BSW: Linkspartei 2.0?

Hanns Graaf

Am 8. Januar 24 wurde die lange angekündigte Gründung der „Wagenknecht-Partei“ vollzogen. Ihr voller Name lautet „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“, die Kurzbezeichnung ist BSW.

Mit Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali sind die zwei Ex-Chefinnen der LINKEN-Fraktion im Bundestag nun Vorsitzende des BSW. Komplettiert wird die Führungcrew durch andere Ex-LINKEN-Funktionäre, den Wirtschaftsprofessor und Unternehmer Shervin Haghseno, Ralph Suikat, ebenfalls Unternehmer, und Thomas Geisel, der frühere SPD-Bürgermeister von Düsseldorf.

Am 27. Januar fand in Berlin der erste Parteitag mit handverlesenen Mitgliedern statt. Dort wurde das Europawahlprogramm beschlossen und dafür die Kandidaten, darunter der durch den Cum-Ex-Untersuchungsausschuß bekannte Fabio de Masi als Spitzenkandiat, gewählt.

Die Programmatik

Wir haben in früheren Beiträgen (Saurer Wein in neuen Schläuchen und Wagenknecht: Eine Alternative?) bereits dargelegt, dass die Programmatik des BSW, die im Gründungsaufruf sowie in den Statements von Wagenknecht und ihren Mitstreitern zum Ausdruck kommt, eine rein reformistische Ausrichtung hat und der politischen Methodik der LINKEN und der SPD früherer Jahrzehnte entsprechen. Allerdings gibt es in etlichen konkreten Fragen auch Unterschiede zur Politik der LINKEN, etwa zur Genderfrage, zur Milieu- und Geschlechterpolitik oder zur Frage der Massenmigration.

Allein schon der Umstand, dass die BSW-Partei ohne eine fundierte Programmatik gegründet wurde, verweist darauf, welche Bedeutung diese Frage für Wagenknecht hat – im Grunde keine. Für den Reformismus reicht es nämlich völlig aus, einige positive Reformziele zu benennen, die sich zudem allesamt im Rahmen des Kapitalismus bewegen und keinen Millimeter darüber hinausweisen. Als Mittel der Umsetzung dieser Ziele orientiert man sich nur auf den Parlamentarismus und das Mitregieren (in bürgerlichen Regierungen!), Mobilisierungen spielen allenfalls als Druckmittel eine Rolle. Eine Programmatik des Klassenkampfes, die ein System von Strategie und Taktiken darstellt, das – auf Basis historischer Erfahrungen – klar angibt, mit welchen Methoden, mit welchen Strukturen, mit welchen Partnern gekämpft werden soll, sucht man vergebens. Jede theoretische und historische Herleitung der eigenen Politik wird vermieden. Warum? Erstens, um dem Apparat jeden Schwenk, jede Anpassung und jeden Verrat im Rahmen des unverbindlichen Programms zu ermöglichen. Zweitens, um das völlige historische Versagen, das Scheitern des Reformismus (und des Stalinismus) in fast anderthalb Jahrhunderten, wodurch die Linke und die Arbeiterbewegung weitgehend ruiniert wurden, zu verschleiern.

Die zweistündige Pressekonferenz zur Parteigründung und etliche Statements von BSW-Spitzen erlauben es inzwischen, sich ein genaueres Bild von der politischen Ausrichtung des BSW zu machen.

Dabei wird deutlich, dass Wagenknechts berechtigter Vorwurf an die LINKE, sich den Interessen der Lohnabhängigen zu wenig zu widmen, nicht etwa bedeutet, sich wirklich auf die Arbeiterklasse zu beziehen und deren Kämpfe und Organisationen positiv zu beeinflussen. Davon ist nichts zu merken! Es geht den BSW-Initiatoren überhaupt nicht darum, neue Vorschläge zu machen; nein, das BSW will so weiterwurschteln wie bisher schon die LINKE – obwohl diese (wie in größerem Rahmen auch die SPD) mit ihrer Politik Arbeiterinnen und Arbeiter massenhaft verprellt hat. Sie hat sich z.B. immer geweigert, die politische und strukturelle Dominanz der SPD über die Gewerkschaften zu bekämpfen, indem man u.a. für eigene Fraktionen in den DGB-Gewerkschaften eingetreten wäre. So, wie es bisher aussieht, wird das BSW wird von dieser fatalen Politik nicht abweichen.

Eine andere, entscheidende Frage ist die Regierungsfrage. Klaus Ernst betonte Anfang Januar, dass das BSW mit allen (!) Parteien mit Ausnahme der AfD koalieren würde. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Politik des Mitregierens der LINKEN weitergeführt wird – obwohl diese maßgebend dafür verantwortlich war, dass die LINKE für immer mehr Enttäuschung sorgte und sich als Opposition selbst demontierte. Der Umstand, dass man keinen Plan (weil keine Absicht) hat, wie der Klassenkampf geführt und ein Oppositionspotential aufgebaut werden, führt natürlich fast automatisch dazu, sich fast nur auf den Parlamentarismus und das Mitregieren zu fokussieren.

Systemfrage

Die Pressekonferenz zeigte auch ganz klar, dass man an die Frage einer Alternative zum Kapitalismus (selbst in unverbindlicher und abstrakter Form) keinen Gedanken verschwendet. Alle Statements wirkten „seriös“, brav und demokratisch „gesittet“. Von einem „Aufmischen“ der Parteienlandschaft, war nichts zu spüren – weder inhaltlich, noch im Tonfall. Das fast peinliche Bemühen der BSW-Vorderen um Political correctnes, ihre Weigerung, das kapitalistische System, seine Grundlagen und Mechanismen auch nur in irgendeiner Hinsicht in Zweifel zu ziehen, kann nur eine Wirkung haben: diejenigen Kräfte, die bereit und in der Lage sind, etwas zu verändern – in revolutionärer wie in reformerischer Hinsicht – abzustoßen. Viele von ihnen wissen nämlich durchaus besser als die BSW-Gründer, dass mit einer leicht modifizierten Neuauflage der alten SPD- und LINKEN-Politik kein Blumentopf gewonnen werden kann.

Manche hätten erwartet, dass das BSW die über 30 Jahre lang praktizierte Politik der PDS bzw. der LINKEN einer grundsätzlichen kritischen Analyse unterzieht und daraus Schlüsse zieht. Davon ist bis jetzt wenig zu merken.

Auch das Führungspersonal des BSW spiegelt die Intention wider, den Kapitalismus besser und effizienter zu verwalten, als das andere können. Wir wollen – angesichts des zunehmenden Irrationalismus und der offenkundigen Dummheit der Ampel-Akteure – gar nicht bestreiten, dass das in gewissem Maße möglich wäre. Doch der Spielraum ist dafür sehr eng und die Ausnutzung dieses Spielraums durch das BSW hat ohnehin mit einer alternativen Gesellschaft nichts zu tun. So vertraten die westdeutschen DGB-Funktionäre in der LINKEN wie z.B. Klaus Ernst nie eine andere Gewerkschaftspolitik als die, welche der DGB bis in die 1980er Jahre immer betrieben hat: die Politik der „Sozialpartnerschaft“. Niemand von all diesen linken „Erneuerern“ kam je auf die Idee, dass gerade der Sozialdemokratismus die Arbeiterbewegung und jedes wirklich gesellschaftsverändernde Potential ruiniert hat. Sie meinen, dass nur der rechtere Reformismus falsch sei. Sie glauben, wenn das dreibeinige Pferd besser gefüttert würde, könnte es das Rennen machen.

Bezeichnend ist auch, dass das BSW bisher nichts unternommen hat, um in der Friedensfrage weiter zu kommen. Immerhin waren es ja Wagenknecht und Alice Schwarzer, die die erste Friedensmanifestation gegen die Kriegspolitik der Ampel initiierten. Doch weder diese beiden noch das BSW haben seitdem irgendetwas unternommen, um die Anti-Kriegsbewegung weiter aufzubauen. Auch hier wird Opposition und Widerstand nur auf einmalige mediale Aktionen beschränkt.

Beispiel Klimapolitik

Die Kritik von Sahra Wagenknecht an der LINKEN, die sie u.a. in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ prägnant dargestellt hat, ist in etlichen Punkten durchaus richtig. So hat sie etwa die absurd überzogene Coronapolitik, die Klima- und Energiepolitik, die Gender-Manie, die Cancel culture u.a. Irrungen und Wirrungen der Politik und des Agierens der LINKEN zu recht aufs Korn genommen. Auf der Pressekonferenz erfolgte nun aber erneut ein grundsätzliches Bekenntnis zur Klimapolitik und der damit begründeten Energiewende. Diese falsche, wissenschaftlich nicht begründbare Position ist das notwendige Ergebnis der rein ideologisch getriebenen Methode von Politik, welche die wissenschaftliche Empirie und Fachwissen ignoriert und sich bürgerlichen Strömungen und kommerziellen Interessen anpasst und unterordnet. Mit einer solchen Politik, die objektiv der Gesellschaft schadet, kann man nur scheitern.

Trotz aller Kritik haben es Wagenknecht und ihre Mitstreiter über Jahre nicht vermocht, z.B. in der Klima- und Energiepolitik ein fundiertes eigenes Konzept vorzulegen. Das unterscheidet sie in diesem (!) Punkt von der AfD, deren Klima- und Energiepolitik sich durchaus durch innere Logik auszeichnet und auch wissenschaftlich belegt ist (man darf hier nicht der absurden Propaganda der Großmedien glauben, die das ignorieren und von einem angeblichen 99%-Konsens fabulieren). Wenn das BSW wirklich Protestwähler von der AfD gewinnen will – zweifellos ein positives Anliegen – wird man das mit einer solchen halbgewalkten Politik ganz sicher nicht schaffen.

Das BSW versucht, den Kapitalismus zu verbessern und das sich immer mehr verheddernde Bündel von Problemen aufzulösen. Doch nicht zuletzt die aktuelle Entwicklung der Welt zeigt, dass der Gordische Knoten des Kapitalismus nicht aufgedröselt, sondern nur zerschlagen werden kann. Dafür braucht es ein politisches und soziales Potential. Das BSW ist davon (noch?) meilenweit entfernt.

Parteiaufbau

Das BSW steht vor einem riesigen, aber hausgemachten Problem: es hat kein Programm, ja kaum Ansätze dazu, nur relativ unverbindliche Aussagen. Insofern können auch keine Mitglieder auf Basis dieses Programms gewonnen werden. Dass gleiche Problem hatte auch „Aufstehen“, dessen Initiatoren tw. identisch mit den BSW-Gründern sind. Das war 2018. In fünf (!) Jahren hat man es also nicht vermocht – weil nicht gewollt -, diesem Mangel abzuhelfen. „Aufstehen“ ist letztlich v.a. daran gescheitert und existiert nur noch in Gestalt zweier marginaler Reststrukturen, die sich zudem nicht ganz grün sind.

Der Aufbau der BSW-Partei erfolgt nun zunächst per Handverlesung der Mitglieder. Für dieses Verfahren spricht, dass man verständlicherweise verhindern möchte, „unterwandert“ zu werden und im Chaos zu enden. Wagenknecht verweist dafür auf das Scheitern von „Aufstehen“ (für das es auch keine Bilanz gibt). Doch „Aufstehen“ ist überhaupt nicht daran gescheitert, dass es von „radikalen Linken“ unterwandert worden wäre. Das Sektierertum der „radikalen“ Linken hat schon allein dafür gesorgt, dass man sich von „Aufstehen“ fernhielt. Nein, es geht Wagenknecht und Co. darum, Antikapitalisten und Revolutionäre rauszuhalten – man traut sich nur (noch?) nicht, es offen zu sagen.

Hätte man eine klare Programmatik erarbeitet und diskutiert, gäbe es das Problem des Aussiebens der Mitglieder nicht. So aber hat der Parteiaufbau stark den Geruch eines Top-Down-Projektes. Das fatale Ergebnis dessen ist aber, dass es so gar kein tieferes Verständnis der Politik des BSW geben kann – zudem das Gros der Mitglieder v.a. am Anfang aus der LINKEN kommt, wo es auch nie eine ernsthafte, historische Debatte und Herleitung der eigenen Politik gab.

Das „langsame Wachsen“ des BSW spiegelt aber auch das reformistische Selbstverständnis der Partei wider. Eine Partei des Kampfes, der Mobilisierung braucht v.a. eine überzeugte, aktive Mitgliedschaft. Eine Partei, die v.a. auf Wahlen und auf das Mitregieren setzt, braucht diese viel weniger, sie muss v.a. auf mediale Wirkung und auf Wählergewinnung setzen.

Wie die LINKE orientiert sich auch das BSW v.a. auf Wahlen. Gerade die Europawahl ist aber für die Innenpolitik und den Klassenkampf objektiv, aber auch in der Wahrnehmung der Massen relativ unwichtig, was auch mit der marginalen Rolle des EU-Parlaments zu tun hat. Der Aufbau von Mitgliederstrukturen im Schneckentempo unterminiert natürlich die Wirkungsmöglichkeiten der Partei, auch im Wahlkampf. Insofern könnte sich die kontrollierte Parteiaufbautaktik schnell als Schuss ins eigene Knie erweisen. Doch selbst auf diese Gefahr hin möchte man „unsichere Kantonisten“ und Quertreiber von Rechts und Links (!) lieber raushalten, mit 5% hat man seine eigenen Posten im Parlament ja auch so sicher – und mehr als mitreden will man ja ohnehin nicht.

Wie auch immer der weitere Weg des BSW aussehen wird: die Partei wird nicht wie die PDS bzw. die LINKE viele Jahre Zeit haben, sich zu „bewähren“. Die vielen Konflikte in der Welt, die zunehmende Erosion der Gesellschaft in Deutschland und die wachsende politische Polarisierung werden das BSW eher früher als später vor die Entscheidung stellen: Hic rhodus, hic salta. Bleibt die BSW bei ihrem jetzigen Kurs, wird sie scheitern und dem historischen Niedergang der Linken und der Arbeiterbewegung nur eine neue Negativerfahrung hinzufügen.

Hetze

Doch noch ist es nicht ausgemacht, wie sich das BSW entwickeln wird, welche inneren Debatten, Konflikte, Flügelbildungen oder Spaltungen stattfinden werden. Die etablierten Parteien treibt dieses Szenario der unkontrollierten Polarisierung und Radikalisierung durchaus Sorgenfalten auf die Stirn. Dass zeigt sich deutlich in der öffentlichen Kampagne gegen Wagenknecht. So wirft man ihr eine an den Haaren herbeigezogene politische Nähe zu Rechtsextremen vor, weil sie vor Jahren einmal mails von solchen Leuten erhielt, die ihr nicht als Rechte bekannt waren. Das ist ein gefundenes Fressen für unsachliche Scharfmacher wie Markus Lanz und Co. Auch der Kabarettist Dieter Nuhr entblödete sich nicht, Wagenknecht in die rechte Ecke zu stellen. Es ist bezeichnend, dass die mediale Hetze gegen Wagenknecht ihr nicht wie meist „unrealistische“ linke Positionen vorwirft, sondern rechte. Offenbar hat man Anlass zur Befürchtung, dass sich Linke dem BSW anschließen, die vorher in der LINKEN „ruhiggestellt“ waren.

Taktik

Nicht wenige Linke und Antikapitalisten haben, wenn auch begrenzte, Hoffnungen in das BSW, zugleich üben sie aber auch massive Kritik an den bisherigen Statements des BSW. Doch leider geht die berechtigte Kritik dieser Linken meist auch damit einher, sich auf das Kommentieren zu beschränken und jedes praktische Vorgehen, jede Anwendung einer Taktik gegenüber dem BSW abzulehnen. Das ist reines Sektierertum, das auch auf einer mangelhaften Analyse beruht. Für diese Linken ist das BSW nur eine reformistische Formation, die durch die Führung und das von ihr vorgeschlagene Programm bestimmt wird. Das ist fraglos auch der Fall. Doch daneben spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle.

Zunächst einmal gibt es noch kein richtiges Programm, dieses muss erst noch erarbeitet werden, was ein gewisses Maß an demokratischer Diskussion einschließt. In diese kann und muss aktiv eingegriffen werden, was auch Chancen bietet, antikapitalistisch-revolutionäre Positionen einzubringen. Auf diese Weise kann an die Erwartungen vieler Mitglieder und Unterstützer des BSW angeknüpft und Differenzen zwischen diesen und den flachen reformistischen Ideen der BSW-Initiatoren aufgezeigt und ausgenutzt werden. Auch in der WASG und in „Aufstehen“ war das möglich, allerdings gab es nur in der WASG zumindest einige subjektiv revolutionäre linke Gruppen, die darin aktiv waren. Wäre die Linke insgesamt nicht so sektiererisch, hätte man damals noch weit mehr erreichen können.

Vergleicht man das Verhalten der „radikalen Linken“ zum BSW, dann offenbart sich ein deutlicher Unterschied im Herangehen an solche Formationen zu Marx, Lenin, Luxemburg oder Trotzki. Für sie spielten nicht Programm und Führung die entscheidende Rolle, sondern die taktische Möglichkeit, durch die Intervention in reformistische, zentristische, ja mitunter sogar links-bürgerliche Parteien das revolutionäre Potential zu vergrößern – vorausgesetzt der Aufbau einer kommunistischen Partei konnte nicht auf direktem Wege erfolgen.

Der entscheidende Faktor für ein Eingreifen in die Formierung des BSW ist, dass es ein relevantes, vielleicht aus Tausenden Linken bestehendes Milieu gibt, das beim BSW mitmachen will und links von der Linie der Führung steht. Dieses kann und muss politisch im Sinne eines fraktionellen Kampfes formiert werden. Gewinnt man so die Mehrheit im BSW (was aber sehr unwahrscheinlich ist), ist das gut; wenn nicht, muss dieses Milieu aus der reformistischen Sackgasse herausgeführt werden. So könnte ein relevanter Ansatz zur Formierung einer neuen antikapitalistisch-revolutionären Partei entstehen. Daran muss sich jeder revolutionäre Marxist messen lassen! Durch das Eingreifen von Revolutionären im BSW könnte es gelingen, Hunderte, vielleicht Tausende politisch zu gewinnen und dem Reformismus zu entreißen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert