Quo vadis BSW?

Hanns Graaf

Das Interesse am BSW ist groß. Zehntausende möchten Unterstützer oder Mitglied werden. Sie wollen, dass die Kriegs- und Aufrüstungspolitik beendet wird; dass der Aufstieg der AfD, der Viele besorgt, gestoppt wird; dass die ruinöse Ampelpolitik aufhört. Sie lehnen die „links-grüne“ Ideologie mit Genderwahn, Cancel culture u.a. „Trends“, die an den Lebensinteressen der Massen vorbei gehen, ab. Wagenknecht hat diese auch von der Linkspartei verfolgte pseudo-linke Politik kritisiert, v.a. deren inkonsequente Haltung zum Ukraine-Krieg. Sie blieb standhaft gegen den Mainstream der Kriegstreiber und rief mit Alice Schwarzer zur ersten großen Friedens-Kundgebung auf. All das hat Wagenknecht zu recht viel Sympathie eingebracht.

Erfahrungen und Lehren

Das BSW ist nicht der erste Versuch, eine neue linke Kraft aufzubauen. Schon 2005 entstand die WASG, die dann 2007 mit der PDS zur LINKEN fusionierte. Beide waren reformistische Formationen. Die LINKE setzte auf eine rot/rot/grüne Regierung, was sie nach einem kurzen Zwischenhoch letztlich in die aktuelle existentielle Krise stürzte.

Noch mehr Interesse weckte 2018 die von Wagenknecht initiierte Bewegung „Aufstehen“. Heute gibt es davon nur noch Reste. Der Niedergang von „Aufstehen“ hat mehrere Gründe, die mit der  Wagenknecht-Führung zu tun haben:

  • der Aufruf war inhaltlich verwaschen, wichtige Fragen (Gewerkschaften, Rolle der SPD usw.) wurden ausgeklammert, die Grundausrichtung war reformistisch;
  • es gab keine Aktionsorientierung bzw. zentrale Kampagne;
  • es wurde keine Diskussion oder Klärung grundlegender Fragen angeregt;
  • die Initiatorengruppe (Trägerverein) agierte selbstherrlich, es wurden keine demokratisch legitimierten Strukturen geschaffen, Versuche der Basis dazu wurden blockiert.

Das Ergebnis? Der Zerfall von „Aufstehen“ und die Enttäuschung von Tausenden. Wagenknecht und Co. ziehen daraus und aus dem Niedergang der LINKEN nun den absurden Schluss, dass „Radikale“ die Organisationen unterwandert hätten und daher solche „Quertreiber“ nun nicht Mitglied im BSW werden dürften. Das richtet sich gegen Menschen, die sich als konsequent links, revolutionär bzw. antikapitalistisch verstehen, während ehemalige SPDler, Grüne und sogar Ex-FDPler Mitglied oder sogar Spitzenfunktionär im BSW werden konnten. Linke, die sich jahrzehntelang engagiert haben, werden als Mitglied nicht zugelassen, ja sie erhalten oft noch nicht einmal eine Antwort auf ihren Mitgliedsantrag. So undemokratisch verhielten sich noch nicht einmal stalinistische Parteien. Doch der Wahnsinn hat Methode: die Spitze hofft durch dieses Vorgehen zu verhindern, dass ihr Reformismus in Frage gestellt wird und dass sie das BSW von oben kontrollieren kann.

Die “Programmatik“ des BSW blendet zentrale Konflikte und historische Fragen aus. Begriffe wie Proletariat, Klassenkampf, Kapitalismus, Imperialismus, Einheitsfrontpolitik u.a. tauchen nicht auf. Man glaubt, wenn man die Augen davor verschließt, verschwänden damit auch die Probleme: die Systemfrage, die Eigentumsfrage, die Frage, wie man gegenüber dem Reformismus (DGB, SPD, LINKE) agiert usw. Das zentrale Problem der deutschen Arbeiterbewegung, die Dominanz durch die Sozialdemokratie (und in geringerem Maße durch die LINKE), wird nicht thematisiert.

Zwar hat Wagenknecht angekündigt, im BSW künftig eine programmatische Diskussion unter Einbeziehung von „Experten“ zu organisieren, doch das ist nur ein leicht zu durchschauender Trick, denn die Grundlinie der Politik des BSW ist längst nicht nur beschlossen, sondern wird auch praktiziert. Die handverlesenen Mitglieder werden nicht daran denken, das zu kritisieren oder dem gar etwas entgegenzusetzen – zudem den wenigen Mitgliedern demnächst reichlich Posten winken.

Reformismus in Programmatik und Praxis

Die BSW-Politik ist im Kern nicht anders als die von SPD und Linkspartei: Beteiligung an bürgerlichen Regierungen, Orientierung auf Parlamentarismus, kein Aufbau von Basisstrukturen zum Kampf gegen Staat, Kapital und reformistische Bürokratie, kein substantieller Vorschlag dazu, wie die total abgehobene und verselbstständigte „Demokratie“ erneuert werden kann. Während darauf verwiesen wird, dass es um die Systemfrage und die Revolution ja gar nicht ginge, wird zugleich „übersehen“, dass der sozialdemokratische Reformismus historisch gescheitert ist. Die Politik des BSW leitet sich nicht aus einer Analyse des Kapitalismus und aus den Erfahrungen von 150 Jahren Klassenkampf ab: es wird einfach weiter gewurschtelt wie bisher – trotz der Erfahrung mit der Krise und dem Niedergang der SPD und der LINKEN.

Das BSW und die LINKE betreiben Volksfront-Politik, die versucht, ein klassenübergreifendes Bündnis herzustellen. Die Arbeiterklasse soll sich dabei bestimmten Teilen der Bourgeoisie unterordnen: „sozial“ orientierten Unternehmern, Kleinbürgern, am Binnenmarkt agierenden Mittelständlern. Um diese nicht zu verschrecken, wird alles vermieden, was „zu radikal“ ist. Diese Politik ist historisch ausnahmslos gescheitert und hat jeden Widerstand ruiniert. Es kann eine Kooperation zwischen Arbeiterbewegung, Kleinbürgertum und Mittelschichten geben. Jedoch darf diese nicht damit erkauft werden, dass das Proletariat auf zentrale Forderungen (Staatsfrage, Eigentumsfrage) verzichtet und sich bürgerlichen, systemimmanenten Lösungen unterordnet. Eine solche Kooperation muss auf praktische Fragen begrenzt sein.

Doch dem BSW geht es nicht um Kampf – es geht ums Regieren, um die Mitverwaltung des Kapitalismus. Schon am Tag der Gründung des BSW wurde verkündet, mit allen Parteien außer mit der AfD koalieren zu wollen. Anfang Juli verkündete Wagenknecht, in Thüringen und Sachsen auch mit der CDU koalieren zu wollen. Ein solcher Kniefall vor der Hauptpartei der Bourgeoisie, deren Politik tw. noch rigider als die der Ampel ist, wäre selbst der LINKEN etwas unheimlich. Vergleicht man die Politik der AfD mit jener der CDU, so sind die AfD-Positionen in vielen zentralen Fragen, z.B. zur Ukraine, zu Energie und Klima u.a., besser. Warum, koaliert das BSW dann nicht gleich mit der AfD (was natürlich nicht heißt, dass sie das tun sollte)?!

Das Mitregieren – in bürgerlichen (!) Regierungen – hat schon der LINKEN massiv geschadet, weil die Erwartungen der Menschen auf Reformen immer enttäuscht wurden. Statt Widerstand zu organisieren, machte man sich mitverantwortlich für das System und seine Zumutungen. Der reformistische Tiger endete stets als Bettvorleger. Das lag weniger am fehlenden politischen Willen, sondern objektiv daran, dass der Staatsapparat kein Instrument ist, um Reformen, die dem Kapital weh tun, umzusetzen.

Ein Beispiel: „Deutsche Wohnen und Co. enteignen!“ war die größte linke Mobilisierung seit Jahren. Die LINKE hat sie unterstützt, sie aber zugleich vom Aufbau von Kampf- und Mobilisierungsstrukturen auf Ebene der Kieze, der Stadt und bundesweit abgelenkt. Letztlich hat sich die damals in Berlin mitregierende LINKE der SPD und den Grünen angepasst und die Bewegung in einem parlamentarischen Gremium „entsorgt“. Das zeigt, dass sie nur ein linkes Feigenblatt bürgerlicher Regierungspolitik ist. Der Teilerfolg und das Scheitern der Bewegung „Deutsche Wohnen und Co. enteignen!“ müssten Anlass sein, Lehren für die eigene Politik zu ziehen, um im nächsten Gefecht erfolgreicher zu sein. Dass solche u.a. Fragen des Klassenkampfes von den BSW-Initiatoren nicht diskutiert werden, offenbart, dass sie keine grundlegend andere Politik als die LINKE wollen und der Klassenkampf für sie uninteressant ist.

Friedenspolitik – aber wie?

Sahra Wagenknecht verdient Anerkennung dafür, sich gegen den Mainstream der Kriegshetzer zu stellen. Doch was hat sie zum Aufbau einer starken Friedensbewegung konkret beigetragen? Hier ist ihre Bilanz negativ. Es blieb bei zwei Kundgebungen. Vorschläge oder praktische Aktivitäten zum Aufbau von Mobilisierungsstrukturen und deren Vernetzung oder z.B. zu einem bundesweiten Anti-Kriegs-Kongress gab es nicht. U.a. deshalb ist die Friedensbewegung aktuell so schwach.

Wagenknechts Statements zum Ukrainekrieg zeugen von einem mangelhaften Verständnis. Sie spricht von der „Annektion der Krim“ und vom „Kriegsbeginn durch den Angriff Russlands im Februar 2022“. Dabei haben Bevölkerung und Regionalparlament der Krim mehrfach erklärt, dass sie nicht zur Ukraine gehören wollen. Der Krieg begann auch nicht 2022, sondern schon 2014 als Bürgerkrieg im Donbass, der vom Kiewer Regime vom Zaun gebrochen wurde und bis 2022 14.000 Tote gefordert hat. Schon damals hätte Putin für seine Landsleute direkt Partei ergreifen können – er tat es nicht, weil er auf Verhandlungen mit dem Westen setzte. Der aber hielt Putin nur hin – um die Ukraine aufzurüsten. Die EU und die Osterweiterung der NATO haben Russland immer weiter in die Enge getrieben und das strategische Gleichgewicht zerstört. Die Hauptschuld am Krieg tragen die USA, die EU, die NATO und ihr Kiewer Vasallenregime.

Die halbgewalkte Position von Wagenknecht ist wenig geeignet, der westlichen Propaganda wirksam zu begegnen. Davon, dass Imperialismus immer mit Krieg schwanger geht, ist bei ihr nie die Rede. Wagenknecht bezieht sich oft auf Brandts „Entspannungspolitik“, nicht etwa auf Luxemburg oder Liebknecht. Auch das zeigt, wessen Geistes Kind Sahra Wagenknecht ist. War sie früher in der „Kommunistischen Plattform“ noch Neo-Stalinistin, ist sie inzwischen lupenreine Reformistin.

Sozial und gerecht?

Das BSW wendet sich gegen die Politik der Ampel und den Neoliberalismus und streitet für die Interessen der Mehrheit. Doch wie will das BSW das umsetzen?

Wie bei allen Reformisten ist die einzige Orientierung des BSW zu wählen, für eine starke Präsenz im Parlament zu sorgen und so eine Regierungsbeteiligung zu ermöglichen. Das ist dieselbe Politik, mit der schon SPD und Linkspartei gescheitert sind – nicht nur, weil die versprochene Reformierung des Kapitalismus nicht funktionierte (vom Übergang zum Sozialismus ganz zu schweigen), sondern auch, weil diese Anpassungspolitik die Arbeiterbewegung selbst ruiniert hat. Der Reformismus ist wie ein kaputter Regenschirm: bei Sonnenschein stört sein Schaden niemand, aber wehe, wenn es regnet. Und die Krisen und Bedrohungen nehmen zu: wachsender Billiglohnsektor, Inflation, Aufrüstung, zunehmende Kriegsgefahr. Keinem dieser Angriffe des Kapitals hat die reformistische (!) Arbeiterbewegung nennenswerten Widerstand entgegengesetzt – geschweige denn, dass sie diese stoppen konnte. Warum das so war und was man daraus lernen kann, müsste im BSW diskutiert werden. Doch anstatt das bereits vor der Parteigründung zu beginnen, führt man die alte Politik der LINKEN weiter.

Das BSW setzt auf die Förderung des Mittelstands, fordert eine andere Ausrichtung der Energiepolitik, höhere Besteuerung der Großunternehmen, z.B. der US-Tech-Konzerne, einen höheren Mindestlohn usw. Das ist unterstützenswert. Doch das BSW hat keine Vorschläge, WIE die Lohnabhängigen das durchkämpfen können. Denn selbst der Kampf für Reformen benötigt, um erfolgreich zu sein und Errungenschaften zu verteidigen, die Mobilisierung der Lohnabhängigen. Das heißt u.a.: Wie kann der DGB zu einer klassenkämpferischen Politik gedrängt werden? Wie kann eine linke Opposition im DGB aufgebaut werden? Schweigen im Walde. Das BSW folgt weiter der fatalen Politik der LINKEN, die der SPD die Hegemonie über den Gewerkschaftsapparat überlässt. Von einer Orientierung auf eine Ökonomie und Gesellschaft jenseits des Kapitalismus ist ohnehin keine Rede.

Erneuerung?

Angesichts des historischen Scheiterns des Reformismus stellt sich die Frage, wie die Arbeiterbewegung und die Linke erneuert und gestärkt werden können. Das kann nur gelingen, wenn die historischen Erfahrungen und Debatten aufgearbeitet werden – genau das, was das BSW tunlichst vermeidet. Es kann nur dadurch erfolgen, dass Widerstand initiiert und dafür Strukturen aufgebaut werden, die von der Basis und nicht von der Bürokratie kontrolliert werden. Doch das BSW füllt nur den alten reformistischen Wein in neue Schläuche. Einstein sagte einmal, dass es ein Zeichen von Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu tun, aber ganz andere Ergebnisse zu erwarten …

Die Augenblickserfolge bei Wahlen sollten uns nicht täuschen: das BSW führt die Fehler des Reformismus weiter, anstatt sie zu überwinden. Gerade jetzt, da immer mehr Menschen klar wird, dass „die Demokratie“ keine Lösung der Krise des Systems bietet; gerade jetzt, da das Vertrauen in Staat und (bürgerliche) Politik schwinden; gerade jetzt, da der Sozialabbau und die Kriegsgefahr zunehmen – gerade jetzt besteht die “Alternative“ des BSW lediglich darin, auf die alten bürgerlichen Mechanismen und Strukturen zu setzen, anstatt über wirkliche Alternativen nachzudenken.

Dabei zeigt schon das Beispiel der GdL, die keine linke Gewerkschaft ist, dass mit einer konsequenteren  und kämpferischeren Politik Boden gewonnen werden kann. Doch die Frage, wie Opposition und Widerstand gestärkt werden können, stellt sich das BSW gar nicht – es geht nur um Parlamentssitze, Posten und Prozente.

Ungenutzte Chancen

Bei aller Kritik darf jedoch nicht vergessen werden, dass es Millionen gibt, die auf eine alternative linke Kraft hoffen. Darunter ist auch eine Minderheit, die eine Alternative zum Kapitalismus will, aber mangels anderer Angebote auf das BSW setzt. V.a. dieses Milieu müsste erreicht werden! Die Rolle des BSW ist es aber stattdessen, kritische und antikapitalistische Potentiale an das System zu binden. Das BSW ist ein kranker Arzt am Krankenbett des Kapitalismus, nicht sein Totengräber. Das BSW ist nicht Teil der Lösung – es ist Teil des Problems.

Es wäre die Aufgabe von Linken gewesen, in die Formierung des BSW einzugreifen und die linkesten Teile der Basis für eine revolutionäre Politik zu gewinnen. Wagenknecht und Co. wollen das verhindern. Die „radikale Linke“ macht es ihr dabei aber auch leicht, weil sie glaubt, einige kritische Artikel zum BSW würden als „Politik“ gegenüber dem BSW ausreichen, anstatt im BSW gegen Wagenknecht und Co. für eine antikapitalistische Perspektive zu kämpfen. Dabei wäre es für Linke leicht, sich in die BSW-Unterstützergruppen einzubringen, ja sogar selbst welche zu initiieren.

Seit Jahrzehnten besteht das Unglück der Linken darin, dass der Reformismus trotz oder gerade wegen seiner Krise immer wieder neue Projekte lanciert, um Widerstand zu domestizieren, die „radikale Linke“ aber politisch unfähig und zu sektiererisch ist, um einzugreifen und die Krise des Reformismus als Chance zu sehen und zu nutzen. Gab es 2005 in der WASG immerhin noch eine Minderheit von Linken, die aktiv eingriff, war und ist die gesamte linke Szene gegenüber „Aufstehen“ und dem BSW passiv. „Aufstehen“ wurde von Linken oft als rechts denunziert – doch die verbliebenen „Aufsteher“ sind sicher weit linker und aktiver als die Linkspartei und das BSW. Doch die „radikale Linke“ erweist sich hier (und nicht nur hier) als unfähig, Fakten zu sehen und ihre eigene Politik ehrlich zu bilanzieren.

Wir brauchen nicht den x-ten Neuaufguss des Reformismus in Gestalt des BSW – wir brauchen eine neue revolutionäre Arbeiterpartei! Die „radikale Linke“ hat erneut dabei versagt, das auch in der BSW-Basis dafür durchaus vorhandene linke Milieu zu gewinnen. Es wird neue Chancen geben, um die Arbeiterbewegung zu erneuern. Doch dazu muss die Linke endlich aus ihren Fehlern lernen, ihr Sektierertum überwinden und sich programmatisch erneuern!

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