Die Spanische Revolution (6/6)

Die Kollektivierung der Industrie

Hanns Graaf

Die kollektivierten Betriebe produzierten mehr als vor der Kollektivierung, v.a. im Rüstungssektor, wo die Produktion um 30-40% stieg. Im September 1936 gab es 25 Rüstungsfabriken, im Juli 1937 bereits 300 und 1938 tausende. Insgesamt waren etwa 3 Millionen in ländliche oder städtische Kollektivunternehmen eingebunden (bei ca. 25 Mill. Einwohnern). Auch im Dienstleistungssektor gab es einen Produktivitätszuwachs. In den Verkehrsbetrieben Barcelonas etwa fuhren 100 Straßenbahnen mehr als zuvor, die Eigenproduktion von Ausrüstungsgegenständen stieg von 2 auf 98%. Die selbstgebauten Wagen waren leichter und größer als die alten, so dass die Einnahmen um 15-20% gesteigert werden konnten, obwohl die Fahrpreise heruntergesetzt worden waren. In den befreiten Gebieten trafen Räte und Versammlungen Entscheidungen – ohne eine separate Bürokratie.

Klein- und Gewerbebetriebe schlossen sich zu gewerkschaftlichen Produktionsverbänden oder Genossenschaften zusammen. Unrentable Unternehmungen wurden mitunter geschlossen. Ein großes Problem war der Mangel an Rohstoffen, der zum Import zwang. Die eingeführten Rohstoffe verteuerten aber die Fertigprodukte. Das Fehlen von Rohstoffen führte zu Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit, doch die ArbeiterInnen wurden von der CNT weiterbezahlt. Ein weiteres Problem war der Verlust von Absatzmärkten für die Industrie Kataloniens durch die von Franco besetzten Gebiete.

Katalonien und besonders Barcelona hatten einen Sonderstatus in Gesamtspanien. Es war der wirtschaftlich am weitesten entwickelte Landesteil, wo die Industrie einen weit höheren Anteil an der Produktion hatte als anderswo. Rings um Barcelona lag das Zentrum der spanischen Textilindustrie. Von den 230.000 TextilarbeiterInnen gehörten etwa 70% der CNT und 30% der UGT an.

Die Löhne in den Kollektivbetrieben wurden erhöht, hohe Gehälter der Direktoren und Manager wurden abgeschafft. In Valencia u.a. Städten wurde ein einheitliches System der Entlohnung als erster Schritt auf dem Weg zur Abschaffung des Lohnsystems, eine Sozialversicherung unter Regie der Gewerkschaft, eine Iberische Gewerkschaftsbank und der Ausbau des genossenschaftlichen Verteilungssektors zur Versorgung der Bevölkerung beschlossen. In den Kollektivunternehmen wurde ein höheres Lebensniveau erreicht, die Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung wurden verbessert, auch die Maschinerie wurde besser genutzt. Aufgrund dessen, dass viele Orte an die Franco-Truppen fielen, gibt es aber kaum Erfahrungen mit dem Kollektivsystem über einen längeren Zeitraum, die generelle Schlussfolgerungen für eine Konzeption der Übergangsgesellschaft zulassen würden.

Es gab eine Sparte, die nicht kollektiviert worden war, weil niemand dort die Initiative dazu ergriff: die Banken! Wenn es dort GewerkschafterInnen gab, dann gehörten sie der UGT an, die eine Verstaatlichung befürwortete. Die Volksfront-Regierung ordnete jedoch keine Kollektivierung an, so dass die Banken außen vor blieben! Der CNT fehlte es an einem Plan für den Finanzsektor. Statt auch diesen Zweig im Juli 1936 zu kollektivieren, beschloss die CNT erst im Januar 1938 am Kongress in Valencia die Schaffung einer Gewerkschaftsbank; eine Entscheidung, die viel zu spät kam.

Die „vergessene“ Vergesellschaftung des Bankensektors hatte fatale Folgen. Zum einen waren die Unternehmen (natürlich auch die kollektivierten) finanziell von den Banken abhängig (Kredite, Schulden). Trotz der Kollektivierungen blieb die Ökonomie damit strategisch vom Finanzkapital abhängig. Ein weiteres Problem bestand darin, dass die bedeutenden Bestände an Gold- und Silberreserven in der Verfügung der Volksfrontregierung verblieben und somit der Verfügung der revolutionären Massen entzogen waren.

Der Kongress von Valencia

Der Kongress von Valencia im Januar 1938 beriet alle wichtigen ökonomischen Fragen. Er wurde v.a. von der CNT, von der POUM und der linkssozialistischen UGT getragen. Die Stalinisten und die rechte Sozialdemokratie lehnten die Kollektivierungen insgesamt ab. Der Kongress stellte fest, dass die Volksfrontregierung keinen Plan für die Organisation der Wirtschaft hatte. Daher schlug der Kongress auch Maßnahmen für das gesamte republikanische Spanien vor.

Es gab aber auch Kritik an Tendenzen in einigen Kollektivunternehmen, die auf Kosten anderer zu wirtschaften versuchten. Die italienische Anarchistin Berneri stellt dazu fest: „Wir haben einen kollektiven Kapitalismus geschaffen, bei dem die Arbeiter in leistungsfähigen Betrieben höhere Löhne bekommen als die in schlechten. Solche Einkommensunterschiede müssen durch die koordinierende Tätigkeit der Gewerkschaften ausgeglichen werden. Alle Gewinne müssen an einer Stelle zusammenfließen, die die Fonds gleichmäßig verteilt.“ Hier zeigt sich, dass das Kollektiveigentum nicht per se kapitalistische Verhältnisse überwindet, sondern Organe der Gesamtklasse die Einzelunternehmen in einen allgemeinen Plan einbauen müssen, der dem Betriebsegoismus entgegen wirkt. Um einen Kollektiv-Kapitalismus zu verhindern, wo produktivere Unternehmen mehr erwirtschafteten als andere in der Branche und dadurch ihre Mitglieder mehr verdienen, beschloss die CNT über die Industrieföderationen eine Koordinierung der verschiedenen Betriebe und schuf eine Ausgleichskasse zur gerechteren Verteilung der Geldmittel.

Arbeiterdemokratie

In den Unternehmen ernannten die Beschäftigten Gewerkschaftsdelegierte (meist der CNT) als neue Leiter. Eine Vollversammlung wählte einen Betriebsrat. Die Gewerkschaftsvertreter sicherten die Zusammenarbeit mit der übrigen Industrie. In großen Betrieben wurde ein Direktor gewählt, dessen Wahl aber durch den Generalrat bestätigt werden musste. Manchmal blieben der alte Besitzer oder Manager in ihren Funktionen, wenn sie sich den Betriebsräten zur Mitarbeit anboten, arbeiteten aber unter deren Kontrolle. Allerdings hatte dieses anarchistische Modell auch seine Kehrseiten. So wurden die betrieblichen Komitees für zwei Jahre gewählt, ein relativ langer Zeitraum, der sicher deshalb festgelegt worden war, um die Dominanz der CNT zu gewährleisten. Überhaupt waren die Wirtschaftsorgane oft faktisch „automatisch“ zugleich CNT-Strukturen, was dem Prinzip der Arbeiterdemokratie insofern widerspricht, weil sie so nicht mehr offen ist und eine strukturelle – im Unterschied zu einer politischen – Vorherrschaft einer Organisation besteht. In ähnlicher Weise war das auch in Sowjetrussland der Fall, wo die Partei als einzige Struktur alles beherrschte.

Trotz dieser Einschränkungen waren diese Verfahrensweisen alles in allem demokratisch und gewährleisteten die Verfügungsgewalt der ArbeiterInnen über Produktion und Verteilung und sicherten die Einbindung der Betriebe in den ökonomischen Gesamtmechanismus. In Sowjetrussland hingegen wurden die betrieblichen Strukturen und Rechte der ArbeiterInnen schon ab Anfang 1918 erheblich zugunsten einer bürokratischen Staatsverwaltung von oben eingeschränkt und bis Ende der 1920er Jahre komplett ausgemerzt. Während in Spanien mit der CNT und der UGT starke gewerkschaftliche Strukturen existierten, die das wirtschaftliche und politische Herz des Kollektivsystems waren, spielten die Gewerkschaften in Russland 1917/18 kaum eine Rolle. Die weit wichtigeren Betriebskomitees wurden aber zugunsten der bald völlig unter Parteiregie stehenden Gewerkschaften bis Mitte 1920 weitestgehend entmachtet oder waren zerfallen.

Die spanische Erfahrung zeigt, dass eine kollektive Wirtschaft nur auf Grundlage von aktiven Basisstrukturen der ArbeiterInnen und Bauern funktionieren kann, während das bolschewistische Modell einer bürokratischen Wirtschaftsverwaltung durch einen „separaten“ Staatsapparat wenig effizient ist und letztlich nicht zum Sozialismus führen kann.

Hinsichtlich der Eigentumsfrage – die zentrale Frage nicht der Revolution selbst, weil es in der Revolution zunächst v.a. um die politische und administrative Macht geht, aber sehr wohl der weiteren Entwicklung der nach-revolutionären Gesellschaft – kann man sagen, dass in Spanien die ArbeiterInnen und die Bauern der Kollektivbetriebe wirklich EigentümerInnen ihrer Unternehmen waren. In Sowjetrussland hingegen hatte der Prozess der Konstituierung des Proletariats als Eigentümerin der Produktionsmittel zwar schon im Februar 1917 begonnen, war aber schon bald auf niedrigem Niveau steckengeblieben. Bis Ende der 1920er Jahre waren das Proletariat und die Bauernschaft schließlich (erneut) enteignet und die Staatsbürokratie hielt die gesamte Macht in den Händen.

Das Ende der Kollektivierungen

Nach den Mai-Unruhen in Barcelona 1937, dem Sturz der Regierung Caballero und dem Austritt der CNT-Minister aus der Regierung begann der offene Kampf der Volksfrontregierung gegen die Kollektivunternehmen. Mitunter wurden sie von den KP-Stalinisten treuen Einheiten blutig niedergeschlagen und aufgelöst, so z.B. mehrere Kollektive in Aragon, die von der „kommunistischen“ Brigade Lister angegriffen und zerstört worden sind.

Nach dem Mai wurde auch das katalanische Kollektivierungsgesetz außer Kraft gesetzt. Danach kehrten mitunter die alten Besitzer zurück oder es wurden von oben KP-Bürokraten als Leiter eingesetzt. Mit dem Regierungsdekret vom 11.8.38 wurden alle kriegswichtigen Betriebe verstaatlicht, darunter auch über 700 von der CNT kontrollierte Betriebe in Katalonien. Ihr Leiter, der Ingenieur und CNT-Mitglied Vallejo, wollte einen Kompromiss aushandeln, welcher der CNT und ihren fachlich erfahrenen Leitungskräften die Organisation der Produktion ermöglicht hätte. Auf Druck Moskaus und ihrer Berater wurde dies aber vereitelt. Auch die Betriebskomitees protestierten gegen die Beschlagnahmungen in Form der Verstaatlichung – erfolglos.

Das Ergebnis der Maßnahmen der Volksfront war ein Sinken der Produktion. Die CNT-Führung und die UGT stimmten der Verstaatlichung der Industrie u.a. Sektoren schließlich doch zu, um wenigstens in den restlichen Bereichen die Kollektivierung zu retten. Im April 1938 trat mit Segunda Blanco wieder ein CNT-Mitglied in die Regierung ein, um dem bürgerlichen Einfluss entgegenzuwirken, die Angriffe auf die Kollektive abzuschwächen und die Verfolgung ihrer Mitglieder zu verhindern. Diese Versuche waren tw. auch erfolgreich.

Trotz allen Bemühens konnte es der CNT u.a. linken Kräften aber nicht gelingen, den bürgerlichen Anti-Kollektivierungs-Kurs zu stoppen, nachdem sie es abgelehnt hatten, die Volksfront konsequent zu bekämpfen, zu stürzen und eine revolutionäre Arbeiter-und Bauernregierung zu bilden. Solche strategischen Fehler können eben nicht taktisch ausgeglichen werden. Wenn die exekutive Macht nicht in den Händen der revolutionären Massen liegt, sondern bei einer bürgerlichen Regierung, bleiben die Basisorgane – ob Kollektivbetriebe, Milizen oder Rätestrukturen – letztlich heroische Episoden und Halbheiten. Die Doppelmachtsituation zwischen dem revolutionären Proletariat und der bürgerlichen Volksfrontregierung konnte nicht ewig bestehen. Sie wurde von der bürgerlichen Volksfront-Regierung aufgelöst, der Kapitalismus war gerettet und die Revolution gestoppt. Letztlich führte das – wenn auch ungewollt – zum Sieg Francos.

Die Politik der spanischen Volksfront war jener der russischen Bolschewiki völlig entgegengesetzt. Die Volksfront wollte die sozialistische Revolution verhindern, die Bolschewiki führten sie zum Sieg. Doch die Wirtschaftspolitik beider war in wesentlichen Punkten (v.a. mit Ausnahme der Landreform und der Enteignung der Bourgeoisie) in vielerlei Hinsicht auch ähnlich. Beide setzten auf Verstaatlichungen von oben anstatt auf Selbstverwaltung von unten und Genossenschaften. In beiden Fällen zeigten sich auch sofort die fatalen Folgen dieser Politik: Abnahme des Elans der Massen und Rückgang der Produktion. Gerade die Bolschewiki verfolgten ihre Politik der Verstaatlichung (Lenin sprach sich immer wieder für einen Staatskapitalismus mit proletarischem Staat aus) u.a. deshalb, um ein wirtschaftliches Chaos zum verhindern. In Wahrheit vergrößerten sie damit aber die Probleme noch und unterminierten zudem, dass die Arbeiterklasse zum Subjekt der Entwicklung werden bzw. sich dazu entwickeln konnte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert