Fragen und Antworten zum Kohleausstieg

Paul Pfund

Vor wenigen Tagen legte die sog. „Kohlekommission“ das Ergebnis ihrer monatelangen Beratungen vor. Überraschungen gab es dabei nicht. Am Ziel des Ausstiegs aus der Kohleverstromung wurde festgehalten. Allerdings wurde als Zieldatum des Ausstiegs 2038 genannt. Bis dahin sollen die Kapazitäten der Kohleverbrennung schrittweise minimiert werden. Bis 2022 sollen Anlagen mit einer Leistung von über 12 Gigawatt abgeschaltet werden, was etwa 24 Kohlekraftwerken entspricht. 2030 sollen noch höchstens 9 Gigawatt Braunkohle und 8 Gigawatt Steinkohle am Netz sein. Insgesamt werden in Deutschland derzeit 45 Gigawatt Strom durch Kohlekraftwerke erzeugt – rund ein Drittel der Einspeisung. Als Ausgleich für das Verschwinden von Arbeitsplätzen und wegfallende Steuereinnahmen der Länder sind Strukturhilfen von 40 Mrd. Euro vorgesehen.

Im Folgenden wollen wir auf einige Positionen und Argumente, die häufig von der linken und grünen Szene vorgebracht werden, eingehen

Argument 1: Die Kohlekommission ist ein Expertengremium

Unter den über 30 Mitgliedern der Kommission ist kein(e) einzige(r) ExpertIn für Stromerzeugung oder das Stromnetz. Auch in der „Ethikkommission“, die 2011 nach dem Unfall in Fukushima für den Atomausstieg plädierte, saß kein(e) einzige(r) ExpertIn für Kerntechnik. Das Fehlen von ExpertInnen und die Dominanz von IdeologInnen und PolitikerInnen in diesen Gremien verweist auf die zunehmende Irrationalität des Kapitalismus. Anstatt bei Fragen wie der Kerntechnik und des Stromsystems zuerst (wenn auch nicht nur) die naturwissenschaftlichen und technischen Fragen zu untersuchen, stehen ideologische, politische und kommerzielle Fragen (das Profitinteresse bestimmter Teile des Kapitals) im Zentrum. Die offenkundige Ignoranz gegenüber den naturwissenschaftlichen und technischen Fakten erklärt auch, warum die restliche Welt über den deutschen Weg in der Energiepolitik nur den Kopf schüttelt.

Argument 2: Die Kohlekommission entscheidet nur im Interesse der Kohlekonzerne.

MarxistInnen stehen nicht auf der Seite einer Kapitalfraktion gegen eine andere; sie wollen die gesamte kapitalistische Produktionsweise überwinden. Der Kohleausstieg führt dazu, dass die EE weiter ausgebaut werden. Stromkonzernen wie RWE oder Eon ist es grundsätzlich egal, wie sie ihren Profit erwirtschaften. Wenn sie ihre Kohlekraftwerke nach und nach schließen müssen (was z.T. sowieso durch das Ende der technischen Laufzeit erfolgen würde), investieren sie in EE – was sie ohnehin schon seit Jahren tun, weil die EE durch die EEG-Regelungen große Vorteile am Markt haben. MarxistInnen sehen es auch nicht als Vorteil an, wenn anstatt großer Unternehmen viele kleine Windmüller und Eigenheimbesitzer mit Solaranlage ins Netz einspeisen und die Gewinne einheimsen.

Die Kohlekommission sieht Entschädigungen für die Stilllegung eines Kraftwerks vor. Bisher gab es etwa 600 Mill. Euro pro Gigawatt (GW) abgeschalteter Erzeugung. Für die derzeit noch laufenden Kohlekraftwerke mit über 40 GW würde die Entschädigung für die Energiekonzerne über 20 Mrd. Euro betragen. Natürlich muss hier gefordert werden, dass die Arbeiterbewegung diese Zahlungen und die Konzernbilanzen kontrolliert. Doch die Entschädigungen grundsätzlich in Frage zu stellen oder abzulehnen, wie viele Linke das tun, ist absurd. Die entschädigungslose Vernichtung gewaltiger Kapitalmengen in Form der Kraftwerke würde die Unternehmen ruinieren – und (fast) alle Arbeitsplätze dort vernichten.

Revolutionäre Politik besteht aber weder darin, die Bilanzen von Unternehmen zu ruinieren, noch Standorte oder die Unternehmen an sich zu bekämpfen. Sie muss darauf ausgerichtet sein, dass a) die Unternehmen in die Hände der Beschäftigten übergehen bzw. die Produktion durch die Arbeiterklasse kontrolliert wird und b) deren Produktion möglichst effektiv die Bedürfnisse der VerbraucherInnen befriedigt. Die Energiewende-Politik ist das genaue Gegenteil dessen! Sie schädigt die Umwelt stärker als die Kohleverstromung (u.a. durch höheren Ressourcenverbrauch), ruiniert das Stromsystem und verteuert es. Das Ergebnis der Kohlekommission ist ein Kompromiss zwischen den Interessen der Konzerne und der „grünen“ Szene – zu Lasten der VerbraucherInnen und der Umwelt – und ohne jeden Nutzen für das Klima.

Argument 3: Ohne Kohleausstieg sind die Klimaziele nicht zu schaffen.

Die „Klimaziele“ sind reine Propaganda, sie sind nicht genau definiert (z.B. fehlt die Bezugsgröße) und wissenschaftlich wertlos. Es gibt weder einen wissenschaftlichen noch einen empirischen Beweis in der Klimageschichte dafür, dass CO2 ein relevanter Klimatreiber wäre. Doch selbst wenn das der Fall wäre, würde der Kohleausstieg in Deutschland nur einen derart kleinen (theoretischen) Effekt haben, der noch nicht einmal messbar wäre. Man bedenke: der Anteil von CO2 an der Atmosphäre beträgt nur 0,04%. Der Anteil des Menschen am gesamten CO2-Budget beträgt gerade einmal 3-4%, wovon wiederum nur ein Teil aus der Kohleverbrennung stammt und wovon wieder nur ein kleines Minimum aus Deutschland stammt. Wer glaubt ernsthaft, dass diese minimale Miniänderung – die dafür umso kostspieliger ist – einen realen Effekt haben könnte?! Zudem: für jedes in Deutschland stillgelegte Kohlekraftwerk entstehen woanders, u.a. in China und Indien, zehn neue. Selbst die Pläne der Kohlekommission sehen vor, fehlenden Strom (wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint) zu importieren; das wäre dann Kohlestrom aus Polen und Tschechien oder Atomstrom aus Frankreich. Die in Deutschland abgebauten Kohlekraftwerke sollen in die „3.Welt“ verkauft und dort weiter betrieben werden. Der Kohleausstieg hat also mit CO2-Verminderung und Klimaschutz nichts zu tun, er ist nur ein ideologischer Vorwand.

Argument 4: Kohlestrom kann durch „Erneuerbare Energien“ (EE) ersetzt werden.

Das Stromnetz ist ein hochkompliziertes technisches System, das sehr sensibel auf Veränderungen reagiert. Die Änderung einzelner Komponenten wie z.B. der Ersetzung der Kohle- und Kernkraftwerke durch EE hat Auswirkungen auf das gesamte System. Das heißt konkret: Sinkt der Anteil zuverlässiger Erzeuger wie der Kohlekraftwerke und steigt zugleich der Anteil schwankender Einspeiser (Solar, Wind), sinkt auch die Netzstabilität, die Gefahr eines Netzzusammenbruchs steigt, wie auch die Erfahrungen anderer Länder (z.B. Australien) zeigen. Die weitere Umstellung des Stromsystems auf EE destabilisiert es also. Ja, ein Stromsystem, das zu 100% auf EE beruht, ist praktisch unmöglich. Möglich wäre es nur, wenn entweder a) Strom in riesigen Mengen gespeichert oder b) importiert wird. Variante a) bedeutet Investitionen, die die Höhe des Staatshaushaltes (über 300 Mrd. Euro) um ein Mehrfaches übersteigen und unerhörte Mengen an Ressourcen verschlingen würden (Nachhaltigkeit?!). Variante b) scheidet genauso aus, da der enorme Strombedarf Deutschlands die „flexiblen“ Kapazitäten aller Nachbarländer zusammen genommen deutlich übersteigt. Die einzig mögliche und sinnvolle Alternative wäre Strom aus Kernspaltung. Die großen technischen Fortschritte der Kerntechnik (Generation III und IV) seit dem Unglück von Tschernobyl 1986 sind dafür die technische Grundlage.

Argument 5: Die „Erneuerbaren“ werden immer billiger, so dass die Kosten im Rahmen bleiben.

Wind- und Solartechnik ist in den letzten Jahrzehnten, seit sie von Nischen- zu Massenprodukten wurden, tatsächlich billiger geworden. Doch dieser „qualitative“ Sprung kann nicht noch einmal eintreten. Seit Jahren sind die realen Erzeugungskosten (Kosten pro erzeugter Strommenge, nicht zu verwechseln mit den Preisen an der Strombörse) etwa gleich. Was uns als „Preis“ von der Öko-Lobby suggeriert wird, hat mit der Realität meist wenig zu tun. So werden Subventionen, Vorteile am Markt (z.B. Vorrangeinspeisung per EEG), Entsorgungskosten und relativ geringe Laufzeiten von Solar- und Windanlagen von ca. 20-25 bzw. von nur 16-18 Jahren unterschlagen. Kraftwerke laufen z.B. deutlich länger, wodurch sich die Baukosten über einen viel längeren Zeitraum amortisieren können, und benötigen weder Speicher noch einen Netzausbau. Zudem liegen sie nahe an den Verbrauchern, wodurch Übertragungsverluste minimiert werden. Oft vergessen wird auch, dass Kraftwerke nicht nur Strom, sondern auch (oder nur) Wärme erzeugen (Kraft-Wärme-Kopplung), was mit Windrädern und Solarstromanlagen unmöglich ist. Wo soll dann die Heizwärme herkommen? Das ist nur eine Frage, die sich die „grünen“ und linken Energiewende-Obskuranten gar nicht erst stellen!

Am Beispiel der Windenergie wird deutlich, dass das Argument der Verbilligung nicht stimmt. Die verbreiteten Windrad-Modelle E 70 und E 82 von Enercon kosten je über 3 Mill. Euro. Das Fundament solcher WKA hat ein Volumen von bis zu 1.500 m³ und ist mit bis zu 180 Tonnen Stahl armiert. Der Turm aus Stahlbeton-Segmenten wiegt über 2.500, die Maschinen-Gondel aus Stahl und Kupfer über 300 Tonnen. Nabe und Rotorflügel wiegen noch einmal ca. 300 Tonnen. Das ergibt zusammen 5-6.000 Tonnen Materialverbrauch. Allein für die Erzeugung des verbauten Stahls werden 4-500 Tonnen Kohle verbrannt. Die Herstellung von Stahl und Zement ist sehr energieintensiv und erzeugt insofern auch viel CO2. Eine WKA muss 10-20 Monate laufen, nur um den Strom zu erzeugen, der für deren Herstellung (Aufbau und Transport nicht mitgerechnet) verbraucht wurde.
Die Anlage Enercon E-101 mit 140m Nabenhöhe, 101m Rotordurchmesser und 3 MW-Generator kostet über 5,2 Mio. Euro, die E-115 mit 115m Rotordurchmesser und 2,5 MW-Generator kostet sogar 5,7 Mio. Euro. Bei all diesen Zahlen muss immer bedacht werden (was die „Grünlinge“ nie machen), dass die Menge des erzeugten Stroms nicht identisch ist mit der Nennleistung der Anlagen. Die reale Einspeisung liegt im Durchschnitt nur bei 16-17% dieser installierten Nennleistung. Eine reale Kostenrechnung muss also die Kosten im Verhältnis zur Einspeiseleistung betrachten und außerdem noch die Folgekosten (Speicher, Netzausbau usw.) sowie die Laufzeit berücksichtigen. Eine solche Rechnung wird man bei den Grünen vergeblich suchen.

Die Behauptung, dass WKA immer billiger würden, ist empirisch also nicht haltbar und schon deshalb falsch, weil ein großer Teil der Kosten (Aufbau, Projektierung, Transport usw.) nicht reduziert werden kann, ja sogar ansteigt. Die Nutzung des Windes in großem Maßstab zieht zudem enorme Folgeaufwendungen nach sich, damit Windstrom überhaupt nutzbar ist: Speicherung bzw. Umwandlung von Strom in speicherbare Energieträger, Ausbau des Netzes und/oder Notwendigkeit von back up-Kraftwerken. Allein der Umbau des Stromnetzes wird bis zu 52 Mrd. Euro kosten (53% mehr als im Haushalt 2014 vorgesehen). Dies melden die mit dem Bau der Nord-Süd-Hochspannungsleitungen befassten Unternehmen in einer gemeinsamen Erklärung. Schon diese Zusatzkosten machen die EE grundsätzlich deutlich teurer als die Konventionellen. Längere Leitungswege und mehr Speicherung erhöhen die Stromverluste signifikant, die durch Mehrproduktion ausgeglichen werden müssen.

Der Kohleausstieg bedeutet also zugleich, dass die Massen dafür erheblich höhere Stromkosten werden bezahlen müssen. Wen die Linken nun fordern, dass die Konzern und das Kapital dafür aufkommen sollen, so ist das zwar einerseits richtig, doch es ändert nichts an der Tatsache, dass der Umstieg auf die EE das Strom- bzw. Energiesystem insgesamt deutlich unrationeller und teurer macht.

Argument 6: Kohleabbau zerstört die Umwelt, die „Erneuerbaren“ hingegen sind ökologisch.

Auch dieses Argument ist falsch. Es ist natürlich unbestritten so, dass Braunkohletagebaue Landschaft zerstören und einige Dörfer den Baggern weichen müssen. Doch alle Tagebaue werden (auf Kosten der Unternehmen) saniert. Es entstehen nach der Renaturierung wunderbare Seen und Wälder. Die Herstellung dieser neuen Landschaften dauert lange und ist auch nicht unproblematisch (z.B. Wassermanagement), jedoch gibt es dazu inzwischen sehr viele Erfahrungen. Die „Mondlandschaften“ ausgekohlter Tagebaue sind also nur Übergangserscheinungen. Auch die Menschen, die umgesiedelt werden, erfahren das lange vorher und sie werden großzügig entschädigt. Trotz allem ist es sicher besser, in Zukunft auf den Kohleabbau (auch den Untertage-Abbau) verzichten zu können. Das ist nur durch die Nutzung der Kernkraft möglich. Doch warum sind die EE keine ökologische Alternative?

Wind- und Photovoltaikanlagen produzieren (in Relation zum Aufwand) aufgrund der geringen Energiedichte von Wind und Sonne (was auch auf Grünmasse zutrifft) weniger Strom als „traditionelle“ Anlagen, ihre Arbeitsproduktivität ist also niedriger. Ihr Ressourcenverbrauch ist aber erheblich höher. Sie produzieren Natur-bedingt schwankend und unzuverlässig und benötigen daher Zusatzsysteme (Speichermedien und Netzausbau). Ihr Verbrauch an Fläche – eine endliche Ressource – ist ebenfalls höher. Von anderen Schäden für die Umwelt ganz zu schweigen: Schreddern von Flugtieren, Minimierung der Artenvielfalt durch Energiepflanzen-Monokulturen, Anfall enormer Mengen hochgiftigen Sondermülls aus Solarpaneelen und Windrädern usw.. So müssen ab 2020 jährlich mehr als 15.000 Tonnen alte Windradflügel als Sondermüll entsorgt werden. Die „Erneuerbaren“ eine grüne Technik? Fehlanzeige!

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