Die 9. Broschüre des Verlags Aufruhrgebiet enthält Beiträge zu drei Themenkomplexen. Im ersten skizziert der Autor Hanns Graaf Faktoren und Tendenzen, welche die aktuelle Periode des Kapitalismus kennzeichnen. Dabei vertritt er die These, dass Ende des 20. Jahrhunderts eine neue Phase des Kapitalismus – der Spätimperialismus – begann. Auch dieser weist wichtige Merkmale des bisherigen Imperialismus auf wie z.B. die Dominanz des Finanzkapitals, die Existenz großer Weltkonzerne oder den Drang zur Neuaufteilung der Welt, ist aber auch von neuen Tendenzen geprägt.
Der Spätimperialismus ist durch modifizierte Merkmale geprägt, welche die Bedingungen des Klassenkampfes verändert haben. Riesige Finanzkonglomerate (Blackrock und Co.) dominieren die Gesellschaft, eine enorm vergrößerte lohnabhängige Mittelschicht hat sich als sozialer Block zwischen Bourgeoisie und Proletariat etabliert und beeinflusst die Gesellschaft in starkem Maße. Das Kapital nutzt weit mehr als früher Mittel der Indoktrination („Wissenschaft“, Medien, Bildung, Kultur).
Nach einer „Katastrophen-Phase“ von Krisen, Kriegen, Revolutionen und Konterrevolutionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgte nach 1945 eine reaktionäre Stabilisierung in Form der bipolaren Weltordnung aus dem privatkapitalistischen Westen um die Führungsmacht USA und dem staatskapitalistischen Ostblock um Moskau. Ende des 20. Jahrhunderts begann eine neue Phase, die durch die breite Anwendung neuer Produktivkräfte (Digitalisierung, Containerttechnik usw.), den Kollaps des Ostblocks und dessen Wiedereingliederung in den Weltmarkt sowie neoliberale Reformen geprägt ist. Nach dem Aufschwung der „Globalisierung“ ab den 1990ern haben sich immer größere Krisenpotentiale aufgetürmt: riesige Überkapazitäten an Kapital, ein gigantischer spekulativer Finanzsektor, zunehmende ökologische Probleme usw. Fast im Jahrestakt folgt Krise auf Krise: die Finanzkrise von 2008/09 und die Corona-“Pandemie“ von 2020-22 waren die bisherigen Höhepunkte. Ausdruck dieser Akkumulationsprobleme sind heftigere Handelskonflikte und die wachsende Konfrontation zwischen dem westlichen Block um die USA und dem Block um China/Russland, die sich u.a. im vom Westen provozierten Ukrainekrieg äußert.
Im 2. Teil wird dargelegt, wie und in welchen Bereichen der Klassenkampf heute geführt werden muss, damit die Linke und die Arbeiterbewegung ihre Defensive, ihre Schwäche und politische Degeneration überwinden können. Es werden zentrale Ursachen dieser Misere aufgezeigt und dargelegt, welche Schlüsse aus den historischen Erfahrungen gezogen werden können. Dabei stellt die Frage der Selbstorganisation des Proletariats im politischen, aber auch im wirtschaftlichen und im sozialen Bereich einen zentralen Aspekt dar.
Im 3. Teil wird die Notwendigkeit einer neuen, revolutionären Arbeiterpartei betont und ausgeführt, warum deren Aufbau die zentrale Aufgabe von Revolutionären sein muss und wie er erfolgen kann.
Diese Broschüre verbindet die Skizzierung wichtiger Aspekte der Analyse des Kapitalismus der Gegenwart und die Aufarbeitung historischer Erfahrungen des
Klassenkampfes mit Vorschlägen, wie ein Potential geschaffen werden kann, um den Kapitalismus endlich zu überwinden.
[Was bürgerliche Ökonomen nicht wissen (wollen): Quelle ALLER gesellschaftlichen Einkommen, die nicht Lohn für händische Arbeit in Fertigung und Transport von Waren sind, entstammen der geldlichen Form des Mehrwerts, dem Profit. Nicht aus dem Profit stammenden solchen Einkommen sind aus nicht rückzahlbarer öffentlicher oder privater Verschuldung finanziert.]
Nun mit Marx/Engels auf einen zutreffenden Nenner gebracht, bedeutet Entwicklung der Produktivkräfte (neudeutsch: Produktivitätszuwachs), Waren von gleichem Gebrauchswert mit weniger Stunden händischer Arbeit, sprich: zu geringeren Kosten, fertigen und hin zum Endkunden transportieren zu können (hinzu Kostensenkungen in den nichthändischen Betriebsteilen aufgrund technologischer und/oder betriebsorganisatorischer Innovationen). So weit marktlicher Wettbewerb besteht, erzwingen jene Kostensenkungen sinkende Warenverkaufserlöse. Was ab den 1970ern zu den als Deregulierung und Neoliberalismus bezeichneten Formen führte, die mit beständig wachsender öffentlicher und privater Verschuldung einhergehen. Welche letzteren beiden sich zwar durch mutwillige Erzeugung galoppierender Inflation beheben ließen. Nicht beheben aber ließe sich so die ursächlich herstellungstechnologisch bedingte Havarie der Kapitalverwertung.
Früher oder später muß die Kapitalverwertung so denn ganz zum Erliegen kommen vor allem aufgrund von Verbilligung von Investitionsgütern (Investitionsnotstand), wie auch aufgrund von sinkender Kaufkraft infolge sinkender Anzahl Beschäftigter in der Fertigung und den sonstigen Betriebsteilen, wie auch aufgrund nicht mehr bedienbarer, weil ins Uferlose gestiegenen Schuldendienstes. Es wird nun aber mit der Warenproduktion(!), und eben mit dem Profit, all jenes Geld verdient, welches für sämtliche nicht warenproduzierenden gesellschaftlichen Tätigkeiten verfügbar ist.
Abwehrstrategie des Kapitals gegen seinen finalen Untergang könnte nun sein ein politisch (CO2-Narrativ) erzwungener massiv investitionsfördernder Umbau der technologischen Basis wie Green Deal bzw. Build Back Better. Was dem Kapital aber lediglich helfen würde, ein (allzu) endliches Maß an Zeit zu gewinnen: Ist die Havarie der Kapitalverwertung doch nicht behebbar, da vom Stand der Entwicklung der Produktivkräfte bzw. von Technologie abhängig! Und muß daher vom Kapital angegangen und strategisch gelöst werden, ein für allemal.
Wie dies getan werden soll, ist offensichtlich. Es werden produktive Technologien, zumal wenn diese auf einfach (vergleichsweise billig) förderbaren Energierohstoffen basieren, ganz nach „exzeptionistischem“ Gutdünken politisch geächtet (CO2, Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen). Was zwingt, ausschließlich auf elektrischem Strom basierende Technologien zu verwenden — welche sich allerbest eignen für die Installation einer digital und per KI dirigierbaren korporatistischen Plan- und Zwangswirtschaft (KI, CBDC, Social Score, Smart City, CO2-Fußabdruck usw.).
Der von Hanns Graaf postulierte „Spätimperialismus“ ließe sich als eine Phase der Entwicklung eben zu einer solchen Plan- und Zwangswirtschaft hin verstehen. Ob nun uni- oder multipolar, wäre Randaspekt, großes Kapital folgt immer den selben Logiken, den von Marx/Engels aufgewiesenen: Die einen stellen her, was ganz andere, die garnichts herstellen, verbrauchen. Genau: Klassengesellschaft. Oder Elitegesellschaft. Oder Herren und Sklaven. Ging lange vor Aufkommen des industriellen Kapitals so, jahrtausendelang. Und wird auch nach dem derzeit sich ereignenden historischen Ende des Kapitals wieder gehen. Und heute nun erst recht! Noch nie in der Geschichte der Menschheit waren Herrschaftstechnologien effektiver als die vom Kapital zuletzt entwickelten.