Ratio und Tempo limitiert

Paul Pfundt

Die Aktivisten der Letzten Generation haben die Umsetzung des Tempolimits von 100 Km/h zu einer ihrer Hauptforderungen gemacht. Doch kein vernünftiger Mensch wird wohl auf die Idee kommen zu behaupten, dass ein solches einen wesentlichen Effekt für Umwelt oder Klima hätte. Die Debatte um das Tempolimit hat v.a. Alibi- und Symbolcharakter. Insofern steht dieses eher bescheidene Ziel in krassem Widerspruch zum (pseudo)radikalen Aktivismus der Letzten Generation, der nicht nur tausende Autofahrer und Museumsleute nervt, sondern auch den Flugverkehr gefährdet. Es ist geradezu ein Wunder, dass die Aktionen der Letzten Generation bisher noch keine Todesopfer gefordert haben.

Emissionen

Den Befürwortern des Tempolimits geht es hauptsächlich um die Reduktion von CO2, da dieses die Klimaerwärmung verstärken würde. Nun ist sich die Wissenschaft – anders als immer behauptet wird – durchaus uneins darüber, ob CO2 wirklich ein Temperaturtreiber ist und falls in welchem Ausmaß. Betrachtet man die Klimageschichte, so ist ein genereller Zusammenhang zwischen CO2-Anstieg als Ursache von Erwärmung nicht zu erkennen. Zweifelsfrei steht nur fest, dass eine Erwärmung der Meere zu verstärkter Ausgasung von CO2 und damit zu einem Anstieg des CO2-Levels der Atmosphäre führt.

Von einem Tempolimit wären nur PKW und Kleintransporter betroffen, da LKW und Busse nicht schneller als 100 Km/h fahren dürfen. Betroffen wäre auch nur der Autobahnverkehr. Dieser beträgt auf den ca. 13.000 Km langen deutschen Autobahnen jährlich 250 Mrd. Personenkilometer. PKW verursachen etwa 60% der CO2-Emissionen im Autoverkehr. Eine Studie aus dem Jahr 2023 legt dar, dass ein Tempolimit von 120 Km/h einen Spareffekt von 4,7 Mio. Tonnen CO₂ pro Jahr hätte. Das wären 2,9% der Gesamtemissionen im Straßenverkehr. Das klimaalarmistisch ausgerichtete Umweltbundesamt (UBA) hat jüngst behauptet, dass ein solches Tempolimit sogar 6,7 Mio. Tonnen einsparen würde. Diese Aussage wurde aber von mehreren Seiten als unseriös eingestuft. Eine von der FDP-Bundestagsfraktion beauftragte Studie der Verkehrsökonomen Alexander Eisenkopf (Uni Friedrichshafen) und Andreas Knorr (Uni Speyer) z.B. sieht nur eine Einsparung von maximal 1,1 Mio. Tonnen als realistisch an. Wie wir in den letzten Jahren lernen konnten, ist aber allen Studien gegenüber Skepsis angebracht, da sie oft nur die Intention der Auftraggeber bestätigen und nicht immer objektiv sind.

Wie man die Studien auch bewertet: klar ist, dass eine relevante Einsparung von CO₂ nicht zu erwarten ist. Dafür gibt es mehrere Gründe. 1. findet nur 1/3 des Autoverkehrs auf Autobahnen statt. 2. sind derzeit schon ca. 30% des Autobahnnetzes mit einem Tempolimit belegt, dazu kommen noch Begrenzungen durch Baustellen und Staus. 3. werden Autos durch technische Innovationen immer effizienter. So ist das Abgas von Euro 6-Diesel-Autos sogar sauberer als die „normale“ Luft. Die bessere Technik wird allerdings dadurch konterkariert, dass die Fahrzeuge immer größer und schwerer werden (SUV) und das Verkehrsaufkommen weiter zunimmt. 4. zeigen Untersuchungen, dass die Mehrzahl der PKW auch auf Autobahnen ohnehin langsamer als 130 Km/h fährt und ein Tempolimit daher kaum etwas ändern würde.

Produktionsweise

Trotz allem ist es natürlich so, dass ein Tempolimit jede Art von Emissionen absenken würde. Das wäre allerdings auch durch andere – technische – Mittel möglich. Die Letzte Generation u.a. Befürworter eines Tempolimits sind also nicht sehr einfallsreich und betrachten andere Maßnahmen kaum oder gar nicht. Das ist jedoch kein Zufall. Ihr Denken stellt nämlich die gesellschaftlichen Grundlagen nicht infrage; die kapitalistische Produktionsweise bleibt im Kern unhinterfragt, nur einige ihrer Auswirkungen sollen geändert werden. Warum so viel Autoverkehr (Personen- und v.a. Güterverkehr) überhaupt entsteht, interessiert sie kaum. Dabei ist nicht schwer zu verstehen, dass viel Verkehr, v.a. kommerzieller, dadurch verursacht wird, dass es eine Vielzahl von Privatfirmen gibt, die ungeplant neben- und gegeneinander produzieren und daher unnötig viel Verkehr erzeugen. Diese unerhörte Vergeudung von Ressourcen ist ohne Überwindung des Kapitalismus aber kaum zu ändern. Dazu kommt noch, dass große Branchen davon leben, dass es möglichst viel Verkehr gibt: Verkehrs- und Logistikunternehmen, Fahrzeugbau, Werkstätten, der Straßenbau usw. Weniger Aufwand bedeutet aber – allerdings nur im Kapitalismus (!) – weniger Profit und weniger Jobs. Kapitalismus ist auf Wachstum getrimmt, egal, welche Folgen er hat.

Ein Tempolimit ist auch in perspektivischer Hinsicht ein sehr begrenztes Mittel. Man kann schließlich nicht den Autoverkehr endlos weiter verlangsamen, ohne den Verkehr überhaupt ad absurdum zu führen. Weit bessere Orientierungen wären a) strukturelle Eingriffe, die das Verkehrsaufkommen senken würden und b) technische Innovationen. Doch gerade davor verschließen die Klimaradikalinskis die Augen, zudem fehlt ihnen meist jedes naturwissenschaftlich-technische Verständnis.

Sicherheit

Autobahnen sind die sichersten Straßen in Deutschland. Dort werden pro Jahr zwar 1/3 aller Kraftfahrzeugkilometer gefahren, doch der Anteil an den Verkehrstoten beträgt im Vergleich dazu nur 12%. Auch das Sicherheitsniveau von Autobahnen mit Tempolimit ist im internationalen Vergleich nicht höher als bei denen ohne Limit. Die Schwachstelle in Sachen Verkehrssicherheit sind die Landstraßen, wo knapp 60% der Verkehrstoten zu beklagen sind – obwohl dort nur 39% der Kfz-Fahrten erfolgen. Bei Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen würden viele PKW-Fahrer auf Landstraßen ausweichen, was dort auf jeden Fall zu höheren Unfallzahlen und Staus führen würde.

Globalisierung und Verkehr

Ohne Zweifel ist es notwendig, das Verkehrs- bzw. Fahrzeugaufkommen zu minimieren. Damit würden auch Emissionen jeder Art, Staus, Lärm usw. vermindert. Doch bei aller grundsätzlichen Berechtigung solcher Forderungen zeichnet sie auch eine gewisse Weltfremdheit aus. Zunächst findet ein großer Teil des Güterverkehrs auf den Weltmeeren statt, die Globalisierung beruht in starkem Maße auf dem billiger und rationeller gewordenen Seeverkehr (Großschiffe, Containertechnik, IT-basierte Logistik). Die oft unsinnige internationale Arbeitsteilung führt zu mehr Verkehr – global wie national. Daran kann nur etwas geändert werden, wenn es massive Eingriffe in die kapitalistische Produktionsweise und deren Arbeitsteilung gibt. Diese sind aber nur denkbar im Zuge großer Klassenkämpfe und letztlich durch den Sturz des Kapitalismus. Davon ist aber bei den „radikalen“ Klimaschützern gerade keine Rede. Mit Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung haben sie nichts am Hut.

Auch beim Autoverkehr spielen der kommerzielle PKW- und der LKW-Verkehr eine zentrale Rolle, nicht der private PKW, der die Familie zur Oma bringt. Ein großer Teil des Autobahnverkehrs besteht aus LKW und Kleinlastern. Wer am Sonntag auf der Autobahn unterwegs ist, wenn keine LKW fahren dürfen, merkt deutlich den Unterschied zu den Wochentagen. Auch die „grüne“ Forderung nach mehr E-Autos ist absurd und völlig ungeeignet, irgendein Verkehrsproblem zu lösen. Der Energieverbrauch von E-Autos ist aufgrund ihres höheren Gewichts durch die Batterien und den Energieverlust durch die Stromspeicherung größer als bei Verbrennern, auch eine Minimierung des Verkehrsaufkommens erfolgt durch sie nicht. Selbst die Emission von CO2 wird nur vom E-Fahrzeug in andere Bereiche verlagert, aber nicht unbedingt minimiert.

Das alles heißt natürlich nicht, dass die Verkehrspolitik, wie sie aktuell von Verkehrsminister Wissing (FDP) betrieben wird, richtig wäre. Er interessiert sich überhaupt nicht für irgendeine Veränderung der Verkehrssituation, sondern baut nur eine neue Autobahn nach der anderen. So gesehen ist Wissing ein typischer Betonkopf.

Allheilmittel ÖPNV?

Ein zentrales Argument der Klimaaktivisten und der sich an ihnen orientierenden Linken für ein Tempolimit und gegen den Autoverkehr allgemein ist die Forderung nach Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sowie nach breiterer Nutzung „alternativer“ Verkehrsmittel wie Bahn oder Fahrrad.

Die Forderung nach Ausbau des ÖPNV ist z.T. unrealistisch. In großen Städten gibt es heute schon ein relativ dichtes Netz aus verschiedenen Verkehrsmitteln. Hier ist nur ein punktueller Ausbau nötig und sinnvoll. In den Randgebieten der Metropolen und im ländlichen Raum hingegen ist das ÖPNV-Angebot meist unzureichend. Oft vergessen wird auch, dass ein starker Ausbau des ÖPNV erheblichen Mehraufwand an Personal, Verkehrsinfrastruktur usw. bedeuten würde, der finanziell nur tw. durch mehr Einnahmen an Fahrgeld ausgeglichen werden könnte. Die (wünschenswerten) Fahrpreissenkungen würden das Problem noch verschärfen und nur dazu führen, dass andere kommunale Ausgaben reduziert werden müssten, um den ÖPNV noch stärker subventionieren zu können. Sinnvoll wäre hier stattdessen ein kostenloser ÖPNV, der bestimmte Aufwendungen (Fahrkarten, Kontrollen, Schwarzfahren usw.) vermeiden oder reduzieren würde. Gerade für den ÖPNV ist auch die Frage des autonomen Fahrens relevant. Die verbleibenden Kosten müssten durch eine progressive Besteuerung des Kapitals finanziert werden.

Ökonomisch wie ökologisch ist es in jeder Hinsicht wichtig, Verkehr – nicht nur Individualverkehr – zu reduzieren. Das bedeutet nicht nur Reduzierung der gefahrenen Kilometer (Personenkilometer), sondern auch der Fahrzeuganzahl. Das ist möglich durch die gemeinsame Nutzung von PKW durch Mitfahrgelegenheiten. Eine andere Option ist das Carsharing. Bewährt haben sich auch Bürgerbusse. Das sind kommunal selbstorganisierte Kleinbusse im ländlichen Bereich, wo der Anschluss an das ÖPNV-Netz schlecht ist oder sich nicht rechnet. Während der Coronazeit hat man das Homeoffice entdeckt, das den Weg zur Arbeit spart. Wir fragen uns nur: Warum kam niemand schon lange vorher darauf, z.B. die Gewerkschaften?!

Diese Maßnahmen funktionieren – wenn auch nur punktuell – in der Praxis schon lange. Eine breitere, systematische Nutzung von alternativen Verkehrsangeboten würde allerdings voraussetzen, dass die Linke und die Arbeiterbewegung sich dessen annehmen müsste. Andere Verkehrskonzepte kollidieren natürlich tendenziell mit den Profitinteressen der Autokonzerne und der Verkehrsunternehmen – egal ob privat oder „öffentlich“ (genauer: staatlich). Sie würden auch nur einen Teil des Verkehrssektors berühren, den Wirtschaftsverkehr per Bahn oder Schiff und den Flugverkehr bei Kurz- und Mittelstrecken tangieren sie kaum. Dort sind Änderungen nur möglich, wenn nationale und internationale Regelungen für andere Rahmenbedingungen sorgen würden. Beim Flugverkehr würde das bedeuten, mehr schnelle Fernbahnverbindungen zu schaffen und mehr Nachtzüge einzusetzen. Der weiter wachsende Güterverkehr allerdings kann nur minimiert werden, wenn die Produktionsweise insgesamt verändert würde – ohne Abschaffung des Privateigentums ist das aber kaum denkbar.

Buhmann Autofahrer?

Die Klimaschützer wollen eine „Verkehrswende“ erzwingen. Das heißt für sie v.a., den CO₂-Ausstoß zu verringern. Da sie an den Grundstrukturen des Kapitalismus aber nicht rütteln wollen, bekämpfen sie die PKW-Fahrer. Diese müssen höhere Benzinkosten berappen, Fahrverbote ertragen, die Einschränkung von Parkraum hinnehmen und höhere Parkgebühren und Strafen aller Art bezahlen. Die Klimaschützer unterstellen dabei, dass die Leute nur aus Jux und Dallerei Auto fahren. Dabei wird das Autofahren schon seit langem immer teurer und viele Dinge im Alltagsleben können heute ohne PKW nicht mehr erledigt werden, v.a. außerhalb der Großstädte. Trotzdem nimmt der Autoverkehr zu. Das alles interessiert den Grün-wählenden hippen Mittelständler in der City, wo man tatsächlich oft auch ohne Auto auskommt, aber wenig.

Auch viele Linke hauen in diese Kerbe. Sie haben immer schon das Auto verteufelt und die Bahn favorisiert. Dabei übersehen diese Weltverbesserer aber leider, wie die Welt beschaffen ist. Die Verkehrsbedürfnisse sind heute ganz andere als noch vor 100 Jahren. Auch die Struktur der Wirtschaft, ja der gesamten Gesellschaft ist eine andere. Die Verlagerung von Gütertransport auf die Bahn z.B. führt nicht 1:1 zu weniger LKW-Verkehr. Vom und zum Bahnhof muss nämlich meist trotzdem der LKW ran und die Ware muss aufwändig umgeladen werden. Insgesamt wären dann auch riesige Bauinvestitionen im Bahnbereich nötig. Es führt kein Weg dran vorbei: ohne Reduktion des Gesamt-Transportaufkommens bleibt jede Verkehrspolitik eine Alibiveranstaltung.

Die Erfindung des Autos war ein riesiger zivilisatorischer Fortschritt. Dass heute auch fast jeder Arbeiter ein Auto besitzt bzw. benutzen kann, ist sowohl ein Erfordernis der kapitalistischen Produktion als auch eine Errungenschaft der Arbeiterbewegung. Am Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ stimmt zumindest, dass der PKW einen tatsächlichen Gewinn an Freizügigkeit darstellt.

Wie jedes System, das unter bestimmten Umständen sinnvoll war und funktioniert hat, ändert es sich, ja kann sogar ins Gegenteil umschlagen, wenn das System sich quantitativ ausdehnt und damit an seine Grenzen kommt. So auch der Autoverkehr, wenn die Städte und die Straßen geradezu in Massen von Autos versinken. Anstatt schneller unterwegs zu sein, steht man ewig im Stau oder sucht einen Parkplatz. Eine Reduktion des Autoverkehrs ist zwingend geboten. Nur darf sie nicht zu einer Verteufelung des Verbrenner-Autos führen, die mit allen möglichen konstruierten Pseudo-Umwelt- und Klimaargumenten „begründet“ wird. Nicht die Masse der PKW-benutzenden Lohnabhängigen dürfen zur Kasse gebeten werden, nicht sie sollen die Suppe auslöffeln. Der Kapitalismus als System muss geändert und überwunden werden! Die damit verbundenen Prozesse – z.B. die Verkehrswende – müssen von der Arbeiterklasse, also der Mehrheit der Produzenten und Konsumenten kontrolliert und bestimmt werden – nicht vom Kapital, vom Staat, von Lobbyisten und selbsternannten „grünen Experten“! Das ist der Kern der Sache! Doch so weit reicht das Denken der Letzten Generation nicht – vielleicht kommt das von den Leimdämpfen?

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