Kritiker-Bashing als Methode

Hanns Graaf

Am 12. Mai 2020 veröffentlichte die Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) einen Text mit dem Titel „Das Querfront-Virus“, der sich mit den Kritikern der Lockdown-Politik der Regierung beschäftigt (http://arbeiterinnenmacht.de/2020/05/12/das-querfront-virus/).

Der Grundgestus des Artikels von Markus Lehner und Wilhelm Schulz ist eine Kritik der sehr unterschiedlichen Teile der regierungskritischen Bewegung, die für eine Änderung  oder Abschaffung des Lockdowns eintritt oder sogar bestreitet, dass das Corona-Virus überhaupt gefährlich sei.

Die Autoren konstatieren bezüglich der Kritiker-Szene: „Dabei greift sie zwar reale Befürchtungen auf, zum Opfer einer globalen Wirtschaftskrise zu werden, und artikuliert auch Kritik an den Einschränkungen demokratischer Rechte – aber sie tut dies, indem sie dies mit einer wilden Mischung aus Populismus, rechter Ideologie, Verschwörungstheorie und irrationalistischer Leugnung der Gefahr des Corona-Virus verknüpft.“ Wenn die Autoren die Anti-Lockdown-Proteste als „Querfront“ bezeichnen, in der verschiedene Kräfte von ganz links bis ganz rechts aktiv sind, so ist das durchaus korrekt – besagt allerdings über deren Inhalte und Positionen an sich noch wenig.

Abwarten oder handeln?

Der Artikel geht auf die linken InitiatorInnen der Demo am Berliner Alex am 8. Mai. ein. Es mag zutreffen, dass diese „sich verspätet und mit einer gewissen Verzweiflung gegen Nazi-Präsenz aussprachen“, wie die Autoren feststellen. Problematisch wird ihre Kritik aber hier: „Diese „Linken“ wirken wie politische Zauberlehrlinge, die nun die Geister nicht mehr loswerden, die sie riefen“. Dabei kann von Rufen gar keine Rede sein. Zudem bedeutet die Kritik der GAM doch wohl nichts anderes, als dass die linken Demo-InitiatorInnen überhaupt nicht hätten protestieren sollen, dann hätten sich auch keine Rechten einmischen können. Abgesehen von der Art der Reaktion der linken Demo-InitiatorInnen auf die dazustoßenden Rechten hängt die Frage, ob man diese von einer Aktion ausschließen kann, v.a. davon ab, ob man dazu die nötige Stärke, sprich Masse hat. Davon konnte bei dem kleinen Häuflein Linker keine Rede sein. Ganz anders hätte es freilich aussehen können, wenn größere Teile der Linken, ganz abgesehen von der Linkspartei oder den Gewerkschaften, sich an den Protesten beteiligt hätten. Dann wären die Rechten vielleicht nicht aufgetaucht oder hätten rausgeworfen werden können. Die GAM, die nie zu solchen Protesten aufgerufen oder sie gar (mit) organisiert hat, hätte also ihre Kritik auch an sich selbst richten sollen.

Was die Alternative der GAM ist, wird hier ganz klar: „Auch die Tatsache, dass jetzt viele „normale Menschen“, viele „Betroffene“ da sind, die doch „nicht alles Nazis“ sein können, macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil – unter den gegebenen Kräfteverhältnissen können solche Mobilisierungen nur in die Hände der Rechten spielen.“ Das heißt: am besten nichts tun und abwarten. Nicht das Kräfteverhältnis ändern, sondern es als gegeben hinnehmen und nicht etwa darüber nachdenken, warum immer die Rechten Themen dominieren, und Schlüsse für sein eigenes Agieren und das der Linken ziehen.

Hinter dieser Haltung der GAM steckt noch ein anderes Problem. Sie lehnt nämlich fast pauschal jede Kritik am komplett schlechten Corona-Management der Regierung ab – zumindest spielt das ihren Beiträgen keine große Rolle. Sie hält den Ausstieg aus dem Lockdown eher für falsch, wie der Aufruf zum Schulstreik ihrer Jugendgruppe REVOLUTION gegen jede Weiterführung von Schulen oder Kitas zeigt (http://arbeiterinnenmacht.de/2020/05/12/berlin-aufruf-zum-schulstreik-gegen-die-oeffnung-der-schulen/). Wenn die GAM etwas kritisiert oder fordert, geht es v.a. um die Absicherung der sozialen Bedürfnisse der Massen, was auch völlig richtig ist. Doch zur Art und Weise, WIE die Regierung gegen Corona vorgeht bzw. nicht vorgeht, hat sie kaum etwas zu sagen. Das ist in mehrfacher Hinsicht unakzeptabel: 1. hat die Regierung wochenlang, als längst klar war, dass eine Pandemie im Anmarsch ist, nicht reagiert. Damit hat sie unnötige Opfer verursacht und die Ausbreitung der Pandemie begünstigt. 2. waren ihre Lockdown-Maßnahmen tw. unsinnig, tw. uneinheitlich durchgesetzt usw., so dass tw. unnötige wirtschaftliche und soziale Schäden entstanden sind.

Wie wir sehen, gab und gibt es also mehr als genug gute Gründe, um zu protestieren. Doch: Wo war die Linke?! Nirgends! Allenfalls gab es einige kritische Artikel. Dass es keine größeren linken Mobilisierungen bzw. bis jetzt offenbar auch keine ernsthaften Vorbereitungen dazu gibt, liegt weniger an den Corona-Vorschriften oder an der Zersplitterung der Linken, sondern v.a. an ihrer  mangelhaften politischen Substanz. Diese äußert sich u.a. darin, dass reale Probleme der Bevölkerung ignoriert werden, wenn sie nicht in irgendein linkes ideologisches Raster passen. Deshalb war z.B. die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich keine „rein“ linke Bewegung. Deshalb war es der Linken hierzulande völlig egal, als Millionen von Dieselfahrern – in der Masse Lohnabhängige – durch die von der Abzockertruppe „Deutsche Umwelthilfe“ initiierten absurden  Fahrverbote und die Entwertung ihrer Autos geschädigt wurden. Deshalb gab es auch keine Proteste der Linken gegen die Verdopplung der Strompreise infolge der Energiewende usw. usw.. Die Linke ist aufgrund ihrer Ideologielastigkeit stark darin eingeschränkt, die Realität so zu sehen, wie sie ist und die Bedürfnisse und Probleme der Massen zu verstehen und darauf zu reagieren. Dafür werden dubiose kleinbürgerliche Projekte wie FfF oder „Ende Gelände“ unterstützt.

Verleumdung statt Kritik

Von diesem „Ideologie-Virus“ sind auch unsere beiden GAM-Autoren befallen. Für sie geht es nicht primär darum, ob eine Kritik stimmt, sondern oft v.a. darum, wer sie äußert oder wo sie veröffentlicht wird. Die Autoren befassen sich z.B. mit Ken Jebsen. Ohne Frage sollte man auch Ken Jebsen gegenüber sehr kritisch sein. Nicht wenige seiner Beiträge sind demagogisch und verschwörungstheoretisch angehaucht. Das kritisiert auch die GAM, schießt dann aber übers Ziel hinaus. So wirft man ihm vor, dass er schon „EIKE-KlimaleugnerInnen (Europäisches Institut für Klima & Energie) auf seinem Kanal eine Bühne“ bot. Wenn also Wissenschaftler (um solche handelt es sich nämlich bei EIKE, wie man an seinem Fachbeirat leicht sehen kann) den Klimakatastrophen-Hype nicht mitmachen, sollen sie aus der Öffentlichkeit entfernt werden. Das ist die Vorstellung der GAM von wissenschaftlichem Meinungsstreit und Öffentlichkeit. Wann wird das Schreddern unliebsamer Bücher oder ein Berufsverbot gefordert? Jeder Stalinist hätte seine helle Freude an den Umgangsformen der GAM. Wo ist auch nur eine einzige, auf Argumente gestützte Kritik der GAM an den durchaus unterschiedlichen Positionen der „Klimakritiker“?! Es gibt keine – schon deshalb, weil die GAM deren Positionen überhaupt nicht kennt, sondern jeden noch so absurden Vorwurf gegen sie, der von den bürgerlichen Großmedien lanciert wird, nachplappert.

Zu den umfangreichen Debatten in den Medien zu Corona meint die GAM: „Dazu fanden sich dann für die „alternativen Meinungen“ auch die notwendigen „ExpertInnen“, die die Wissenschaftlichkeit der Erklärungen vom Robert-Koch-Institut (RKI) oder anderen etablierten VirologInnen in Frage stellten.“ So einfach geht das: das RKI sind die Experten, alle anderen sind nur „ExpertInnen“ in Anführungszeichen. Allein dem Autor dieser Kritik sind mehr als ein Dutzend ExpertInnen in Deutschland bekannt, die mehr oder weniger abweichende Meinungen vertreten. Alle sind VirologInnen mit Professorentitel und stehen Instituten, Fachgremien oder Klinikabteilungen vor. Doch kraft ihrer riesigen Fachkenntnis in Sachen Virologie erdreistet sich die GAM zu solchen abschätzigen Pauschalurteilen. Es ist dasselbe Herangehen wie bei vielen anderen Fragen, wo Linke mangelnde Sachkenntnis durch Lautstärke und Frechheiten ersetzen. Dass es auch andere Positionen zur Corona-Krise gibt als die der GAM, zeigt z.B. ein Video-Interview mit einem linken Arzt (https://www.youtube.com/watch?v=cFdq3jSLzj4).

Ein Ergebnis der Substanzlosigkeit und Passivität der Linken und der Arbeiterbewegung ist, dass soziale Bewegungen und Proteste immer mehr von den (lohnabhängigen) Mittelschichten und deren Strukturen (Pegida, Grüne, NGOs usw.) dominiert werden. Das drückt sich ideologisch und politisch natürlich oft in einem kruden Ideen-Konglomerat aus. Dieses „Bewusstsein zwischen allen Stühlen“ bzw. zwischen den Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat entspricht genau der sozialen Lage der Mittelschichten. Das zeigt sich auch in den Corona-Protesten. Doch so sehr linke Kritik daran nötig ist, so wenig wird sie bewirken. Letztlich gilt nämlich der simple Grundsatz „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Da die Linke aber argumentativ wie hinsichtlich der Strukturen und Mobilisierungen (fast) immer zu spät kommt, ist sie auch immer nur zweiter Sieger. Es ist eine Sache, über „verschwörerische“ Podcasts herzuziehen, wenn man selbst – als Organisation! – eine eher steinzeitliche Internet-Präsenz hat und zu vielen Themen überhaupt nichts zu sagen hat.

Der GAM-Artikel stellt richtig fest: „Der zunächst kleine Protest dieser GrundgesetzschützerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen traf aber im Lauf des Aprils offenbar auf ein tatsächliches Bedürfnis. Die Auswirkungen des Lockdowns waren für viele Menschen schwerwiegend: ob sie um ihren Arbeitsplatz fürchten, ihr kleines Geschäft schließen mussten oder ob sie ganz einfach mit der Betreuung der Schul- oder Kita-Kinder allein gelassen sind. Nachdem die Ausdehnung des Lockdowns immer unabsehbarer wurde, wuchsen natürlich auch Zweifel.

Doch wo war – schon vor dem April – die Kritik am (zuerst völlig fehlenden) Corona-Management der Regierung von linker Seite?! Die GAM kann die Kritik offenbar nicht so ganz verstehen, denn „Trotz ausführlicher Berichterstattung in den Medien waren plötzlich auch wieder die „Alternativquellen“ in den Tiefen des Netzes begehrt.Wenn der GAM zu den bürgerlichen Großmedien nur einfällt, dass diese ja „ausführlich“ berichtet hätten, jedoch nicht die Frage gestellt wird, WAS und WIE berichtet wird, dann ist wohl klar, dass es der GAM etwas an kritischem Bewusstsein mangelt. Während die Linke (im Schulterschluss mit dem bürgerlichen Meinungsestablishment) schon seit Jahren über angebliche Fake-News der Kritikerszene(n) herzieht, ist ihr offenbar entgangen, dass die meisten und folgenreichsten Fake-News schon immer von Politik und Großmedien verbreitet wurden. Was auch sonst?! Die ersten, die z.B. die offiziellen Lügen über die Ukraine- und die Krimkrise kritisiert haben und von „Lügenmedien“ sprachen, waren Leute von Pegida – leider. Die Linken haben die These von den „Lügenmedien“ (die so sicher übertrieben ist) aber nicht kritisch aufgegriffen, von den rechten Absurditäten befreit und als fundierte linke Kritik formuliert. Dahinter verbirgt sich ein mangelhaftes Verständnis der Herrschaftsmechanismen (Politik, Medien, Bildung, Wissenschaft, Kultur) im „modernen“ Kapitalismus.

Alarmismus

Die Studie zu Heinsberg, einem Corona-Hotspot, die von Prof. Streeck u.a. angefertigt wurde, bekommt auch ihr Fett weg: „Die VerfasserInnen der Studie betonten in ihrer Reaktion, dass sie für die falsche Interpretation ihrer Ergebnisse nicht verantwortlich seien.Natürlich nicht! Kein Wort verliert die GAM aber darüber, dass diese Studie – die erste ihrer Art in Deutschland – sehr verdienstvoll ist. Sie hätte eigentlich vom RKI gemacht bzw. angeregt werden müssen, aber auch hier versagte das RKI. Ähnlich war es bei der pathologischen Studie, die in Hamburg von Prof. Püschel – gegen die Empfehlung des RKI – durchgeführt wurde und gezeigt hat, dass von 100 Corona-Toten alle sehr alt waren und alle eine oder mehrere Vorerkrankungen hatten. Diese Tests (u.a., die weltweit inzwischen auftauchen) sprechen eher gegen die These der besonders großen Gefahr durch Corona.

Die GAM-Autoren schreiben: „Dass aber das in Wuhan aufgetretene neue Virus ohne die Tests nicht aufgefallen wäre, ist schon erstaunlich angesichts der offensichtlichen Übersterblichkeit (also der statistisch eindeutigen, mehrere Größenordnungen überschreitenden Todeszahlen gegenüber „normalen“ im selben Zeitraum) erst in China, dann in Italien und schließlich auf der ganzen Welt. Die Vergleiche mit „normalen Grippewellen“ sind angesichts der weltweiten Todeszahlen und der fehlenden Impfstoffe (gegenüber den diesjährigen Grippeviren) auch inzwischen nur noch lächerlich.

Lassen wir hier die Testfrage einmal außen vor; wo übersteigt die Todeszahl von Corona andere Grippewellen um mehrere Größenordnungen? Das war weltweit und v.a. in Deutschland nicht der Fall. Auch Vergleiche etwa mit der Asiatischen Grippe oder der Hongkong-Grippe in den 1950ern und 60ern bestätigen das. Die aktuellen Todeszahlen für Deutschland zeigen nur marginale Abweichungen von anderen Jahren. Natürlich gibt es auch Hotspots – einzelne Orte oder Regionen – mit erhöhten Zahlen, aber das Gesamtbild ist keineswegs so dramatisch, wie es oft dargestellt wird. V.a. muss dabei unterschieden werden, ob das Virus an sich so gefährlich ist oder eher die sozialen Bedingungen (z.B. Gesundheitssystem) die Todeszahlen nach oben treiben.

Aufschlussreich ist hier der Vergleich mit früheren Epidemien. Wikipedia schreibt: „Die Asiatische Grippe brach 1957 aus (…)Ihr fielen 1957 und 1958 weltweit Schätzungen zufolge eine bis zwei Millionen Menschen zum Opfer. In Deutschland starben an der Asiatischen Grippe rund 30.000 Menschen. (…) Die Hongkong-Grippe brach im Juli 1968 aus (…) Weltweit starben zwischen 1968 und 1970 rund eine Million Menschen; andere Zahlen sprechen von 750.000 bis 2 Millionen Toten. In der BRD gab es im Winterhalbjahr 1969/70 den schwersten Ausbruch der Hongkong-Grippe (…) Genaue Fallzahlen sind damals (…)nicht erhoben worden, allerdings wurde im Nachhinein eine Übersterblichkeit von rund 40.000 Toten für die Bundesrepublik festgestellt.

Im Vergleich dazu die Zahlen zur Corona-Pandemie (Stand 15. Mai, lt. ARD): „Corona-Tote“  weltweit: 300.000. In Deutschland Infizierte: 172.000, Tote: knapp 8.000. Das ist die um „mehrere Größenordnungen“ höhere Gefährlichkeit von Corona lt. GAM. Sicher weiß niemand genau, wie es mit Corona weitergeht. Nur: Hiobsbotschaften von einer Übersterblichkeit um „mehrere Größenordnungen“, wie sie die GAM verbreitet, braucht niemand. Selbst wenn Corona so gefährlich wäre, wie manche behaupten: Kann deshalb fast das gesamte soziale Leben der Menschheit für Monate oder gar Jahre auf Null gesenkt werden?! Und: Wie hoch sind die durch den Lockdown bedingten Opferzahlen durch verschobene Operationen und Arztbesuche, durch vom Lockdown erzeugten Stress und Existenzängste?! Ist der Preis einer weltweiten Wirtschaftskrise durch den Lockdown, die natürlich auch und v.a. die Massen trifft, angemessen?! Das (auch von der GAM benutzte) Argument, dass die Krise ohnehin gekommen wäre, ist schon deshalb fragwürdig, weil sie nie und nimmer die Ausmaße gehabt hätte, wie wir sie schon jetzt sehen.

Die Abschätzung der Folgen und des weiteren Verlaufs der Corona-Pandemie ist nicht einfach. Umso gefährlicher ist eine Unterschätzung oder gar Leugnung der Gefahr. Sicher – und da hat die GAM recht – gibt es auch „Corona-Kritiker“, deren Thesen einfach nur Blödsinn sind, doch das entschuldigt nicht diese undifferenzierte und demagogische Kritik der GAM: „Ähnlich wie bei den LeugnerInnen des menschengemachten Klimawandels wird dies jedoch keine/n der „Corona-SkeptikerInnen“ überzeugen – diese WissenschaftlerInnen gehören ja zur „Medienverschwörung“. Wichtig ist ihnen nur, „ihren Experten“ vorweisen zu können. In seinem Gefolge tummeln sich dann etliche Hobby-ExpertInnen, die statistisch „nachweisen“, dass die Sterblichkeit an Corona vom RKI völlig falsch dargestellt wird oder die Voraussagen alle so nicht eingetroffen seien, dass die Sterblichkeit in Italien wegen irgendwelcher Umwelteinflüsse besonders hoch sei etc.“

Es gibt keine „Medienverschwörung“, es gibt aber eine Art „Medienkartell“, das grundlegend den Interessen von Staat und Kapital dient (was einen Spielraum für Kritik nicht ausschließt). Und: Was hat die Klimafrage mit Corona zu tun? Nichts! Die Behauptung, die „LeugnerInnen des menschengemachten Klimawandels“ wären den Corona-Skepikern ähnlich, zeigt, nur, dass die GAM davon keine Ahnung hat. In einem früheren Artikel verstieg sich der Autor Markus Lehner sogar dazu, „Klimakritiker“ mit den obskuren Vertretern der Hohlerde-Theorie zu vergleichen. Er weiß offenbar nicht, dass zum Milieu der „Klimakritiker“ weltweit tausende Klimaforscher, darunter hunderte mit Professuren im Klimafach sowie ein Dutzend Physiknobelpreisträger gehören. Hier scheint eher eine Warnung vor Lehners Demagogie angebracht!

Immerhin hat der Artikel auch seriöse Passagen wie diese: „Die historischen Beispiele, wie die spanische Grippe, zeigen, wie schnell Gesundheitssysteme zusammenbrechen können und die Infektion in Wellen mehrfach um den ganzen Globus schwappen kann. Wenn es nicht gelingt, die Infektionsrate und die Erkennung von Infektionsketten in den Griff zu bekommen, also die Reproduktionsrate der „aktiv Infizierten“ nachhaltig zu begrenzen, droht ein unkontrollierbarer Ausbruch mit exponentiellen Wachstumsraten. Lässt sich der dann nicht auf ein bestimmtes Gebiet beschränken, hilft nur ein Lockdown. Die statistischen und medizinischen Gründe für Schutz- und Hygienemaßnahmen, die Notwendigkeit von permanenten massenhaften Tests und der möglichst raschen Entwicklung eines Impfschutzes sind rational nicht anzuzweifeln.“

Das ist richtig – allerdings kein Grund, die gesamte Kritiker-Szene undifferenziert zu diffamieren; schon gar nicht folgt daraus, das Agieren der Regierung weitgehend unkritisch und passiv zu betrachten. Die GAM und die Linke insgesamt zeigen sich – bisher – auch in der Corona-Krise als viel zu wenig urteils- und handlungsfähig.

„Staatssozialismus“

Die GAM schreibt: „Die Anerkennung der realen Gesundheitsgefahr muss, ja darf keineswegs mit einem „Schulterschluss“ mit Regierung und Unternehmen einhergehen. Im Gegenteil: Die Kritik an der mit Corona betriebenen Politik ist mehr als gerechtfertigt und dringend notwendig.“ Richtig! Nur, wo gibt es diese Kritik bei der GAM und bei der Linken?! Was die GAM dazu liefert, ist u.a. Folgendes: „Die überlasteten privaten Gesundheitssysteme müssen unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht, die medizinische Forschung zur Überwindung des Virus muss unter gesellschaftliche Kontrolle gestellt, das Wiederanlaufen von Arbeitsstätten, Kitas oder Schulen darf nicht der UnternehmerInnen- und Regierungswillkür überlassen, der Kampf muss gegen alle Entlassungen, für Fortzahlung der vollen Löhne und Transferleistungen für alle geführt werden. Eine solche, wirksame und reale klassenkämpferische Politik gegen Regierung und Kapital ist ohne Kapitalismuskritik und ohne unzweideutige Abgrenzung gegen eine rechte Scheinopposition nicht möglich.“

Dazu: Das Gesundheitssystem ist nicht durch Corona überlastet. Sicher brauchen wir Arbeiterkontrolle über das Gesundheitswesen u.a. Systeme. Doch was fordert die GAM? Die „Gesundheitssysteme müssen unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht“ werden. Hier reitet die GAM wieder ihr Lieblingspferd und schürt die Illusion, dass das Proletariat und der bürgerliche Staat gemeinsam die Produktionsmittel kontrollieren bzw. verwalten könnten. Marx hätte sich im Grabe umgedreht. Wie wäre es mit der Enteignung der Unternehmen und deren kollektive/genossenschaftliche Verwaltung? Die Losung der GAM entspricht der Politik der alten II. Internationale a la Kautsky, Bernstein, Lenin u.a., die alle den Staat für „sozialistische“ Zwecke einsetzen wollten. Leider hat die GAM nichts aus dem Scheitern dieser „Staatssozialisten“ gelernt. Diese TrotzkistInnen der GAM kennen auch das Übergangsprogramm von Trotzki nicht, denn dort steht nirgends etwas von Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle – außer im Bankensektor, wo Trotzki aber nicht vom bürgerlichen Staat, sondern von einer Arbeiterregierung spricht.

Zu den Kitas und Schulen führt die GAM einen Eiertanz auf: “das Wiederanlaufen von Arbeitsstätten, Kitas oder Schulen darf nicht der UnternehmerInnen- und Regierungswillkür überlassen“ werden. Gut und schön. Doch: sollen sie überhaupt wieder anlaufen oder nicht? Das ist doch derzeit die Frage. Bezüglich der Schulen kennen wir die Haltung der GAM (she. oben). Ist es aber sinnvoll, ja überhaupt denkbar, Kitas und Schulen Monate lang zu schließen?!

Es stimmt, wenn die GAM schreibt: Eine “wirksame und reale klassenkämpferische Politik gegen Regierung und Kapital ist ohne Kapitalismuskritik und ohne unzweideutige Abgrenzung gegen eine rechte Scheinopposition nicht möglich.“ Doch zugleich – und vor allem – ist dazu eine klare Kante gegen die Regierung und ihr Versagen notwendig sowie eine sachliche, auf Fakten und Argumente gestützte Kritik an anderen Auffassungen. Daran fehlt es der GAM – und leider nicht nur ihr.

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