Der Weg zur Revolution
Hanns Graaf
Die Spanische Revolution erlebte 1936 mit dem Massenaufstand der ArbeiterInnen und Bauern gegen den blutigen Militärputsch General Francos ihren ersten Höhepunkt. Sie ist eine verratene, verleumdete, vergessene Revolution. Oft ist vom „Spanischen Bürgerkrieg“ die Rede und nicht von einer Revolution. Statt vom Kampf des Proletariats um die Macht und den Weg zu einer neuen Gesellschaftsordnung wird der Konflikt meist nur als einer zwischen Demokratie und faschistischer Diktatur dargestellt.
Historische Folgen
Das Scheitern der Revolution hatte nicht nur für Spanien fatale Folgen. Die blutige Diktatur Francos knebelte Spanien für lange, die soziale Rückständigkeit des Landes blieb über Jahrzehnte bestehen. Noch bedeutender waren die Folgen für die internationale Entwicklung. Die faschistischen Mächte Deutschland und Italien probten im Spanischen Bürgerkrieg für den bevorstehenden Weltkrieg und errichteten auch auf den Trümmern der Spanischen Revolution ihre „Achse“. Zugleich war die Niederlage des spanischen Proletariats nach der Machtergreifung des deutschen Faschismus 1933 eine weitere demoralisierende Niederlage für die internationale Arbeiterbewegung.
Andererseits können wir uns lebhaft vorstellen, welche Bedeutung ein Sieg der Spanischen Revolution gehabt hätte. Ganz direkt wäre die damals die Volksfrontregierung in Frankreich, die von den Stalinisten installiert worden war, um die französische Arbeiterklasse vom Kampf um die Macht abzuhalten und sie in ein strategisches Bündnis mit Teilen der französischen Bourgeoisie zu führen, von „links“ stark unter Druck gekommen. Wahrscheinlich hätte der spanische Funke auch die Revolution in Frankreich entzündet.
Auch die Herrschaft Stalins, der in der UdSSR jeden Ansatz von Arbeiterdemokratie durch eine bürokratische Diktatur ausgemerzt hatte, mit Schauprozessen und Terror jede Kritik unterdrückte und die Protagonisten der russischen Revolution, verbannte oder ermordete, wäre durch einen Sieg der Massen in Spanien erschüttert worden.
Der II. Weltkrieg war in den ersten Jahren auch deshalb ein Siegeszug Hitlers, weil dieser auf zwei wesentliche reaktionäre Faktoren bauen konnte, die seine Triumphe von 1939-41 ermöglichten. Zum einen waren das die kapitulantenhaften und maroden bürgerlichen Regime wie Frankreich, die hofften, Hitlers Ambitionen nach Osten, zum Angriff auf die Sowjetunion lenken zu können, und eine Kapitulation vor Hitler dem Kampf gegen ihn vorzogen. Zum anderen war es das Geheimabkommen zwischen Hitler und Stalin vom August 1939, welches Hitler ermöglichte, Polen zu erobern, ohne einen Konflikt mit der Sowjetunion und damit einen Zweifrontenkrieg zu riskieren.
Eines ist klar: ein revolutionäres Frankreich hätte von Hitler niemals so überrannt werden können wie es dann 1940 der Fall war. Im Gegenteil: der bewaffnete Widerstand der Massen gegen Hitlers Wehrmacht hätte auch Stalin enorm unter Druck gesetzt, seine „Neutralitätspolitik“ aufzugeben. Das wäre zugleich ein aufmunterndes Signal für alle Kräfte gewesen, die gegen Faschismus, Krieg und Kapitalismus kämpften.
Die Niederlage der Revolution auf der iberischen Halbinsel war nicht nur für Spanien selbst katastrophal; sie war auch ein wesentlicher Faktor dafür, dass der Faschismus Europa jahrelang mit Krieg und Terror überziehen konnte. Spanien ist zudem eine blutige Bestätigung der These Lenins, dass der Imperialismus eine Epoche ist, die mit Kriegen und Revolutionen schwanger geht.
Vorgeschichte
Die 1920er und 30er Jahre waren für Spanien eine Periode, in der sich die sozial-ökonomischen Probleme zuspitzten. Spanien war ein rückständiges Land. Sein Anteil am Welthandel betrug gerade 1,1%. Das Eisenbahnnetz von nur 8.000 Km entsprach der nur gering entwickelten Industrie, die v.a. in Katalonien um Barcelona angesiedelt war. Die Arbeiterklasse war mit zwei Millionen dementsprechend klein, jedoch sehr konzentriert und gut organisiert, v.a. in der CNT, dem anarcho-syndikalistischen Gewerkschaftsverband.
Der Hauptteil der Bevölkerung waren Bauern, die Landwirtschaft war der Hauptwirtschaftszweig. Zwei Drittel des Ackerlandes befand sich in Händen von Großgrundbesitzern. Den Rest teilten sich 5 Mill. Bauernfamilien, die z.T. auf wenig fruchtbaren Böden wirtschafteten, von denen sie kaum leben konnten. Daneben existierten Millionen verarmter LandproletarierInnen und TagelöhnerInnen.
Die Weltwirtschaftskrise von 1929 stürzte auch Spanien in eine tiefe Krise. Die Agrar-Konkurrenz aus Südamerika und Australien ruinierte die spanischen Agrar-Exporte und drückte Löhne und Einkommen der Landbevölkerung. Unter dem Druck des britischen und französischen Imperialismus zerbrach auch der Binnenmarktschutz Spaniens.
Die Auswirkungen dieser „Globalisierung“ führten schließlich zum Zusammenbruch der Militärdiktatur Primo de Riveras im Januar 1930. Die folgenden Monate brachten einen Aufschwung des Klassenkampfes mit sich, der von großen Demonstrationen der StudentInnen und der Arbeiterklasse geprägt war. Sie gipfelten im Mai 1930 in einem Generalstreik, der sogar mit der Bewaffnung der ArbeiterInnen einherging.
Diese Kämpfe fegten König Alfonso VIII. hinweg und brachten 1931 eine republikanische Regierung unter Einschluss der Sozialdemokratie PSOE an die Macht. Diese Regierung stand riesigen Problemen gegenüber: der Massenarmut, v.a. auf dem Land, der ökonomischen Rückständigkeit, der wirtschaftlichen Abhängigkeit und der Staatsverschuldung. Diese Probleme hätten nur überwunden werden können, wenn eine grundlegende Landreform den agrarischen Großgrundbesitz enteignet und den Landhunger der Dorfarmut gestillt hätte. Damit eng verbunden musste Spanien industrialisiert werden – auch, um eine Modernisierung der Landwirtschaft zu ermöglichen. Das alles (wie auch die Sanierung der Staatsfinanzen) war aber unmöglich, ohne die überaus großen Privilegien der Großagrarier, der Bourgeoisie, des Klerus und der Offizierskaste zu beseitigen.
Die Umsetzung dieser an sich bürgerlich-demokratischen Reformen überforderte die bürgerliche Regierung der Zweiten Republik aber komplett. Zwar gestand sie Verbesserungen der Löhne zu und begann mit der Umsetzung einiger kleinerer demokratischer Reformen; die zentralen Fragen – v.a. die Landfrage – aber blieben ungelöst, weil man sich scheute, die Pfründe der reaktionärsten Teile der Gesellschaft anzugreifen. Doch selbst wenn man das gewollt hätte, wären wirkliche Umwälzungen nur durch die Mobilisierung der Massen und die gleichzeitige Zerschlagung des alten Staatsapparates möglich gewesen. Doch gerade das wollte die Koalition aus spanischer Bourgeoisie und Sozialdemokratie nicht.
Im Ergebnis der ausbleibenden Reformen wandten sich die ländlichen Massen enttäuscht von der republikanischen Regierung ab und wählten im November 1933 eine reaktionäre katholische Regierung.
Als dann Anfang 1934 der rechte Republikaner Lerroux die Macht ergriff und die ohnedies bescheidenen Reformen der Vorgängerregierung, darunter den gesetzlichen Mindestlohn auf dem Land, aufhob, fielen die Landarbeiterlöhne sofort um 50% – Not und Verzweiflung, aber auch die Wut der Bevölkerung stiegen auf den Siedepunkt.
Revolutionäre Krise
Im Oktober 1934 erhob sich das spanische Proletariat in Asturien, in Madrid und Barcelona brach ein Generalstreik aus. In Asturien übernahmen Arbeiterkomitees und Arbeitermilizen die Macht. Die ArbeiterInnen waren v.a. in der CNT organisiert, aber auch die sozialdemokratische UGT und die stalinistische Partei, die PCE, gewannen an Einfluss. Doch die proletarische Offensive blieb regional begrenzt und fand kaum Widerhall unter der Landbevölkerung. So gelang es der Armee unter General Franco trotz des heroischen Widerstands, die Aufstände niederzuwerfen. Er nahm blutige Rache, was 2.000 ArbeiterInnen das Leben kostete und 30.000 in die Kerker brachte.
Die damalige Situation in Spanien ähnelte unübersehbar jener in Russland 1917. Die soziale Krise und das Elend der Massen in Russland erforderten damals tief greifende Umwälzungen. 1917 waren die Hauptforderungen „Land, Brot und Frieden“. In Spanien stand 1936 zwar nicht die Frage des Krieges, sehr wohl aber die der Entmachtung des reaktionären Militärs, des Klerus und die Landfrage auf der Tagesordnung. Die Forderungen „Land und Brot“ waren in Spanien genauso brisant wie knapp zwei Jahrzehnte zuvor in Russland.
In Russland wie in Spanien zeigte sich, dass eine bürgerliche Regierung weder bereit noch in der Lage war, die anstehenden – bürgerlich-demokratischen – Aufgaben zu lösen. In beiden Fällen drängte das Proletariat zur Macht und organisierte sich dafür in Räten und Milizen. In beiden Fällen organisierte sich auch die Reaktion – dort war es u.a. General Kornilow, hier war es General Franco.
In Russland wie in Spanien offenbarte sich, dass die grundlegenden Fragen der Gesellschaft nicht von einer bürgerlichen Regierung gelöst werden konnten, sondern nur dann, wenn die Arbeiterklasse selbst die Macht ergreift. Es gab noch zwei Gemeinsamkeiten. In den agrarisch geprägten Ländern Russland und Spanien war das Proletariat die dynamischste Kraft, die städtischen industriellen Zentren waren die Zentren der Revolution. Da die Arbeiterklasse aber nur eine kleine Minderheit der Gesellschaft stellte, war sie auf Verbündete angewiesen – auf die Millionen armer Bauern.
Es gab aber auch wichtige Unterschiede zwischen dem Spanien von 1936 und dem Russland von 1917. In Russland entstanden mit den Sowjets der ArbeiterInnen, der Soldaten und der Dorfarmut sowie den betrieblichen Basisstrukturen der ArbeiterInnen Machtorgane der Massen, die auf nationaler Ebene eine Alternative zur bürgerlichen Provisorischen Regierung unter Kerenski darstellten. In Spanien dagegen wurde im Februar 1936 die Regierung der „Volksfront“ gewählt. Sie markiert ein deutliche Verschiebung nach links, was sich daran ablesen lässt, dass die Volksfrontparteien (PSOE, stalinistische PCE, bürgerliche Republikaner) mehr Stimmen bekamen als die gesamte Rechte und die bürgerliche Mitte geradezu kollabierte – Ex-Premier Lerroux bekam nicht einmal einen Sitz! Doch Räte, Milizen u.a. Basisorgane der Massen gab es zunächst weniger als 1917 in Russland. V.a. konstituierten sie keine „Gegenregierung“ zur bürgerlichen Regierung wie in Form der Arbeiter- und Soldatenräte. Das lag jedoch nicht daran, dass das nicht möglich gewesen wäre, sondern daran, dass die linken Parteien das nicht wollten und daran, dass die Volksfrontregierung nicht das direkte Ergebnis revolutionärer Mobilisierungen, sondern von „normalen“ Wahlen war.
Die Volksfrontregierung
Im Gegensatz zur linken politischen Stimmung war das Regierungsprogramm sehr „gemäßigt“. Zwar forderte die PCE die Beschlagnahme der größten Güter, die Trennung von Kirche und Staat und die Beendigung der Kirchen-Subventionen, doch in allen wesentlichen Fragen ging ihr Programm – auch später nicht – über den Rahmen bürgerlich-demokratischer Reformen nicht hinaus. Die Enteignung der Bourgeoisie und aller Großagrarier, die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats, die Schaffung von Räten und Milizen der ArbeiterInnen und Bauern gehörten nicht zu ihrem Programm.
Das entsprach vollkommen der Strategie der Komintern nach deren Schwenk von der ultralinken Phase der „Dritten Periode“ hin zur Volksfrontstrategie nach 1933. Danach ginge es in Spanien nicht um die Machtergreifung des Proletariats und den Sturz des Kapitalismus, sondern nur um bürgerlich-demokratische Reformen, die mittels eines Bündnisses mit den „demokratischen“ Teilen der Bourgeoisie umgesetzt werden sollten.
Bereiteten sich nach dem Februar 1917 die Bolschewiki um Lenin und Trotzki auf den Sturz der bürgerlichen provisorischen Regierung vor, so tat die stalinistische KP Spaniens auf Geheiß des Kremls alles, um die „provisorische“ Regierung Spaniens an der Macht zu halten und die Bourgeoisie nicht zu verprellen. Anstatt die Massen voran, auf den Weg der Revolution zu führen, hielten die Volksfrontparteien sie zurück.
Schon bald sollte sich zeigen, welche fatalen und blutigen Konsequenzen diese Politik hatte – nicht nur für die Revolution, sondern selbst für eine bürgerlich-demokratische Entwicklung.