Paul Pfundt
Die Bundestagswahl 2021 zeigt insgesamt einen Zugewinn v.a. für die Grünen und die SPD, während die Union ein komplettes Desaster erlebte (-8,8%) und auch die AfD Einbußen hinnehmen musste. Wie da Lafontaine in einem Kommentar von einem „Rechtsruck“ reden kann, ist schleierhaft.
Mit ihrem Wahlsieg (auch bei den parallelen Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wo sie die stärkste Kraft blieb) konnte die SPD mit 25,7% und einem starken Zugewinn von 5,2% ihren Niedergang seit 1998 aktuell zwar stoppen, doch ihr knapper Vorsprung vor der Union von nur 1,6% ist eher der Schwäche der CDU geschuldet als der eigenen Stärke und Überzeugungskraft. Es spricht viel dafür, dass die Union mit einem Kandidaten Söder und etwas mehr Cleverness im Wahlkampf erneut die Wahl gewonnen hätte.
Wie schon seit vielen Jahren erkennbar, ist das (west)deutsche Nachkriegsmodell mit den zwei großen „Volksparteien“ am Ende. Statt zwei großen und der kleinen FDP als Mehrheitsbeschaffer gibt es nun etwa fünf mittelgroße und eine kleine Partei, die LINKE. Wie wir in unserem Artikel vor der Wahl geschrieben haben, verweist diese Entwicklung auf ein schwerer kalkulierbares und unsichereres politisches Spektrum, aus dem ebenso fragilere Regierungen (meist aus drei bzw. vier Parteien) hervorgehen.
Allerdings liegt die trotzkistische „Sozialistische Gleichheitspartei“ (SGP) mit ihrer Wahlanalyse komplett daneben, wenn sie schreibt: „Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 26. September widerspiegelt die tiefe Entfremdung zwischen allen Bundestagsparteien und der Bevölkerung und leitet eine Periode politischer Instabilität und scharfer Klassenauseinandersetzungen ein.“
Wäre dem so, müsste a) die Wahlbeteiligung deutlich niedriger sein oder b) linke Parteien, v.a. die Linkspartei, aber auch die rechteste Partei, die AfD, – also die „radikalen Ränder“ – hätten weit besser abgeschnitten. Dass die Instabilität zunehmen wird, mag zwar stimmen, doch ob es deshalb auch zu „scharfen Klassenauseinandersetzungen“ kommt, ist eine reine Behauptung. Dafür brauchte es nämlich solcher Kleinigkeiten wie klassenkämpferische Parteien und Gewerkschaften und einer radikalen Linken mit Substanz und Einfluss. Doch gerade daran mangelt es. Sicher kann es angesichts der zu erwartenden Angriffe zu Protesten kommen, wie wir sie etwa unter Rot/Grün gegen deren Hartz-Reformen erlebt haben, doch auch diese hatten keinen Erfolg und versandeten. Der Grund dafür war v.a., dass die Führungen von SPD und DGB die Bewegung bremsten und ins Leere laufen ließ. Warum sollte es diesmal anders sein?
Linkspartei: Reformismus am Ende?
Das größte Desaster erlebte die LINKE. Sie rutschte sogar unter die 5-Prozent-Hürde (4,9%) und kommt nur aufgrund von drei Direktmandaten erneut in den Bundestag. Damit ist auch Rot/Rot/Grün nicht mehr möglich. Das schlechte Ergebnis gibt allein schon deshalb zu denken, weil mit Union und SPD beide Großparteien seit Jahren an schwindender Wahlunterstützung leiden und ihr „Standardmodell“ Große Koalition inzwischen auf breite Ablehnung stößt. Eine Opposition, die dann nicht profitiert, muss ziemlich viel falsch machen.
Zudem hätte die LINKE aktuell von zwei Entwicklungen profitieren müssen: 1. von der breiten Unterstützung für die Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“ (DWE), in der die LINKE mitwirkt. Der parallel zur Bundestagswahl zur Abstimmung stehende Volksentscheid erhielt in Berlin eine klare Mehrheit und genießt auch woanders viel Sympathie. 2. zeigte das Desaster in Afghanistan nicht nur das peinliche Scheitern der NATO, für deren Auflösung sich die LINKE ja ausspricht, sondern noch grundsätzlicher, dass die offizielle Propaganda von einer „humanen“ Funktion der Besatzung (z.B. Frauenrechte) überwiegend faul war und nichts mit der unverändert prekären Situation der Massen in Afghanistan zu tun hat. Das äußert sich auch darin, dass die Bevölkerung inzwischen mehrheitlich sogar die Taliban der korrupten und unfähigen pro-westlichen Regierung von Gnaden Washingtons vorzieht. Das alles offenbart nur erneut, dass jede Hoffnung auf eine auch nur begrenzt fortschrittliche Entwicklung von Ländern durch eine imperialistische Intervention ein kompletter Trugschluss ist. Im Gegenteil: die einheimischen reaktionären Eliten (oder Teile davon) und die rückständigen sozialen Strukturen werden durch die westlichen Besatzer bewahrt oder sogar gestärkt.
Beide Themen zeigen aber die grundsätzlichen politischen Defizite der LINKEN auf. Bei DWE trifft die Kritik von rechts (so demagogisch sie z.T. auch ist) punktuell durchaus zu. Immerhin war es in Berlin (und nicht nur dort) der rot/rote-Senat, der 2002 die Wohnungen verscherbelt hat und diese nun mit riesigem Verlust zurückkauft – um sie in Form einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) der Kommunalbürokratie zu übergeben und damit die Wohnungen erneut nicht in das kollektive Eigentum und damit in die Verfügungsgewalt der Bewohner zu überführen. Im schlimmsten Fall bezahlt Berlin Unsummen an Entschädigung an die Immobilienmaffia, anstatt damit dringend benötigte Wohnungen zu bauen. Auch mit ihrem Klimaalarmismus konnte die LINKE gegenüber dem grünen Original nicht punkten.
Außenpolitik
Selbst bei der Afghanistan-Frage – politisch eher ein Heimspiel für die LINKE – steht hinter den deftigen Losungen der Linkspartei gegen Rüstung, Krieg, für Friedenspolitik usw. eben keine politische Konsequenz. Schon das Abstimmungsverhalten im Bundestag zur Frage der Evakuierungen aus Kabul war unglücklich: erstens wegen des gegensätzlichen Abstimmungsverhaltens in der Fraktion, zweitens, weil sie der gerechtfertigten Evakuierung nicht zustimmte, sondern sich mehrheitlich enthielt! Die Außenpolitik der LINKEN ist jedoch auch grundsätzlich falsch. Sie wendet sich nicht wirklich gegen die imperialistische EU und gegen jede imperialistische Intervention (unter welchem „humanistischen“ Vorwand diese auch immer stattfindet), sondern will sie „besser“ machen, etwa, indem Blauhelme dabei sind oder die UNO ihren Segen gibt. Der Ablehnung der NATO folgt ein Bekenntnis für eine „neue Sicherheitspartnerschaft“ unter Einschluss Russlands, als ob sich dadurch der Klassencharakter der Staaten und ihre Interessen ändern würden. Eine solche Politik ist nicht nur wenig überzeugend, sie ist auch wirkungslos, weil so kein kämpferisches anti-imperialistisches Potential aufgebaut werden kann.
Um den eigenen Einfluss zu stärken und den der SPD zurückzudrängen, müsste die LINKE z.B. im DGB eigene linke und klassenkämpferische Strukturen bis hin zur Fraktion aufbauen. Das jedoch will die LINKE nicht. Dafür müsste sie wenigstens Kämpfe engagiert unterstützen und weitertreiben. Doch auch da Fehlanzeige. So hat Fraktionschef Bartsch den Staat aufgefordert, „dafür zu sorgen, dass der GDL-Streik beendet wird“. Warum sollten engagierte Arbeiter und Arbeiterinnen also die LINKE wählen?!
Auch in anderen Politikfeldern hat die LINKE versagt. Die von Wagenknecht initiierte Bewegung Aufstehen wurde zuerst in ein völlig harmloses reformistisches Korsett gesteckt (Gründungsaufruf), um sie dann organisatorisch in ein Chaos zu führen bzw. im Stich zu lassen. Damit wurde eine reale Chance vergeben, ein neues Milieu zu aktivieren und eine kämpferische Bewegung zu schaffen. Stattdessen engagiert man sich für die mittlerweile zur Absurdität gewordene gendergerechte Sprache und betont die (willkürlich interpretierten) Anliegen von extremen „Gender“-Minderheiten, worüber jeder rational denkende Mensch nur den Kopf schütteln kann. In diesem Punkt berührt die Polemik von Wagenknecht tatsächlich einen wunden Punkt.
Auch in der Corona-Krise hat die LINKE versagt. Zwar hat sie sich für die sozialen Interessen der Betroffenen der Lockdown-Politik eingesetzt, doch zugleich ließ sie jede Analyse und substanzielle Kritik am offiziell geschürten absurden Corona-Katastrophismus vermissen. Zum Vergleich: die neugegründete Partei „Die Basis“, die den politischen Arm der nicht-rechten „Corona-Kritiker“ verkörpert und politisch eher sozialdemokratisch ausgerichtet ist, hat aus dem Stand 1,4% erreicht und organisiert immerhin 30.000 Mitglieder.
Reformistische Strategie
Hinter all diesen „Halbheiten“ und Fehlern steht jedoch nicht einfach ein falsches Personal nach dem Motto „Mit (oder auch) ohne Sahra ginge es uns besser“. Die LINKE hat (als SED-PDS) Ende 1989 ihre stalinistische Altlast entsorgt und dafür einen klar sozialdemokratischen Kurs eingeschlagen, ähnlich dem, welchen die SPD in den 1960ern und 1970ern verfolgte – nur haben sich die Zeiten geändert. Der Nachkriegsboom ist vorbei, es gibt nicht mehr so viel umzuverteilen, die globale Konkurrenz ist härter geworden und die Krisenpotentiale wachsen.
Da die LINKE jede sozialistisch-revolutionäre Alternative ablehnt bzw. sie in Sonntagsreden versteckt, bleibt ihr nur die Perspektive des Mitregierens. Der Haken dabei ist aber der: sie kann nur als Partner für Rot/Rot/Grün infrage kommen, wenn sie stärker und damit unverzichtbarer wird. Das könnte sie aber nur erreichen, wenn sie wenigstens für einen (Klassen)kämpferischeren Reformismus stünde und damit relevantere Teile des Proletariats anziehen würde. Doch wenn ihr das gelänge, hätten SPD und Grüne noch mehr Vorbehalte, mit dem unsicheren Kantonisten Linkspartei zu kooperieren.
Die Krise der LINKEN ist insofern kein Betriebsunfall, sondern das notwendige Resultat ihrer Strategie. Eine alternative Kraft zu Kapitalismus schafft man nicht primär durch Propaganda und Wahlen, sondern v.a. dadurch, dass man auf der Straße und in den Betrieben und in den Gewerkschaften mobilisiert und eigene Strukturen aufbaut. Daneben muss man auch dafür kämpfen, selbstverwaltete und genossenschaftliche Projekte zu schaffen und zu vernetzen. All das macht die LINKE nicht. Warum? Weil jeder Reformismus darauf beruht, dass die Menschen sich einer „höheren Autorität“ unterordnen, sie es ein Kapitalist, eine politische Bürokratie oder ein Staatsapparat. Die LINKE ist insofern genauso wenig eine Partei der Befreiung und Emanzipation wie alle andern bürgerlichen Parteien und Institutionen.
Sie will den Kapitalismus nicht überwinden, sondern ihn besser verwalten. Wie erfolgreich das ist, zeigen auch diesmal die Ergebnisse in den Bundesländern, wo sie mitregiert: in Thüringen erreichte sei nur noch 11,4% und verlor 5,4% (!), in Berlin büßte sie 1,6 % ein.
Die Krise der LINKEN muss jetzt dazu genutzt werden, deren Politik grundsätzlich zu diskutieren und sich zugleich für den Aufbau einer neuen antikapitalistischen Partei und Bewegung einzusetzen!