Unterdrückung: Gendern oder Ändern?

Hannah Behrendt

Seit Jahren bewegt die Öffentlichkeit die Frage des Genderns der Sprache. Die Befürworter des Gebrauchs von Sternchen, großem Binnen-I, Unterstrichen, Doppelpunkten u.a. Zeichen begründen das Gendern damit, dass das generische Maskulinum (die generelle männliche Form) in der deutschen Sprache das weibliche Geschlecht (u.a Geschlechter, die es gebe) diskriminiert sei, weil nur die männliche Form gebraucht würde. Das Gendern würde somit dem „Verschwinden“ anderer Geschlechter entgegenwirken und zu mehr Gleichberechtigung beitragen. Insofern ist die Intention des Genderns auf den ersten Blick nachvollziehbar, ja fortschrittlich.

Wie kommt es aber, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung – lt. verschiedenen Umfragen 65-85% – das Gendern ablehnen? Das verwundert umso mehr, als sich die deutsche Sprache gegenwärtig stärker und schneller verändert als je zuvor – es aber deshalb zwar Bedenken, aber keine Ablehnung oder gar Bewegung gegen die Benutzung von immer mehr Anglismen gibt.

Pro und …

Die Befürworter des Genderns behaupten, das Gendern würde die Gleichbehandlung der Geschlechter und das Nachdenken darüber fördern. Es würde bedeuten, sich politisch im Sinne der Gleichberechtigung der Geschlechter, bes. auch „nicht-binärer Menschen“, zu engagieren. Wir wollen nicht bestreiten, dass das Gendern das Nachdenken über die Geschlechterfrage anregt. Leider aber ist dieses „Nachdenken“ mit völlig unwissenschaftlichen Auffassungen verbunden (she. weiter unten) und das Aufoktroyieren von Sprache erzeugt eher Ablehnung als Nachdenken. Auch das zweite Argument sticht nicht. Die wirklich wichtige Frage der immer noch bestehenden Benachteiligung von Frauen wird durch die Überbetonung von „nicht-binären“ Minderheiten verdrängt. Die soziale Frage wird quasi auf die Frage der sexuellen Orientierung reduziert. Auch von einem „Engagement“ für die Gleichberechtigung der Geschlechter kann nur sehr bedingt gesprochen werden. Volle soziale Gleichberechtigung v.a. für die mit Abstand größte benachteiligte Gruppe, die Frauen, ist im Kapitalismus ohnehin nicht erreichbar.

Verbesserungen hier und heute erfolgen aber nicht durch Reformen der Sprache, sondern durch den Klassenkampf und die Selbstorganisation von Frauen – und Männern. Sie erfordert, die Linke und v.a. die Gewerkschaften umzugestalten und sie wieder zu wirklichen Kampforganisationen der Lohnabhängigen zu machen. Diese – die lohnabhängigen – Frauen usw. sind nämlich die wirklich Unterdrückten, nicht oder weit weniger die Frauen der oberen Schichten. Das alles haben die Genderisten aber gerade nicht auf dem Zettel. In gewissem Maße können wir sogar sagen, dass die Genderideologie den wirklichen Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter unterminiert und auf ein Nebengleis lenkt. Ja, das Gendern und die Geschlechterdebatte haben sogar selbst einen diskriminierenden Aspekt, indem sie absurde Feindbilder wie die „alten weißen Männer“ oder die „Cis-Männer“ aufbauen.

… Contra

Der erste Grund für die Ablehnung des Genderns ist fraglos die größere Umständlichkeit der Schriftsprache, Texte werden durch das Gendern länger und schwerer lesbar. Ein anderer ist die größere Schwierigkeit, gegenderte Sprache zu lernen, v.a. Kinder und Ausländer haben erhebliche Probleme damit. Beim Sprechen ist das Gendern nur bedingt anwendbar oder gar unmöglich, auf jeden Fall aber einfach nur nervig, wenn der Redefluss durch künstliche „Stocker“ unterbrochen wird. Die breite Ablehnung des Genderns in der Bevölkerung hat v.a. zwei Gründe: 1. lehnt man das Überhelfen, tw. kann man sogar vom Aufzwingen des Genderns ab. Die meisten Menschen wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie sie zu sprechen haben. Die Praxis, einen bestimmten Sprachgebrauch zu reglementieren, kennzeichnet nicht zufällig v.a. Diktaturen. Im Faschismus oder unter Stalin gab es viele sprachliche Vorgaben, die man besser erfüllte, wenn man keinen Ärger haben wollte. Auch in der DDR war v.a. der offizielle Sprachgebrauch vorgeschrieben und für seine Absurdität berühmt. In der Alltagssprache hat sich dieses Offiziöse jedoch nie durchgesetzt.

Ein bisschen Zwang muss sein …

Die Reglementierung des Sprachgebrauchs durch Gender-Vorschriften ist inzwischen weit verbreitet. Die Chefs vieler Ämter, Unternehmen oder Unis vergattern ihre „Untergebenen“ dazu, zu gendern. Beispielhaft in diesem Kontext ist ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. vom Juni 2022. Es gab eine Klage gegen die Anreden „Herr“ und „Frau“ bei der Deutschen Bahn. Das Gericht entschied, dass die Bahn die Anreden durch weitere Ansprachen für Menschen mit dem Geschlechtsmerkmal „divers“ ergänzen muss.

Hinter der Ablehnung offizieller Sprachvorschriften steht auch eine – völlig richtige – kritische Haltung zu den Herrschenden und eine grundlegende Skepsis gegenüber Ideen, die von „oben“ kommen. Erinnern wir uns an die Rechtschreibreform, die als Elefant begann und als Mäuschen endete, um nicht zu sagen völlig gescheitert ist. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie „Experten“ in ihrem „wissenschaftlichen“ Elfenbeinturm etwas ausdenken, was oft nur noch absurd ist und in der Realität scheitert. Auch das Gendern ist ein Projekt der akademischen Elite und geht an der Lebens- und Sprachwirklichkeit der Mehrheit vorbei. Es reiht sich somit ein in eine ganze Reihe bürgerlicher Ideologien und Kampagnen wie z.B. die Klimakatastrophistik.

Das generische Maskulinum in der deutschen Sprache hat mit dem biologischen Geschlecht lt. Definition nichts zu tun. Dass das so wäre und auch so verstanden würde, ist eine Behauptung der Gender-Befürworter. Wenn von Lehrern gesprochen wird, versteht jeder „normale“, nicht von der Genderideologie beeinflusste Mensch, dass damit alle Lehrer, männliche wie weibliche gemeint sind, viele haben dabei sogar eher die Lehrerinnen vor Augen, da diese die Mehrheit der Lehrer stellen. Ähnlich ist es bei Krankenpflegern. Genauso wenig Sinn macht es, wenn von der „Arbeiter:innenklasse“ die Rede ist, da der Begriff der Klasse alle Angehörigen der Klasse meint. Zudem definiert sich eine Klasse nicht nach der sexuellen Orientierung oder dem Geschlecht, sondern zuerst nach der sozialökonomischen Stellung ihrer Mitglieder. Sicher spielen auch andere Aspekte als nur die soziale Lage eine Rolle, nur sind diese eben nicht wesentlich für die marxistische Kategorie der Klasse. Hier zeigt sich schon die bornierte Ausrichtung des Genderns auf die individuelle Befindlichkeit und individuelle Kategorien. Dass die bürgerliche Gesellschaft v.a. von Klassen und Klassenverhältnissen geprägt ist, wird von den Gender-Befürwortern meist ausgeblendet. Das Gendern kann sogar konservative Vorstellungen bezüglich der Geschlechtergleichheit verstärken, weil die Geschlechterfrage überbetont wird, auch da, wo sie gar keine Rolle spielt.

Sozialer Hintergrund

Es ist kein Zufall, dass die Gender-Aktivisten meist nicht etwa aus den Reihen derer kommen, die in der Arbeiterbewegung oder der Linken schon immer für die Gleichberechtigung der Geschlechter gekämpft oder gar Vorschläge für eine politische oder soziale Bewegung dafür gemacht haben. So kam es wiederholt vor, dass Genderaktivisten verhinderten, dass sich am 8. März auch Männer an den Aktionen am 8. März, dem Internationalen Frauentag, beteiligen konnten. Die Ideologie des Genderns ist die Kopfgeburt eines kleinen universitären Milieus, das ursprünglich aus den USA kam. Sie entspricht der sozialen Stellung, den Ansichten und Bedürfnissen der lohnabhängigen Mittelschicht, die sehr stark universitär geprägt ist (um nicht indoktriniert zu sagen). Im Unterschied zu anderen sozialen Schichten und Berufsgruppen sind Frauen in der Bildung, an Unis, in den Verwaltungen usw. stärker vertreten und haben natürlich ein Interesse daran, die gleichen Chancen zu haben wie Männer. Dazu kommt, dass die lohnabhängige Mittelschicht – im Unterschied zum traditionellen Kleinbürgertum oder zur Arbeiterklasse – persönlich stärker mit der Globalisierung von Informationen, Personal, Wirtschaftsbeziehungen usw. verbunden ist und daher nationalistische, rassistische u.a. offen reaktionäre Ideologien und Verhaltensweisen eher ablehnt. Das spielt auch im Auftreten von global agierenden Unternehmen eine wichtige Rolle, um überall von Beschäftigten oder Kunden akzeptiert zu werden. Das ist der Hintergrund dafür, dass in Unternehmen, an Unis oder in Ämtern oft das Gendern üblich oder sogar vorgeschrieben ist.

Eine andere Seite dieser Ideologie ist die „Gleichstellungspolitik“. Sie drückt einerseits das durchaus berechtigte Anliegen aus, Diskriminierung entgegen zu wirken, andererseits ist sie aber auch der Versuch, dieses Bemühen zu institutionalisieren und bürokratisch zu regeln, anstatt es mittels klassenkämpferischer Methoden durchzusetzen. Anstelle der Arbeiterbewegung – konkret der Gewerkschaften – tritt der Staat bzw. ein quasi „staatlicher“ Gleichstellungsbeauftragter in Betrieb oder im Öffentlichen Dienst. Dieser ist dann materiell und ideologisch an das Unternehmen bzw. den Staat gebunden – ein typischer Vertreter der lohnabhängigen Mittelschicht.

Herrschaftstechniken

Das Problem dahinter ist die Auffassung, (vermeintlich) fortschrittliche Anliegen durch den Staat, per bürokratischer Anordnung umsetzen zu können. Doch der Staat ist eben nicht neutral, sondern der ideelle Gesamtkapitalist und sichert die Durchsetzung der Verwertungs- und Herrschaftsinteressen des Kapitals. Die Arbeiterbewegung, der einzig wirklich relevante Faktor zur Durchsetzung progressiver Entwicklungen, bleibt dabei außen vor und wird durch bürokratische Mechanismen ersetzt. Natürlich führt auch der Klassenkampf in aller Regel nur zu begrenzten Zugeständnissen, zu Abmachungen und Kompromissen mit dem Klassengegner – doch er bleibt als Faktor und als organisierte Struktur bestehen. Wird der Klassenkampf, wird die Selbstorganisation der Lohnabhängigen jedoch durch bürokratisches Management ersetzt, verkümmert dieser Faktor. Es ist aber gerade die Methode der reformistischen Bürokratie im DGB, in der SPD und in der LINKEN, diese bürokratische Institutionalisierung voran zu treiben, um ein „Ausufern“ des Klassenkampfes und die schwerer zu kontrollierende Selbstorganisation der Basis zu verhindern.

Auf dem Gebiet der Sprache ist es nicht anders. Mehr oder weniger selbsternannte Gremien befinden darüber, wie der Sprachgebrauch der Deutschen auszusehen habe. Die Versuche von „Experten“, von Kultusministerien, leitenden Gremien von Unis und Behörden usw., eine „gendergerechte Sprache“ durchzusetzen, ist in höchstem Maße bürokratisch und undemokratisch. Wenn eine klare Mehrheit der Bevölkerung das Gendern ablehnt, missachten alle Versuche, es trotzdem durchzusetzen, diese Mehrheit. Die Methode, der Mehrheit political correctness zu verordnen, kommt auch in der cancel culture und in der Gleichschaltung der Großmedien zu Regierungsmedien zum Ausdruck. Die massive, Angst und damit Gehorsam erzeugende Propaganda können wir auch in Sachen Corona oder Klima erleben.

Es geht hier keineswegs nur um einige „Entgleisungen“ oder bedauerliche Fehlentwicklungen, sondern um eine gezielte Strategie zur Beeinflussung, Konditionierung und Beherrschung der Gesellschaft. Dieses Vorgehen ist ein wichtiges Merkmal des Agierens der Mächtigen im 21. Jahrhundert. Im Unterschied zum 19. und 20. Jahrhundert spielen ideologische Faktoren (Medien, Politik, Kultur, Bildung, Wissenschaft) heute eine weit bedeutendere Rolle bei der Machtausübung des Kapitals. Auch die Werkzeuge, die dabei gebraucht werden, sind tw. neu. Dazu zählen etwa die NGOs, diverse Thinktanks und Bewegungen wie Fridays for Future oder die Letzte Generation. Da diese weitgehend außerhalb von Parteien und Staat agieren, entsteht der Eindruck, dass sie spontan wären und die Intentionen von Massen vertreten würden. Doch diese selbsternannten „Weltretter“ sind nur die nützlichen Idioten zur Umsetzung der Agenda bedeutender, meist US-basierter Kapitalfraktionen. In deren Taktik spielt das Umformen von Werten, Begriffen und Strukturen in für das Kapital kompatible Formen eine zentrale Rolle. Diese Bemühungen dienen nicht nur der ideologischen Indoktrinierung, sondern sind auch ein Ablenkungsmanöver vom Klassenkampf und vom Sozialismus. Heute kämpft man nicht mehr für mehr Lohn für Frauen, sondern für eine gendergerechte Sprache, heute kämpft man nicht mehr gegen das Kapital, sondern gegen das CO2 usw.

Was ist Sprache?

Sprache ist das wichtigste Element der Kultur. Sie verändert sich ständig, kann aber weder auf künstliche Weise etabliert noch in kurzer Frist wesentlich geändert werden. Wenn es darum geht, die Gesellschaft grundlegend zu verändern, kann das nicht durch die Änderung des Überbaus, d.h. des staatlichen, ideologischen usw. Bereichs erfolgen, sondern durch grundlegende Veränderungen ihres Unterbaus, der Ökonomie und v.a. der Eigentumsverhältnisse. Die Gender-Ideologie hingegen folgt im Kern der Ansicht, dass v.a. oder nur das Bewusstsein geändert werden müsse. Diese Weltsicht ist damit wesentlich idealistisch, mitunter ist sie sogar mit der Idee verbunden, dass die Welt nur in der Vorstellung, also nur ideell existieren würde. Will man die Realität verändern, muss man – aus Sicht des Marxismus – die Arbeiterklasse organisieren, muss eigene Klassenstrukturen aufbauen, mittels derer die Klasse für ihre Interessen und sozialen Fortschritt kämpfen kann. Dazu gehört auch, eine bestimmte revolutionäre Weltanschauung in der Klasse zu verankern. Das ist dadurch möglich, dass man bestimmte Inhalte transportiert, die auch in bestimmten Begriffen zum Ausdruck kommen. Doch weder Marx und Engels oder andere Marxisten sind auf die krude Idee gekommen, eine andere Schreibweise einzuführen oder gar zu verordnen.

Sicher, auch Sprache ist ein Mittel zum Verständnis und zur Veränderung der Realität. Der Wandel der Sprache ist immer auch Reflexion auf die Veränderung der Realität bzw. steht damit im Zusammenhang. So ist etwa die Zunahme von Anglismen in der Sprache Ausdruck der Entwicklung neuer Technologien, die zumeist aus dem englischen Sprachraum kommen. Sie drückt auch das Bedürfnis nach einer allgemein nutzbaren „Weltsprache“ in Zeiten der Globalisierung aus. Parallel zu diesen Entwicklungen, die alles in allem positiv sind, weil sie die Interaktion der Weltgemeinschaft fördern, gibt es aber auch Tendenzen des „Sprachverfalls“ – und mangelnde Sprachkultur ist ein Ausdruck mangelhaften Denkens bzw. des Verkümmerns bestimmter kognitiver und kultureller Fähigkeiten. Ein Beispiel dafür ist die sog. Digitale Demenz, d.h. der Verlust bestimmter kognitiver Fähigkeiten durch zu frühe und zu starke Nutzung digitaler Technik im Kindesalter. Eingebettet sind solche Tendenzen in die allgemeine Lebensweise im Kapitalismus, wo alles – auch der Mensch – zur Ware wird und sich zum Warenmarkt konform verhalten soll. Selbst wenn das Gendern eine positive Funktion hätte, müsste es in diesem größeren gesellschaftlich-historischem Zusammenhang gesehen werden, was bei den Genderisten meist nicht der Fall ist. Die Gender-Ideologie ist ein typisches Beispiel für sektorales, begrenztes, borniertes Denken, das die Totalität der Verhältnisse nicht im Blick hat.

Wenn es eine reale soziale Bewegung gäbe, die für die Gleichberechtigung der Geschlechter kämpfen würde – und das könnte nur die Arbeiterbewegung sein -, dann würde diese natürlich auch gewisse Veränderungen im Sprachgebrauch mit sich bringen. Dann wäre Sprache Ausdruck von realen Veränderungen und Faktoren. Doch das ist das Gendern gerade nicht! Es steht sogar meist im Widerspruch oder verhält sich ignorant zum Klassenkampf und dessen Anforderungen. Es versucht, das Pferd von hinten aufzuzäumen, indem man Sprache vorschreibt, ohne dass es dafür eine reale soziale Basis bzw. Bewegung geben würde.

Die Geschlechterfrage

Die Ideologie, die hinter dem Gendern steckt, geht von drei Prämissen aus: 1. die Geschlechterfrage ist die wichtigste, die grundlegende soziale Frage. 2. wird das Geschlecht sozial definiert – als Ergebnis bestimmter Zwänge, Traditionen und Strukturen der (bürgerlichen) Gesellschaft. 3. gibt es mehr als nur zwei Geschlechter, die sich v.a. durch die sexuelle Orientierung unterscheiden würden.

Alle diese Prämissen sind falsch bzw. grob einseitig. Die Geschlechterfrage ist zweifellos sehr wichtig und gewissermaßen die älteste Frage, die älteste Differenzierung in der Menschheitsgeschichte. Darauf haben schon Marx und Engels hingewiesen. Sie sprachen von der „welthistorischen Niederlage des weiblichen Geschlechts“ infolge des Übergangs vom Matriarchat zum Patriarchat im Zusammenhang mit der Entstehung des Privateigentums. Diese Veränderungen fanden auch in der Sprache ihren Ausdruck, das generische Maskulinum ist nur eine davon. So, wie die Sprache sich innerhalb bestimmter sozialer Verhältnisse entwickelt und verändert hat, so kann sie sich auch nur infolge solcher Veränderungen wieder wandeln. Dabei ist zu beachten, dass Sprache das wichtigste Kulturgut ist, das von jedem Menschen benutzt wird. Man kann eine wissenschaftliche Formel durch eine andere „künstlich“ ersetzen, aber nicht Sprache – zumindest nicht ohne große Kollateralschäden.

Die Gender-Ideologen „übersehen“, dass es auch noch andere Fragen gibt, die für die Struktur und die Dynamik der Gesellschaft wesentlich sind, so etwa die Klassenfrage oder die nationale Frage. Nur durch dieses unseriöse Abstrahieren von der sozialen Realität und der sozialen Totalität kann behauptet werden, dass die Geschlechterfrage die einzige oder wichtigste wäre. Zumindest müsste man doch sehen, dass auch die Geschlechter Klassen angehören …

Auch die Behauptung, dass das Geschlecht wesentlich sozial determiniert wäre, ist falsch. Der Mensch ist auch ein biologisches Wesen und keineswegs nur sozial bestimmt. Dass wir Hunger, Durst und Müdigkeit empfinden, dass wir einen Sexualtrieb haben, ist uns von der Natur mitgegeben. Sie bestimmen unser soziales Leben ganz wesentlich. Nachdem der Mensch, seit er aus seiner Existenz als „Nur-Naturmensch“ herausgetreten und zu einem sozialen Wesen geworden ist, wird er natürlich immer stärker sozial und „kulturell“ geprägt. Trotzdem wird unser Verhalten immer auch von Genen, der Chromosomenkombination, Hormonen u.a. biologischen Faktoren beeinflusst sein.

Im Unterschied zu den Gender-Ideologen kennt die Biologie (bei Säugetieren) nur zwei Geschlechter. Diese bestimmen sich aber nicht – wie die Genderisten meinen – durch die sexuelle Orientierung, sondern dadurch, welche Rolle sie in der Reproduktion ihrer Art spielen. Können sie Nachwuchs austragen und zur Welt bringen oder nicht? Es ist keine neue Erkenntnis, dass das natürliche Geschlecht und die sexuelle Orientierung auseinanderfallen können. Nicht alle Vertreter der Art sind heterosexuell orientiert, die sexuelle Orientierung kann sich ändern, sie kann „fluktuieren“. Ob eine Frau aber hetero ist oder lesbisch, ob sie Kinder bekommt oder nicht ändert nichts daran, dass sie eine Frau ist. Es ist lange bekannt, dass jeder Mensch in sich sowohl männliche wie weibliche Veranlagungen hat, die sich auch sexuell ausdrücken. Deshalb kam früher, als gewissermaßen noch die Naturwissenschaft dominierte und nicht Ideologie, jedoch niemand auf die Idee, die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern zu behaupten.

Es soll nicht bestritten werden, dass es auch soziale Einflüsse darauf gibt, welche Rolle die Geschlechter in der Gesellschaft spielen (sollen), ja sogar auf die Zuordnung des Einzelnen zu einem Geschlecht können sie Einfluss haben, z.B. wenn ein Jugendlicher, der noch sein Verhältnis zum eigenen und zum anderen Geschlecht „finden“ muss, durch äußere Einflüsse zur Geschlechtsumwandlung animiert wird. Gleichwohl sind das seltene Ausnahmen, genauso wie „untypische“ sexuelle Orientierungen Ausnahmen, nicht die Regel und schon gar nicht eine gesellschaftlich relevante Gruppe in dem Sinne sind, dass sie in der sozialen Struktur wesentlich wären, wie z.B. eine Klasse.

Daraus folgt allerdings überhaupt nicht, dass uns bei Minderheiten die Benachteiligung egal sein könnte. Fortschrittliche Kräfte und die Arbeiterbewegung haben auch früher schon dagegen gekämpft, dass sexuelle, nationale u.a. Minderheiten unterdrückt werden. Diese Einsichten mussten sich oft erst gegen unwissenschaftliche Ansichten und bornierte Traditionen auch im Proletariat selbst etablieren. Es waren aber nicht künstliche Veränderungen der Sprachpraxis, sondern der reale Kampf für Verbesserungen der Lage der Frauen und von Minderheiten, der Veränderungen brachte.

Wenn es beim Gendern wirklich darum ginge, in der Sprache die Unterdrückung von „geschlechtlichen Minderheiten“ zu bekämpfen, dann müssen wir uns auch die Frage stellen, was mit anderen Unterdrückungsverhältnissen ist? Sind sie unwichtig? So sind z.B. die gängigen Begriffe „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ völlige Verdrehungen des realen sozialen Verhältnisses zwischen Kapitalisten und Lohnabhängigen. Die Arbeit geben die Arbeiter, nicht die „Arbeitgeber“, letztere geben den Arbeitsplatz, d.h. sie verfügen über die Produktionsmittel, während der Arbeiter (der juristisch frei ist) nur über seine Arbeitskraft verfügt, die er an den Kapitalisten verkaufen kann – und muss. Wann hätte dieser eigenartige Sprachgebrauch die Genderaktivisten je gestört?! Hieran zeigt sich, dass die Behauptung, mit dem Gendern die Verhältnisse zu ändern, nur eine hohle Phrase ist. Man will vielleicht das Geschlechterverhältnis ändern, aber nicht die Gesellschaft insgesamt. Als „Gesellschaft“ stellen sich die gendernden Weltverbesserer meist nämlich nur eine bürgerliche Gesellschaft vor.

Gesellschaftliche Verhältnisse, wozu auch Geschlechterverhältnisse zählen, zu ändern ist nicht durch das Gendern von Sprache möglich, sondern letztlich nur durch das Ändern der sozialen Umstände durch die Aktion der Arbeiterbewegung, der Linken und fortschrittlicher Kräfte. Diese geänderten Umstände verändern dann ihrerseits auch die Sprache. Die Unterdrückung etwa von Frauen oder Schwulen und Lesben ist wesentlich an deren Unterdrückung als Lohnabhängige gebunden. Das Lohnabhängigkeitsverhältnis als das prägende Verhältnis der kapitalistischen Gesellschaft kann aber nicht durch eine andere Sprechweise verändert werden.

Die Linke

Nahezu die gesamte Linke (vom Reformismus bis hin zur subjektiv revolutionären Linken) übernimmt das Gendern, benutzt diverse Sonderzeichen und erfindet jährlich eine andere Abkürzung für diverse Minderheiten. Allein die Unterschiedlichkeit der Zeichenbenutzung und der gendernden Abkürzungen ist höchst verwirrend, verhöhnt jedes Sprachgefühl und verhindert zudem, dass das Gendern überhaupt eine Chance hat, massenhaft in die Sprachpraxis einzufließen. War die Benutzung eines großen Binnen-I zur Kennzeichnung von Frauen noch einigermaßen sinnvoll und praktikabel, so ist alles andere – Sternchen, Doppelpunkte, Unter- und Schrägstriche usw. – nur noch absurdes Theater einer elitären Minderheit.

Marx und Engels haben Zeit ihres Lebens „linke“ und „sozialistische“ Ideologen angeprangert, die nicht im Klassenkampf, sondern in der Erfindung begrifflicher Schrullen, von Patentrezepten und in der Nur-Reformiererei das Ziel des Sozialismus sahen. Schon im „Kommunistischen Manifest“ haben sie diese Ideologien kritisiert, so z.B. hier: „Unter Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse versteht dieser Sozialismus aber keineswegs Abschaffung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse, die nur auf revolutionärem Wege möglich ist, sondern administrative Verbesserungen, die auf dem Boden dieser Produktionsverhältnisse vor sich gehen, also an dem Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit nichts ändern (…) Seinen entsprechenden Ausdruck erreicht der Bourgeoisiesozialismus erst da, wo er zur bloßen rednerischen Figur wird.“

Die meisten Menschen können über das Gendern u.ä. theatralische „linke“ Gesten nur entnervt den Kopf schütteln und sich fragen, ob die Linke nicht andere Sorgen hat. Sarah Wagenknecht hat völlig recht, wenn sie diese „selbstgerechten“ Mainstream-Linken kritisiert. Die Position dieser Linken offenbart nicht nur, wo sie sozial verankert und geprägt wurden – in der universitären lohnabhängigen Mittelschicht; sie zeigt auch, wie unfähig die (deutsche) Linke ist, bürgerliche Ideologien und Bewegungen zu analysieren und eine Alternative dazu zu formieren. Nicht nur in der Genderfrage, sondern auch bei den Themen Klima, Energie, Kernkraft, Corona, cancel culture, Demokratie usw. folgt sie weitestgehend den „Werten“ der (oft „grünen“) bürgerlichen Ideologien. Damit steht die Linke in vielen Fragen auf der Seite der Herrschenden – gegen die Interessen der lohnabhängigen Mehrheit. Kein Wunder, dass sich die Massen immer mehr von den „Linken“ abwenden. Der Niedergang der SPD und der LINKEN sowie die Schwindsucht des DGB als den reformistischen Organisationen ist ein Aspekt des Desasters, die zunehmende Schwäche und Isolation der „radikalen Linken“ ist ein anderer.

Während sich die Linke und die Arbeiterbewegung immer weniger bereit und in der Lage zeigen, den Klassenkampf gegen das Kapital, gegen den Staat und gegen die bürgerlichen Ideologien zu führen, orientieren sie sich immer stärker auf Pseudo-Themen und Symbolpolitik. Diese Situation lässt nur einen Schluss zu: Wir brauchen eine neue Linke und eine gänzlich andere Arbeiterbewegung – wir brauchen eine neue revolutionäre Arbeiterpartei!

Ein Aspekt des Kampfes darum ist eine klare marxistische Gegenposition zum Gendern. Die Initiative Aufruhrgebiet benutzte lange das große Binnen-I, um auf die Bedeutung der Frauen als besonders Unterdrückte, aber auch als Teil der Arbeiterbewegung hinzuweisen. In diesem Zusammenhang sahen wir diese – aber nur diese – Form des Genderns als sinnvoll an. In den letzten Jahren hat sich aber gezeigt, dass das Gendern – trotz massiven offiziellen Drucks – von einer klaren Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Auch ein Teil der Linken – und gerade jener Teil, der besser als andere Linke die ideologischen Kampagnen der Herrschenden durchschaut – lehnt das Gendern, v.a. deren absurdeste Formen, ab. Der Gebrauch des Genderns reiht einen Linken heute fast automatisch in die Szene derer ein, die die Geschäfte der Herrschenden besorgt und sich bürgerlichen Kampagnen anpasst. Daher hat sich Aufruhrgebiet vor einiger Zeit dazu entschieden, keine Form des Genderns mehr zu benutzen.

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