigentlich mein Hauptkritikpunkt an DWE. Eine AöR ist eben keine richtige Vergesellschaftung. Eine AöR ist praktisch ein Organ des Staates, also des Berliner Senats. Zwar ist sie verpflichtet, im öffentlichen Interesse zu handeln, aber was das genau heißt, ist wie immer Auslegungssache. Zwar sollen die Mieter mitreden können, aber das Management muss sich daran nicht halten. Somit ist eine AöR auch nur ein Staatsunternehmen besonderer Art. Und der Staat ist nicht neutral, sondern handelt letztlich im Interesse des Gesamtkapitals. Gerade in Berlin haben wir gesehen, dass der Senat immer wieder öffentliches Eigentum (das eigentlich kein öffentliches, sondern Staatseigentum ist) verscherbelt hat – auch unter Rot/Rot. Zudem ist dieses öffentliche Eigentum natürlich auch in das kapitalistische Gesamtsystem und dessen Spielregeln eingebunden.
Redaktion: Hast Du einen besseren Vorschlag?
Ralf: Ich denke, es wäre besser und auch realisierbar, dass die Wohnungen direkt denen gehören, die darin wohnen – nicht als Privateigentum, sondern als Kollektiveigentum. Die konkrete Form kann man und muss man nicht vorgeben. Es kann eine Genossenschaft sein, eine GbR oder eine GmbH oder eine Mischform. Es kann auch ein Nießbrauchsrecht sein. Entscheidend ist doch, dass die Leute gemeinsam darüber entscheiden und sich dafür engagieren, dass sie gut und günstig wohnen können und weder das Kapital ihnen direkt reinreden kann noch eine Bürokratie.
Redaktion: Ist das nicht utopisch?
Ralf: Nein, ganz und gar nicht! Erstens gibt es solche Projekte schon lange und die funktionieren oft auch gut. Zweitens: Wie will man den Einfluss der Immobilienmaffia, die ja mit dem Staat verbandelt ist, wenigstens eindämmen und sich weitgehend unabhängig davon machen, wenn man nicht über Eigentum verfügt? Nur dadurch, dass das Haus den Bewohnern selbst als Eigentum gehört. Und genossenschaftliches oder Kollektiveigentum ist schließlich nicht illegal. Die Schaffung von genossenschaftlichen Projekten ist auch eine ganz ursprüngliche Forderung der Arbeiterbewegung, oder? Es ist schon mehr als peinlich, wenn selbst der RBB über solche neuen kollektiven Wohnprojekte berichtet, aber viele linke Gruppen darüber kein Wort verlieren oder sie sogar ablehnen.
Redaktion: Aber gibt es nicht die Gefahr, dass diese Kollektive selbst als Unternehmer mit Gewinnabsicht agieren und z.B. ihre Wohnungen zu überteuerten Preisen weitervermieten?
Ralf: Ja, diese Gefahr besteht. Doch dem kann man einen Riegel vorschieben, indem solches Kollektiveigentum per Satzung an bestimmte Auflagen gebunden ist. Diese „roten Linien“ müssten in einer demokratischen Diskussion in der Bewegung festgelegt werden. Und es geht ja hierbei nicht nur um die Wohnungsfrage sondern auch darum, dass die Vereinzelung der Menschen im Kapitalismus zugunsten kollektiven Denkens und Handelns und kollektiver Strukturen aufgebrochen wird.
Redaktion: Ist die Forderung nach mehr demokratischer, Mieter- oder Arbeiterkontrolle, wie sie manche linke Organisationen fordern, nicht realistischer?
Ralf: Das weiß ich nicht. Ich sehe da auch keinen Widerspruch. Allerdings ist es ein Unterschied, ob ich etwas kontrolliere, aber letztlich nicht darüber bestimme, oder ob ich die reale Verfügung darüber habe, weil es mein Eigentum ist. Als Marxist muss ich doch auch die Eigentumsfrage stellen, und nicht nur die Frage der Kontrolle.
Redaktion: Viele Genossenschaften sind zu relativ normalen bürgerlichen Unternehmen geworden. Auch die Wohnungsgenossenschaften in Berlin sind nicht immer gerade „ideale“ Genossenschaften, sondern sind tw. ähnlich Gewinn-orientiert wie andere Unternehmen.
Ralf: Mag sein. Aber das ist nicht immer so und auch nicht von vornherein ausgemacht. Es kommt doch v.a. darauf an, wie oder ob sich die Linke und die Arbeiterbewegung darum kümmern. Tun sie das nicht, ist die Gefahr von Fehlentwicklungen größer oder die Projekte bleiben klein und ziemlich einflusslos. Die einzelnen Kollektivprojekte müssen miteinander verzahnt werden zu einer großen basisdemokratischen Struktur.
Redaktion: Ist das nicht Utopie? Schließlich werden Staat und Kapital dem Widerstand entgegensetzen.
Ralf: Ja, natürlich. Das ist aber bei allen Fragen so. Auch eine Gewerkschaft ist kein Wunschkonzert des Kapitals. Sie wird vom ihm bekämpft, v.a. wenn sie zu militant wird. Wir haben den Vorteil der großen Zahl und die Möglichkeit der Organisation. Wenn wir die nutzen, können wir auch Staat und Kapital trotzen. Und die Kampagne DWE bietet einen realen Ansatzpunkt dafür, Privateigentum in Kollektiveigentum zu überführen und es nicht wieder dem Staat zu überlassen für eine Prise Mitbestimmung.
Redaktion: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!