Selbstverwaltet oder „öffentlich-rechtlich“?

Hanns Graaf

Die Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ (DWE) ist trotz des Rückschlags beim Mietendeckel weiter aktiv. Eine Gruppierung, die in DWE mitwirkt, ist die Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM). Neben ihrer Aktivität macht sie auch dadurch positiv auf sich aufmerksam, dass sie die programmatische Diskussion voran bringen will. Dazu hat sie eine Broschüre veröffentlicht, die sich mit verschiedene taktischen und programmatischen Fragen, die DWE betreffen, befasst. (https://arbeiterinnenmacht.de/wem-gehoert-die-stadt/)
Wir wollen uns hier mit einigen der Forderungen und Argumente von DWE und GAM befassen, weil sie methodisch von grundsätzlicher Bedeutung für die revolutionäre Linke sind.

Staatseigentum modifiziert

Die Hauptforderung von DWE ist, die privatisierten Wohnungen in eine „Anstalt öffentlichen Rechts“ (AöR) zu überführen. Diese Struktur wird als eine Art „Mischung“ aus Staatseigentum – in der Form kommunalen Eigentums – und dem Einfluss von „Mieterräten“ bzw. gewählten VertreterInnen der „Stadtbevölkerung“ verstanden. Eine AöR ist eine Einrichtung, die in der Hand eines Trägers der öffentlichen Verwaltung (sic!) steht und dauerhaft einem öffentlichen Zweck dient. Anders als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts hat die AöR keine Mitglieder, sondern Nutzer. Durch die Struktur der AöR ist der Staat bei Entscheidungen gegenüber den „Mieterräten“ klar in der Vorhand. Obwohl die Position verschiedener Unterstützer von DWE sich in Detailfragen unterscheiden, eint sie alle, dass sie nicht wollen, dass die Wohnungen und Häuser wirklich denen gehören, die drin wohnen, sondern diese nur Kontroll- und Mitspracherechte haben.

Bei der GAM lesen wir dazu: „Um die Eigentumsfrage führt kein Weg herum. Solange Grund und Boden ihren EigentümerInnen horrende Gewinne bringen, solange der Wohnungsbau in privater Hand bleibt und vor allem den Unternehmen Profite bringt und vor allem solange der Wohnungsmarkt von Immobilienunternehmen dominiert wird, die auf rasche, spekulative Gewinne an den Börsen setzen, werden die Preise weiter steigen und wird die Wohnungsfrage noch brisanter werden. (…)

An der Enteignung der großen PlayerInnen am Wohnungsmarkt, von Grund und Boden wie der Baufirmen führt letztlich kein Weg vorbei. Wir treten für die Öffnung von deren Bilanzen, Verträgen sowie der Verstrickung von Tochterunternehmen und Beteiligungen ein, um ihre wirklichen Vermögen und ihre EigentümerInnenstrukturen offenzulegen. (…)

Daher sollten alle diese Konzerne entschädigungslos enteignet werden. Das betrifft auch ihre GroßaktionärInnen. Nur die kleinen AnlegerInnen sollten so weit entschädigt werden, dass sie ohne Verluste aus dem spekulativen Geschäft aussteigen können. Die entschädigungslose Enteignung bedeutet natürlich eine massive Konfrontation nicht nur mit dem Kapital im Wohnungssektor, sondern in allen Bereichen, weil eine Enteignung der großen Immobilienkonzerne und von Grund und Boden auch eine Beispielwirkung für die gesamte Ökonomie hätte.“

Das ist korrekt. Der GAM ist auch klar, dass Kontrolle über etwas nicht dasselbe ist wie über Eigentum zu verfügen, was die Kontrolle darüber inkludiert. Die GAM schreibt: „Selbst wenn die privaten Unternehmen enteignet würden, stellt sich unwillkürlich die Frage, wem diese gehören und wer die Kontrolle darüber ausübt. Im Kapitalismus bedeutet Enteignung von Unternehmen entweder deren Überführung in genossenschaftliches Eigentum oder Verstaatlichung – egal (ob) nun Bund, Länder oder Kommunen als EigentümerInnen fungieren oder es die Form einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) annimmt.“

Die GAM weiß also, welche zwei Alternativen es zum Privateigentum gibt. Sie entscheidet sich bewusst für die AöR als modifizierte Form von Staatseigentum und gegen Genossenschaften. Sie fordert: „Wohnungsversorgung (zurück) in öffentliche Hand unter Kontrolle von MieterInnenräten und Organen der ArbeiterInnenbewegung!“ Dazu ist zu bemerken, dass das Staatseigentum nicht einfach irgendeine „öffentlichen Hand“ darstellt. Das Eigentum des bürgerlichen Staates unterliegt der Zuständigkeit und Kontrolle der staatlich-politischen Bürokratie – nicht „der Öffentlichkeit“, geschweige denn der Arbeiterklasse. Wenn es anders wäre, würde die GAM-Forderung nach Arteiterkontrolle ja auch keinen Sinn machen.

Gerade die Berliner Wohnungsmisere (die nicht nur aus überhöhten Mieten besteht) zeigt, dass es die „öffentliche Hand“ in Gestalt der kommunalen Wohnungsgesellschaften und des Senats war, die in der Ägide von Rot/Rot viele Wohnungen gerade jenen Immobilien-Haien in den Rachen geworfen hat, die sie nun wieder enteignen oder „zähmen“ will. Gleichwohl will DWE nun die Wohnungen erneut dieser Bürokraten-Kamarilla überlassen.
An dem vom Verfassungsgericht gekippten Mietendeckel wird zugleich deutlich, dass selbst bescheidene Reformen letztlich am Grundgesetz scheitern bzw. an dessen Auslegung durch die Gerichte. Die Vorstellung, den Kapitalismus reformieren zu können, ist allein schon deshalb absurd. Jede ernsthafte Reform, die in die Eigentumsstrukturen u.a. Produktionsverhältnisse strukturell eingreift, muss scheitern, wenn sie nicht durch Klassenkampf erzwungen werden, was aber nur in zugespitzten, (vor)revolutionären Situationen möglich ist.

Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle?

Die Position der Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle vertritt die GAM immer. Natürlich kann es immer wieder zu solchen Formen kommen. Es ist dabei kurzfristig auch möglich, dass eine solche Maßnahme bestimmte Vorteile für die Arbeiterklasse bzw. die Bevölkerung bringt. Jedoch muss hier zumindest auf folgende Probleme hingewiesen werden: 1. bedeutet die Kopplung von Staatseigentum und Arbeiterkontrolle, dass dabei die Interessen zweier gegensätzlicher Klassen aufeinandertreffen, die auf Dauer nicht versöhnbar sind. 2. ergibt sich daraus, dass diese Lösung nur eine kurzfristige, provisorische sein kann. 3. bedeutet sie (in der Form, wie die GAM sie stets aufstellt), dass jede andere Form von Eigentum – etwa der Arbeiterklasse in Gestalt der Belegschaft, eines Hauskollektivs, von NutzerInnen usw. als wirklichen EigentümerInnen sind – unerwähnt bleibt und noch nicht einmal als propagandistische Forderung auftaucht. So wird das Proletariat zum „korrigierenden Anhängsel“ des bürgerlichen Staates degradiert. Einigermaßen kurios ist dabei, dass sich die trotzkistische GAM dabei auf das „Übergangsprogramm“ (ÜP) von Trotzki beruft, wo aber die Losung „Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle“ in dieser Kombination gar nicht auftaucht bzw. nur bezüglich einer Staatsbank. Ganz und gar trotzkistisch ist die GAM aber insofern, als im ÜP Genossenschaften gar nicht erwähnt werden.

Was sind Genossenschaften?

Welche Argumente führt die GAM nun dafür an, dass ein kollektives-genossenschaftliches Eigentum an Wohnraum schon im Kapitalismus nicht möglich oder erstrebenswert wäre? Sie sagt: „Genossenschaftliches Eigentum stellt im Grunde eine Form des Privateigentums dar, auch wenn sich mehrere Personen den Besitz teilen. Auch in einer kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungsgesellschaft, ob nun als AöR oder sonst wie organisiert, herrscht immer noch das kapitalistische Wert- und Aneignungsgesetz. Staats- und Wohnungsschulden, Bodenpreise verschaffen sich letztlich immer wieder Geltung und verhindern eine Transformation staatskapitalistischen Eigentums in vergesellschaftetes.“

Formell gesehen hat die GAM hier recht. Tatsächlich gibt es zwischen einer Genossenschaft, einer GmbH oder einer AG keine grundsätzlichen Unterschiede, alle sind Formen von Gruppeneigentum. Doch es macht wenig Sinn (und ist auch nicht marxistisch), nur die Form einer Sache zu betrachten. Ob in diesen Eigentumsstrukturen nämlich Lohnarbeit ausgebeutet wird oder nicht, oder ob den ProduzentInnen, d.h. den Beschäftigten, die Produktionsmittel gehören oder nicht, macht einen gewaltigen Unterschied. Natürlich herrscht das Wertgesetz um das Unternehmen herum, egal, welche Form es hat. Doch in welchem Ausmaß das der Fall ist, ist durchaus verschieden. So gilt das Wertgesetz schon für staatliche Firmen weniger direkt – worauf die GAM bisweilen auch selbst hinweist.

Das Argument, dass das Wertgesetz weiter gilt, sagt für sich genommen wenig aus. Nehmen wir einen Streik. Egal, wie erfolgreich er ist – es gilt immer noch das Wertgesetz und das Lohnsystem existiert weiter. Dieses Manko würde doch aber auch die GAM nicht dazu verführen, Streiks abzulehnen.

Was die GAM überhaupt nicht hinterfragt, ist die Tatsache, dass „Staats- und Wohnungsschulden, Bodenpreise“ usw. für genossenschaftliche Eigentümer weit weniger oder gar keine Rolle spielten. Allein das ist ein gravierender Unterschied zum Status des Mieters. Dass es also egal wäre, ob die Wohnungen oder Häuser Teil einer GmbH, einer AöR oder einer Genossenschaft wären, ist ganz einfach falsch.

Wenn wir von Genossenschaften sprechen, dann meinen wir damit nicht einfach Kollektivunternehmen, dann wäre etwa der REWE-Konzern, der eine Art Einkaufsgemeinschaft darstellt, auch eine Genossenschaft. Das meinen wir natürlich nicht. Eine Genossenschaft in unserem Sinne würde sich u.a. durch folgende Merkmale auszeichnen:

  • die Produktionsmittel / das Inventar gehören den Mitgliedern;
  • die Unternehmensführung erfolgt kollektiv, ohne ein privilegiertes Management oder shareholder;
  • das Unternehmen „verrechnet“ den Gewinn oder Teile davon mit Kunden/Nutzern;
  • es werden keine Mitglieder / Beschäftigte ausgebeutet.

Ein solches Unternehmen hat mit REWE und Co. nichts gemein. Im Gegenteil: die nicht an Eigentümer, Aktionäre oder Manager verteilten „Provisionen“ und das schlankere Management sparen Kosten, die an die Kunden weitergegeben werden können, und stellen auch einen Konkurrenzvorteil dar. So sah das auch die traditionelle Genossenschaftsbewegung. Es gibt genügend Beispiele dafür, dass Genossenschaften auch ökonomisch funktionieren und einen positiven Effekt für das Proletariat haben.

Es gibt aber auch klare Unterschiede zwischen dieser „tradierten“ Auffassung von Genossenschaften und einer revolutionär-marxistischen. Letztere begreift genossenschaftliche u.a. Formen von (proletarischer) Selbstorganisation auch und v.a. als Strukturen, wo sich Opposition und Widerstand zu Staat und Kapital regt, wo – wenn auch nur in Ansätzen – soziale Strukturen entstehen, die eine Alternative zum Kapitalismus darstellen. In diesen kollektiven Projekten ist das Zusammenleben, -arbeiten und -lernen anders als sonst in der bürgerlichen Gesellschaft.

Diese Genossenschaftlichkeit stellt auch eine spezifische Form von sich entwickelndem Klassenbewusstsein dar. Ihre besondere Bedeutung liegt darin, dass es sich nicht nur die politische Sphäre berührt wie in Partei oder Gewerkschaft (auch letztere ist in Betrieb und Branche primär politisch tätig), sondern im „normalen“ Leben. Zudem muss sich diese andere Art von Bewusstsein und Praxis täglich beweisen, nicht nur einmal wöchentlich bei der Parteiversammlung oder einmal aller Jubeljahr, wenn es für wenige Tage einen Streik gibt.

Marx hat unter Klassenbewusstsein nie nur den politisch-ideologischen Bereich verstanden, sondern die gesamte Palette des Denkens als Ausdruck sozialen – und nicht nur politischen – Handelns. Wenn – nach Marx – das Bewusstsein primär bewusstes Sein ist, dann kann ein anderes Bewusstsein massenhaft auch nur aus einem anderen Sein entstehen. Der „neue Mensch“ ist das Resultat anderer Verhältnisse und nicht nur oder v.a. das Ergebnis von „Indoktrination“. Diese letztere einseitige Auffassung resultiert u.a. aus Lenins Auffassung von Klassenbewusstsein und der Rolle der Partei. Die Unterschätzung oder gar Ablehnung des Genossenschaftsgedankens durch das Gros der Linken bedeutet, dass ein ganzer Frontabschnitt des Klassenkampfes unbesetzt bzw. dem Gegner überlassen bleibt. Nur linke Träumer können glauben, dass so der Kapitalismus überwunden und ein relevantes anti-kapitalistisches Potential aufgebaut werden kann. Selbst Lenin kam am Ende seines Lebens zur Einsicht, welch bedeutende Rolle das Genossenschaftswesen spielt.

Wie auch bei allen andern Strukturen des Proletariats – ob Partei, Gewerkschaft, Räten u.a. – ist es notwendig, dass RevolutionärInnen darin für eine korrekte Orientierung eintreten, um z.B. eine Bürokratisierung oder reformistische oder zentristische Abweichungen zu verhindern.
Ein Kardinalfehler der historischen Arbeiterbewegung und der Linken bestand darin, dass sie die Genossenschaftsbewegung meist nur als ökonomische Selbsthilfestrukturen verstanden haben, nicht aber als einen spezifischen Teil des antikapitalistischen Potentials. Die Reformisten wollten das natürlich nicht, die Linken, wie z.B. Rosa Luxemburg in ihrer Kritik an Bernstein, wiederum schütten das Kind mit dem Bade aus und behaupteten, dass Genossenschaften nicht funktionieren könnten, keine große Rolle spielen und von der Revolution ablenken würden. Zudem hatten fast alle Linken, die aus der II. Internationale kamen (auch Lenin) die Vorstellung, dass der Sozialismus auf einer Staatswirtschaft beruhen müsse, was sie umso mehr zur Unterschätzung von Formen der kollektiven Selbstorganisation führte. Der Stalinismus wiederum, der an diesen Vorstellungen anknüpfte, setzte diesem linken „Staatswahn“ dann die Krone auf.

Die Kritik der GAM

Die GAM nimmt ganz klar Stellung gegen die Idee des genossenschaftlichen Eigentums. So z.B. hier: „Aber es gibt keine sozialistischen Inseln im Kapitalismus. Wirkliche Vergesellschaftung kann nur in Form der Assoziation der direkten ProduzentInnen umgesetzt werden, erfordert also letztlich den Sturz des Kapitalismus.“

Hier wird zuerst ein Popanz aufgebaut, indem Genossenschaften nicht als das, was sie sind – Übergangsphänomene – gehen werden, sondern als „sozialistischen Inseln“. Dabei behauptet Niemand, dass Genossenschaften eine sozialistische Produktionsweise verkörpern würden, das ist allenfalls in Ansätzen möglich. Dem wird eine abstrakte „wirkliche Vergesellschaftung“ entgegengesetzt. Diese soll offenbar vom Himmel fallen oder sich mit der Revolution von selbst ergeben. Doch gerade die Degeneration Sowjetrusslands zum Stalinismus hat gezeigt, welch großes Problem entstehen kann, ja muss, wenn das Proletariat (gerade das russische) über keinerlei Erfahrung in sozialer und ökonomischer Selbstverwaltung verfügt und quasi über Nacht Wirtschaft und Gesellschaft leiten und organisieren muss. Diese sozialen Fähigkeiten kann sie sich aber im Kapitalismus als ausgebeutete und unterdrückte Klasse kaum aneignen.

Auch da irrte Lenin. In „Staat und Revolution“ behauptet er z.B., dass die ArbeiterInnen schon durch den Kapitalismus befähigt wären, Wirtschaft und Gesellschaft zu verwalten. Lenin verwechselt dabei den industriell disziplinierten Untertanengehorsam und die isolierten Fachkenntnisse der Arbeiterschaft mit der Fähigkeit zur Leitung komplexer sozialer Systeme. Natürlich ist das Proletariat „an sich“ in der Lage, die Funktion des Subjekts der Entwicklung wahrzunehmen, doch dazu müssen verschiedene “Vorbedingungen“ erfüllt sein oder erfüllt werden. Lenins berühmte Köchin kann den Staat nur regieren, wenn sie a) dazu qualifiziert wird (wozu u.a. das Rätesystem nötig ist) und b) das Regieren selbst bzw. „der Staat“ durch sie regierbar, d.h. vereinfacht wird (was mit dem Absterben des Staates zu tun hat). Dieser Lernprozess ist nur – und auch nur in beschränktem Maße – innerhalb selbstverwalteter Strukturen möglich. Insofern sind – oder besser: können – Genossenschaften Schulen des Sozialismus sein; so wie jede Schule Vorbereitung auf das Leben ist, ohne schon „das Leben“ zu sein. Leider bekennt sich die GAM zum „Leninismus“, daher kann sie die Dialektik der Konstituierung des revolutionären Subjekts nicht ausreichend verstehen und betrachtet dabei meist nur die Rolle der Partei und des Staates und die politische Sphäre.

Die GAM versteht unter Vergesellschaftung völlig richtig eine „Assoziation der direkten ProduzentInnen“. Doch konkret – im Kapitalismus – beschränkt sie das Sich assoziieren nur darauf, etwas mit-zu-kontrollieren. Wie soll aber eine „Assoziation“ aussehen, wenn den ProduzentInnen (MieterInnen usw.) all das, wo die Assoziierung stattfinden soll, überhaupt nicht gehört?! Natürlich, da hat die GAM recht, ist letztlich der revolutionäre Sturz des Kapitalismus nötig, er erledigt sich nicht durch den Aufbau eines genossenschaftlichen Sektors. Doch er steht dazu auch nicht Widerspruch, im Gegenteil: er ist ein Teil der Vorbereitung darauf – wie potentiell jeder Klassenkampf, wie jede proletarische Struktur, ob Partei, Gewerkschaft, Kontrollorgane oder Streikkomitees.

Die GAM fordert bezüglich der Wohnungsfrage ganz richtig: „Förderung alternativer Projekte wie von Mehrgenerationenhäusern, zentralisierter Hauswirtschaft (Kantinen, Wäschereien, betriebs- bzw. wohnortnahe Betreuung von Säuglingen, Kleinkindern und SchülerInnen bei Hausaufgaben und Nachhilfe)!“ Nur ist es gerade dafür nötig, dass die Menschen dafür das volle Entscheidungsrecht darüber haben, wie und was gemacht werden soll. Dafür brauchen sie (kollektives) Eigentum, nicht nur irgendeine Form von Mitbestimmung!

Es ist peinlich genug, wenn sogar im RBB mehrfach Berichte kamen, dass die Mieter eines Hauses dieses erworben haben und es in eigener, kollektiver Regie verwalten, einrichten, sanieren usw. Sie bezahlen keine absurden Mieten mehr, an denen sich andere bereichern – sie kommen nur noch für die realen Kosten auf. Ihnen können der betrügerische Mietspiegel (ein von Linken fast nie kritisierter Automatismus zur Miet- und Kostensteigerung) oder die Entwicklung der Immobilienpreise nach dem Kauf relativ egal sein. Hätten die Linke und die Arbeiterbewegung (SPD, DGB, LINKE) sich dafür engagiert, gäbe es heute in Berlin und anderswo bereits einen großen Sektor kollektiven (!) Wohneigentums. Stattdessen haben sie dafür plädiert, dass der Staat (die Kommune) sich der Sache annimmt. Die durchaus oft schon seit Jahrzehnten funktionierenden selbstverwalteten Wohnprojekte wurden sich selbst überlassen, anstatt sie zu einem Netzwerk auszubauen und einen Big Player daraus zu machen.

Erfahrungen

Noch Mitte der 1990er wurden in Berlin viele Plattenbauten, Schulen, Kitas usw. abgerissen, weil sie leer standen. Dabei war damals schon klar, dass Berlin zur Boomtown wird und die Wohnungen bald gebraucht und die Preise steigen würden – nur die Bürokraten in den Wohnungsgesellschaften und im Berliner Senat verstanden das nicht. Damals hätten ganze Blöcke „für´n Appel und´n Ei“ von Bewohnerkollektiven“ übernommen werden können. Die Chance wurde nicht gesehen und vergeben – genau von denselben Linken, die heute erneut dem Staat – in Gestalt einer AöR – die Wohnungen übergeben wollen.

Dabei werden auch historische Erfahrungen wie die mit kollektiven Wohnprojekten oder mit der „Neuen Heimat“ ignoriert. Die „Neue Heimat“ war bis in die 1980er das größte Immobilienunternehmen Europas. Es gehörte dem DGB, war aber keine Genossenschaft, sondern rein bürokratisch verwaltet. Sie ging pleite – obwohl die Immobilienpreise auch schon damals immer stiegen und nicht fielen. Was lehrt uns das? 1. Bürokraten sind unfähig, wirtschaftlich effizient zu handeln. 2. zeigt es aber auch, welche „Marktmacht“ und ökonomischen Potenzen die Arbeiterklasse, ja selbst die Millionen GewerkschafterInnen eigentlich haben. Nur die politische Ignoranz der Reformisten, Stalinisten und auch sog. Marxisten (die ihre Borniertheit in Marx hineininterpretieren) ist daran schuld, dass diese ökonomische Macht brach liegt und Ökonomie und Gesellschaft komplett der Bourgeoisie überlassen bleiben – um dann per Klassenkampf das Schlimmste zu verhüten. Ein absurdes Hase und Igel-Spiel.

Den „Erfolg“ dieser „linken“ Unterordnungspolitik sehen wir nun bundesweit und ein Ende der Teuerungs- und Mangelspirale bei Wohnraum in den Ballungszentren ist kaum in Sicht. MarxistInnen wie die GAM betonen zwar – abstrakt – immer die Eigentumsfrage, doch konkret stutzen sie diese (wenn überhaupt) auf die Arbeiterkontrolle über das Staatseigentum zusammen.

Marx und die Genossenschaften

Marx und Engels haben keine systematischen Darstellungen zur Genossenschaftsfrage, geschweige denn eine Theorie dazu hinterlassen. Es gibt aber durchaus etliche „verstreute“ Äußerungen. Insgesamt zeigt sich darin, dass sie eine grundsätzlich positive Position zum Genossenschaftswesen hatten. Die ihnen von den meisten Linken, v.a. von „MarxistInnen“, unterstellten Positionen (Genossenschaften könnten sich ökonomisch nicht halten, sie wären per se reformistisch, sie lenken von der Revolution ab usw. usw.) finden sich nicht im Werk von Marx und Engels sondern nur in den ideologischen Machinationen vieler Linker.

Wir wollen hier einige Belege für die Sicht von Marx und Engels anführen, die unsre These belegen.

In den „Randglossen“ zum Gothaer Programm spricht Marx bezüglich der nach-kapitalistischen Wirtschaft von einer „genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft“. Seine Kritik an Lassalles Genossenschafts-Idee ist keine Kritik an den Genossenschaften an sich, sondern nur an Lassalles „Variante“ davon.

Engels schrieb 1875 an Bebel: „Die deutsche Arbeiterpartei erstrebt die Abschaffung der Lohnarbeit und damit der Klassenunterschiede vermittelst Durchführung der genossenschaftlichen Produktion in Industrie und Ackerbau auf nationalem Maßstab.“ (MEW 19, 6)

In „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ schreibt Marx: „Wenn aber die genossenschaftliche Produktion nicht eitel Schein und Schwindel bleiben, wenn sie das kapitalistische System verdrängen, wenn die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln, sie damit unter ihre eigene Leitung nehmen und der beständigen Anarchie und den periodisch wiederkehrenden Konvulsionen, welche das unvermeidliche Schicksal der kapitalistischen Produktion sind, ein Ende machen soll – was wäre das andres, meine Herren, als der Kommunismus, der ‚mögliche Kommunismus‘?“ (Dietz Berlin, 1963, 77)

Doch Marx und Engels sahen die Genossenschaften nicht nur als wichtiges Element einer nach-kapitalistischen Gesellschaft an, sondern betonten auch deren Bedeutung für den Befreiungskampf des Proletariats schon im Kapitalismus.

In einer Resolution für die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) schrieb Marx 1866 zum Genossenschaftswesen: „Wir anerkennen die Kooperativbewegung als eine der Triebkräfte zur Umwandlung der gegenwärtigen Gesellschaft (sic!), die auf Klassengegensätzen beruht. Ihr großes Verdienst besteht darin, praktisch zu zeigen, dass das bestehende despotische und Armut hervorbringende System der Unterjochung der Arbeit unter das Kapital verdrängt werden kann durch das republikanische und segensreiche System der Assoziation von freien und gleichen Produzenten.“ Und: „Wir empfehlen den Arbeitern, sich eher mit Produktivgenossenschaften als mit Konsumgenossen-schaften zu befassen. Die letzteren berühren nur die Oberfläche des heutigen ökonomischen Systems, die ersteren greifen es in seinen Grundfesten an (sic!).

1.d) Wir empfehlen allen Kooperativgesellschaften, einen Teil ihres Gesamteinkommens in einen Fonds zu verwandeln zur Propagierung ihrer Prinzipien durch Wort und Tat, mit anderen Worten, durch Förderung der Errichtung von neuen Produktivgenossenschaften sowie durch Verbreitung ihrer Lehren.

1.e) Um zu verhindern, dass Kooperativgesellschaften zu gewöhnlichen bürgerlichen Aktiengesellschaften entarten, sollten alle Arbeiter, die in ihnen beschäftigt sind, ob Aktieninhaber oder nicht, gleiche Anteile vom Gewinn erhalten.“

Hier spricht sich ganz klar die Ansicht aus, dass ein Kampf um die Ausrichtung der Genossenschaften und für deren Einbindung in die sozialistische Arbeiterbewegung geführt werden muss. Viele heutige MarxistInnen hingegen lehnen diesen Kampf ab und pflegen stattdessen lieber ihren Fatalismus, nach dem Genossenschaften geradezu „entarten“ müssten.

Im 3. Band des „Kapitals“ stellt Marx bezüglich genossenschaftlicher Unternehmen fest: „Bei der Kooperativfabrik fällt der gegensätzliche (doppelseitige) Charakter der Aufsichtsarbeit weg, indem der Dirigent von den Arbeitern bezahlt wird, statt ihnen gegenüber das Kapital zu vertreten. (…) Aus den öffentlichen Rechnungsablagen der Kooperativfabriken in England sieht man, dass – nach Abzug des Lohns des Dirigenten, der einen Teil des ausgelegten variablen Kapitals bildet, ganz wie der Lohn der übrigen Arbeiter – der Profit größer war als der Durchschnittsprofit, obgleich sie stellenweise einen viel höheren Zins zahlten als die Privatfabrikanten. Die Ursache des höheren Profits war in allen diesen Fällen größere Ökonomie in Anwendung des konstanten Kapitals.“ (Marx, MEW 25, S. 401f)

Weiter führt Marx aus: „Die Kooperativfabriken der Arbeiter selbst sind, innerhalb der alten Form, das erste Durchbrechen der alten Form, obgleich sie natürlich überall, in ihrer wirklichen Organisation, alle Mängel des bestehenden Systems reproduzieren und reproduzieren müssen. Aber der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist innerhalb derselben aufgehoben, wenn auch zuerst nur in der Form, dass die Arbeiter als Assoziation ihr eigener Kapitalist sind, d.h. die Produktionsmittel zur Verwertung ihrer eigenen Arbeit verwenden. Sie zeigen, wie auf einer gewissen Entwicklungsstufe der materiellen Produktivkräfte und der ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsformen naturgemäß aus einer Produktionsweise sich eine neue Produktionsweise entwickelt und herausbildet. Ohne das aus der kapitalistischen Produktionsweise entspringende Fabriksystem könnte sich nicht die Kooperativfabrik entwickeln und ebenso wenig ohne das aus derselben Produktionsweise entspringende Kreditsystem. Letzteres, wie es die Hauptbasis bildet zur allmählichen Verwandlung der kapitalistischen Privatunternehmungen in kapitalistische Aktiengesellschaften, bietet ebenso sehr die Mittel zur allmählichen Ausdehnung der Kooperativunternehmungen auf mehr oder minder nationaler Stufenleiter. Die kapitalistischen Aktienunternehmen sind ebenso sehr wie die Kooperativfabriken als Übergangsformen aus der kapitalistischen Produktionsweise in die assoziierte zu betrachten, nur dass in den einen der Gegensatz negativ und in den andren positiv aufgehoben ist.“ (ebenda, 456)

Man vergleiche diese u.a. Aussagen mit dem, was die meisten „MarxistInnen“ zur Frage der proletarischen Selbstverwaltung sagen und man bemerkt, wie weit diese von Marx entfernt sind und warum die „radikale Linke“ heute fast keinen Einfluss hat und nur ein links-zentristisches Anhängsel des Reformismus ist – mit radikalen Phrasen garniert.

Wer für eine „wirkliche“ Vergesellschaftung plädiert, der darf diese nicht nur auf eine zukünftige Gesellschaft projizieren, er muss sie auch als Aufgabe für das Hier und Heute verstehen! Konkret heißt das für DWE: Nicht Überführung der Wohnungen in eine AöR, sondern Übernahme der Wohnungen durch nicht-kommerzielle, genossenschaftliche Eigentümerkollektive und deren Vernetzung unter Einbeziehung der Bevölkerung und der Arbeiterbewegung!

2 Gedanken zu „Selbstverwaltet oder „öffentlich-rechtlich“?“

  1. Im 19. Jahrhundert hat der ideelle Gesamtkapitalist, der Staat, Wohnen/Städtebau sowie Schule in eng aufeinander bezogener Weise ausgeformt, um Proletariat und Kleinbürgertum die Befähigung zur Selbstorganisation zu nehmen. Die Stadtsoziologin Anne Querrien hat anno 1976 mit «l’ensaignement» (siehe mehrteilige Serie in linkezeitung.de) die vom Großkapital entsprechend betriebene Ausgestaltung von Wohnen/Stadt und Schule nachgezeichnet. Genossenschaftliches Wohnen wäre nicht zuletzt auch ein Hebel, um staatliche Bildungshoheit bzw. Schule als Agentur für Massenverblödung zu zerbrechen und selbstverwaltete Einrichtungen der Erziehung und Bildung aufzustellen. Staat und Kapital haben im Wohnen, vor allem aber in Erziehung und Bildung NICHTS verloren. (Siehe bei Anne Querrien insbesondere das sich für selbstorganisierten Betrieb anbietende Modell der historischen Mutuellen Schule. Welche nicht zu verwechseln ist mit jenen heutigen Schulen, bei denen der Begriff „mutuell“ auf kollektives Onanieren unter der Schulbank verweist).

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