Hanns Graaf
In ihrer Zeitung „Neue Internationale“ Nr. 248 vom Juli/August 2020 (http://arbeiterinnenmacht.de/2020/07/13/programm-verstaatlichung-aber-richtig/) behandelt die Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) die Frage der Verstaatlichung, da die gegenwärtige Krise neben Konjunkturprogrammen auch Verstaatlichungen (Lufthansa) in den Fokus der Öffentlichkeit rückt.
Die GAM-Autoren Karl Kloß und Jürgen Roth (KuR) legen dar, für welche Art von Verstaatlichung sie eintreten: 1. soll die Verstaatlichung ohne Entschädigung der vorigen Privateigentümer bzw. Aktionäre erfolgen; 2. soll der Staat die volle Verfügung über das Unternehmen haben und diese nicht mit dem Privatkapital, mit Aktionären usw. teilen; 3. soll es eine weitestgehende Arbeiterkontrolle über die Verstaatlichung, die Geschäftsführung usw. geben.
Natürlich gibt es immer wieder Situationen, wo eine Verstaatlichung von Unternehmen erfolgt oder erfolgen könnte, damit ein Unternehmen weiter bestehen kann und Arbeitsplätze erhalten bleiben. Dass Linke in einem solchen Fall für möglichst viel Arbeiterkontrolle eintreten, sollte dabei selbstverständlich sein. Doch der Artikel der GAM enthält viele Positionen und Begründungen, die falsch und keinesfalls marxistisch oder revolutionär sind. Auf einige zentrale Fragen wollen wir hier eingehen.
Verstaatlichung ohne Alternative?
Die GAM stellt die Sache stets so dar, als ob die einzige Antwort auf Bankrotte, Entlassungen oder eine Krise die Verstaatlichung wäre. Allerdings gibt es aus Sicht der Arbeiterklasse auch eine andere Alternative: die Übernahme des Betriebes / der Einrichtung durch die Beschäftigten bzw. durch Organe der Arbeiterklasse etwa in Form einer Genossenschaft.
Das Genossenschaftswesen war Anbeginn ein zentrales Projekt der ArbeiterInnenbewegung und vieler SozialistInnen. Aufgrund der Ignoranz, ja oft der Feindschaft gegenüber der Arbeiterselbstverwaltung wurde das Genossenschaftswesen aber systematisch unterschätzt und ruiniert. Die Verantwortung dafür tragen der Reformismus der Sozialdemokratie (und der Gewerkschaftsbürokratie), aber auch die „MarxistInnen“ in der Tradition Lenins. Sie favorisierten eine Staatswirtschaft, die auf dem Ausschluss von Selbstverwaltung, also der direkten Verfügung der ProduzentInnen (und KonsumentInnen) über die Produktion beruhte. Diese seltsamen „MarxistInnen“ zeichnen sich wie auch die GAM durch vollständige Ignoranz der Genossenschaftsfrage aus und stellen oft noch die absurde These auf, dass auch Marx gegen die Genossenschaften gewesen wäre. Auch im hier besprochenen Beitrag der GAM wird die Option der Vergenossenschaftlichung mit keinem Wort erwähnt. Es geht der GAM nicht etwa darum, die „Proletarisierung“ von Eigentum als Möglichkeit zu widerlegen, als unmöglich oder falsch darzustellen – die Frage wird einfach ignoriert.
Bei ihrer Ablehnung des Genossenschaftssystems beruft sich die GAM auf Trotzki, der sich im „Übergangsprogramm“ (ÜP) auch für Verstaatlichungen unter Arbeiterkontrolle eingesetzt hätte.
Positionen der Klassiker
Tatsächlich gibt es im ÜP aber gar keine Forderung, welche die Verstaatlichung (durch den bürgerlichen Staat) und die Arbeiterkontrolle koppeln würde. Nur in Hinsicht auf das Banksystem ist davon die Rede. KuR zitieren aus dem ÜP: „Das sozialistische Programm der Enteignung – das heißt des politischen Sturzes der Bourgeoisie und der Aufhebung ihrer wirtschaftlichen Herrschaft – darf uns in der gegenwärtigen Übergangsperiode auf keinen Fall daran hindern, gegebenenfalls die Enteignung einiger Industriezweige, die für die nationale Existenz lebenswichtig sind, oder der parasitärsten Gruppen der Bourgeoisie zu fordern (…) Der Unterschied zwischen diesen Forderungen und der verwaschenen reformistischen Losung der ,Verstaatlichung‘ besteht darin, dass wir: 1. eine Entschädigung ablehnen; (…) 3. die Massen dazu aufrufen, nur auf ihre eigene revolutionäre Kraft zu vertrauen; 4. die Frage der Enteignung mit der Frage der Arbeiter- und Bauernmacht verbinden.“
Dazu ergänzen KuR: „In der Formulierung von denjenigen Teilen der Bourgeoisie, die am parasitärsten und für die herrschende Klasse am wichtigsten sind, um ihre Herrschaft zu erhalten, geht es im Prinzip um den Bankensektor und dessen Enteignung und Zusammenfassung in einer einheitlichen, zentralisierten Staatsbank. Denn das wichtigste Instrument für die KapitalistInnen ist der Kredit, um über ausreichend Kapital zu verfügen, damit man noch produzieren kann.“
KuR übersehen aber einen entscheidenden Aspekt. Trotzki knüpft die Forderung der Verstaatlichung – wie Punkt 4 zeigt – an eine Arbeiterregierung, nicht an eine bürgerliche! Dazu folgt bei Trotzki im ÜP ein entscheidender Satz, den KuR erst gar nicht erwähnen: „Doch bringt die Verstaatlichung der Banken diese günstigen Ergebnisse nur dann, wenn die Staatsmacht selbst in ihrer Gesamtheit aus den Händen der Ausbeuter in die Hände der Werktätigen übergeht.“ M.a.W.: die positiven Effekte der Enteignung des Kapitals treten nur auf, wenn sie von einem Arbeiterstaat (Arbeiterregierung) vorgenommen werden. Diese „Kleinigkeit“ vergisst die GAM. Marx nennt die bürgerliche Verstaatlichung wiederholt eine „unechte“ Vergesellschaftung. Auch Engels haut in die gleiche Kerbe. KuR zitieren ihn:
„Aber weder die Verwandlung in Aktiengesellschaften noch die in Staatseigentum, hebt die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf… Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe, sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben. Aber auf der Spitze schlägt es um. Das Staatseigentum an den Produktivkräften ist nicht die Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung.“ („Anti-Dühring“, MEW 20, 260).
Doch auch hier missversteht die GAM die eigentliche Aussage. Anstatt, wie Engels, zu betonen, dass eine Verstaatlichung durch den bürgerlichen Staat eben das Kapitalverhältnis nicht aufhebt und keinen Bruch mit der bürgerlichen Gesellschaft darstellt, nimmt die GAM Engels´ Formulierung gerade als Beleg dafür, dass eine Verstaatlichung im Kapitalismus unerhörte Vorteile hätte (darauf gehen wir weiter unten ein).
Dieser Umgang mit Klassiker-Zitaten zeigt ein weitverbreitetes Problem von „MarxistInnen“: sie lesen die Texte so, dass sie darin ihre (Vor)urteile bestätigt finden. Man liest sozusagen mit einer speziellen Brille. Man kann das auch Dogmatismus nennen. Zudem kann man die eigene Position ohnehin nicht durch Zitate begründen, sondern nur durch theoretische Herleitung und empirische und historische Beweise. Diese Beweise – so viel sei hier schon verraten – bleibt die GAM schuldig. Sie hat nur Behauptungen und eine „besondere“ Zitierweise zu bieten.
Nun ist das Vorgehen der GAM nicht verwunderlich. Als TrotzkistInnen sind sie auch gute LeninistInnen. Lenin war aber ein Vertreter der Vorstellung einer Staatswirtschaft unter einer Arbeiterregierung. Diese Auffassung, die er wiederholt betont hat und die auch praktisch in Sowjetrussland realisiert wurde, ging einher mit der Ignoranz gegenüber bzw. der Eliminierung der Ansätze von proletarischer Selbstverwaltung. Diese Konzeption (die direkt an ähnliche Vorstellungen der II. Internationale, z.B. von Hilferding, Renner, Neurath u.a. anknüpft) führte letztlich zum Stalinismus und war der entscheidende Faktor dafür, dass sich die Bürokratie zur neuen herrschenden Klasse aufschwingen konnte – darum, weil mit der Staatsverwaltung „von oben“ jene Strukturen geschaffen und ausgebaut wurden, wo die Bürokratie ihr soziales Zuhause hat.
Die GAM ist insofern – trotz aller abstrakten (!) Betonungen der Rätedemokratie und ihrer Kritik am Stalinismus – „staatssozialistisch“. Da ein Staatssozialismus aber (jedenfalls für wirkliche MarxistInnen) ein Ding der Unmöglichkeit ist, mutiert er in der Realität immer zu ganz ordinärem Staatskapitalismus. Dessen historisches Schicksal in Osteuropa sollte nach 1990 allgemein bekannt sein.
Illusionen
Der GAM ist zwar irgendwie bewusst, dass die „Ehe“ zwischen Arbeiterkontrolle und bürgerlichem Staat nicht besonders harmonisch sein kann, doch sie betont diesen Punkt kaum, ja sie behauptet sogar, dass dieses Modell (und sogar die Verstaatlichung an sich, auch ohne Arbeiterkontrolle) allerlei positive Effekte für die Gesellschaft, für die Lohnabhängigen und für den Klassenkampf hätte. Wir wollen gar nicht bestreiten, dass es solche partiellen und zeitweiligen Effekte geben kann. Jedoch bestreiten wir, wie die GAM dabei verallgemeinert.
KuR schreiben dazu u.a.: „Der Sturz des tatsächlichen Gesamtkapitalisten erleichtert den Aufbau des Sozialismus, insofern der Akt der Inbesitznahme der individuellen kapitalistischen Produktionsmittel durch den ArbeiterInnenstaat, ihre entschädigungslose Verstaatlichung, entfiele.“
Man kann sich nur wundern, von „MarxistInnen“ solchen Unsinn zu lesen. Das Proletariat muss den bürgerlichen Staat im Zuge der Revolution zerschlagen und ihn durch ein Rätesystem ersetzen. Ob der Staat viele, alle oder einige Produktionsmittel besitzt, ist dabei völlig egal. Mittels der administrativen Macht kann das Proletariat das Kapital (egal ob staatlich oder privat) enteignen, so umfangreich und schnell, wie es ihm möglich ist oder sinnvoll erscheint.
Der „Akt der Inbesitznahme der individuellen kapitalistischen Produktionsmittel“ erfolgt praktisch auch nicht durch den „ArbeiterInnenstaat“, wie die GAM glaubt, sondern durch die Belegschaften, also einen je spezifischen, betrieblichen Teil der Klasse. Genau das erfolgte auch in den konkreten Revolutionen, etwa 1917/18 in Russland oder ab 1936 in Spanien. Erst, als nach 1917 in Sowjetrussland durch die Politik der Bolschewiki (v.a. ab 1921, nach Beendigung des Bürgerkriegs) die Belegschaften (endgültig) als konkrete Eigentümer enteignet und die Herrschaft der Zentralbürokratie zementiert wurden, war der 1917 begonnene Vergesellschaftungsprozeß beendet und jene strukturellen Verwerfungen entstanden, die letztlich zum Stalinismus führten. Die Verstaatlichung führte dazu – und musste dazu führen – das Subjekt der sozialen Entwicklung, das Proletariat, zu knebeln und zu behindern.
KuR schreiben: „Die Verstaatlichung verbessert allgemein die Kampfbedingungen der ArbeiterInnenklasse. Der Staat hat die Tendenz zur Vereinheitlichung und Zentralisierung von Arbeitsbedingungen, Tarifen und Betriebsgrößen. Dies ist für die Aufhebung von Klassenzersplitterung in Bewusstsein und Organisation dienlich und erleichtert auch die Durchsetzung eines einheitlicheren Arbeitsrechts. Es trägt zur Proletarisierung von aristokratisierten Schichten und zur Isolierung des elitären Berufsbeamtentums bei.“
Wir wissen nicht, welchen Kapitalismus Kloß und Roth kennen, im realen Kapitalismus jedenfalls gibt es diese „allgmeinen“ Effekte nicht. Wenn dem so wäre, müssten staatliche Bereiche Horte des Klassenkampfes sein – eher ist das Gegenteil der Fall.
Weiter behaupten KuR: „Der Staat hat die Tendenz zur Vereinheitlichung und Zentralisierung von Arbeitsbedingungen, Tarifen und Betriebsgrößen. Dies ist für die Aufhebung von Klassenzersplitterung in Bewusstsein und Organisation dienlich und erleichtert auch die Durchsetzung eines einheitlicheren Arbeitsrechts. Es trägt zur Proletarisierung von aristokratisierten Schichten und zur Isolierung des elitären Berufsbeamtentums bei.
Schon ein Blick auf (ehemals) typische Staatsunternehmen (Bahn, Post, Verwaltung, Bildung usw.) zeigt, dass das nicht stimmt. Berufsbeamtentum gibt es überhaupt nur im staatlichen Bereich. Deren Privilegien (z.B. Pensionen) stellen eine erhebliche Belastung des „Sozialstaates“ zu Lasten des Proletariats und eine wichtige soziale Spaltungslinie dar. Ein einheitliches – wenn auch zugleich diskriminierendes – Arbeitsrecht (Arbeitsgesetzbuch) gibt es bereits, das hat mit dem staatlichen Sektor überhaupt nichts zu tun.
Einen weiteren Vorteil der Verstaatlichung sehen KuR hier: „Außerdem erleichtert die Verstaatlichung die Möglichkeit zu flächendeckender und wirksamer ArbeiterInnenkontrolle. Die Einsichtnahme in institutionelle Vorgänge kann nicht mit dem Hinweis auf privatrechtliches Geschäftsgeheimnis verwehrt werden. Sie erschwert außerdem betrügerischen Konkurs zum existenziellen Nachteil der Beschäftigten und erleichtert die Einführung eines einheitlichen transparenten Rechnungswesens und von einheitlichen Produktionsnormen.“
Wie schon Trotzki im ÜP feststellte, können wesentliche positive Effekte der Verstaatlichung nur dann eintreten, wenn es sich um einen proletarischen Staat handelt. Doch das tangiert die GAM nicht, sie dichten auch dem bürgerlichen Staat bzw. der Verstaatlichung wahre Wunder an, z.B. die „wirksame ArbeiterInnenkontrolle“. Kein Wort darüber, dass der bürgerliche Staat alles versucht, um eine effektive Einflussnahme der Arbeiterklasse auf die Gesellschaft zu verhindern. Warum, fragen wir die GAM, soll der bürgerliche Staat überhaupt zerschlagen werden, wenn unter seinem Dach so wunderbare Reformen möglich sind?!
Auch die Ausführungen zum Geschäftsgeheimnis sind falsch, denn dieses gilt für alle Unternehmen, gleich welcher Rechtsform. Auch einheitliche Produktionsnormen (was immer diese genau sein sollen) sind mehr von den technischen Notwendigkeiten abhängig als vom Staat und hängen zudem immer stärker von internationalen (privatrechtlichen) Strukturen ab als von nationalen Bedingungen und Regelungen.
Weiter geht’s mit der Traumtänzerei: die Verstaatlichung „ermöglicht Einsichtnahme und (bei ArbeiterInnenkontrolle) Einübung in das Führen eines Betriebes unter ArbeiterInnenregie (Schule der Planwirtschaft). Sie fördert unter dieser Bedingung das Verständnis für branchenübergreifende Zusammenhänge und für die Notwendigkeit zur Ausarbeitung eines gesellschaftlichen Plans.“
Auch hier erweist sich die GAM als straff leninistisch. In „Staat und Revolution“ behauptet auch Lenin, dass die Arbeiterklasse im Kapitalismus quasi „sozialistische Betriebsführung“ lernen würde. Man fragt sich nur, wie das gehen soll, wenn sie nahezu Null Einfluss auf das betriebliche Management hat, kaum Einblick in die Geschäftsunterlagen und auch kaum Qualifikationen dafür? Sicher ist die Arbeiterkontrolle ein Weg, diesem Mangel etwas abzuhelfen, grundsätzlich kann sie daran aber gar nichts ändern, weil der Wirkungsbereich von Arbeiterkontrolle vom bürgerlichen Staat eher früher als später eingeschränkt oder ganz abgeschafft wird. Das Erlernen ökonomischer und administrativer Fähigkeiten ist hingegen in Betrieben, die den ArbeiterInnen selbst gehören – kollektive und genossenschaftliche Unternehmen – gut möglich und sogar unabdingbar. Aber diese werden von der GAM ja ignoriert …
Die „Ausarbeitung eines gesellschaftlichen Plans“ durch die Arbeiterklasse ist möglich und notwendig, dafür braucht es aber keine Verstaatlichung. Um z.B. das Energiesystem (Stromsystem) umzugestalten – als Alternative zur desaströsen Energiewende (EW) -, könnte ein Kongress aus Beschäftigten, Gewerkschaften, Fachleuten, Stromkunden, Umweltschützern usw. einen „Energieplan“ ausarbeiten. Das ist bisher nicht geschehen, weil die Arbeiterbewegung und die Linke (darunter auch die GAM) die EW-Politik und die sie „begründende“ Klimahysterie weitgehend unreflektiert unterstützen. Dabei ist der Energiesektor traditionell und tw. auch heute noch stark staatlich reglementiert – doch wo folgt daraus irgendein Vorteil im Sinne der GAM?!
Die Illusionen der GAM in Verstaatlichung und (den Anschein von) Arbeiterkontrolle von Gnaden des bürgerlichen Staates kennen wahrlich keine Grenzen, sie wären sogar ein „Hebel zur Aufhebung der Teilung in Hand- und Kopfarbeit“. Wer´s glaubt, wird selig.
Wie wollen hier aber nicht verschweigen, dass die GAM auch darauf hinweist, dass Verstaatlichung und Arbeiterkontrolle nur Zwischenschritte sind, die im Kontext der sozialen Revolution gesehen werden müssen: „All diese Vorzüge sind natürlich relativ und entfalten ihre Wirkung nur, wenn die Verstaatlichung nicht als solche als Lösung des Problems betrachtet wird, sondern als Schritt, den Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung zuzuspitzen, als Schritt zur Enteignung der gesamten KapitalistInnenklasse und der Errichtung einer demokratischen Planwirtschaft, was ihrerseits nur durch die Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse möglich wird.“
Das ist natürlich korrekt. Doch wenn die Verstaatlichung als solche keine Lösung ist, sie aber, wie wir gezeigt haben, auch keine grundsätzlich positiven Effekte bringt – wozu dann die grundsätzliche, alternativlose und fast Mantra-artige Betonung der Verstaatlichung durch die GAM?
Fazit
Die Fehler der GAM bezüglich der Verstaatlichung bestehen 1. darin, dass sie die Option der Vergenossenschaftlichung von Unternehmen ignoriert; 2. der Verstaatlichung per se positive Wirkungen andichtet, die sie nicht hat; 3. weitgehend ausblendet, dass die Verbindung von Arbeiterkontrolle und dem bürgerlichen Staat als Eigentümer antagonistisch und nur kurzfristig möglich ist; 4. schließlich suggeriert sie fälschlich, dass ihre Forderung der Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle dem Übergangsprogramm Trotzkis entstamme.
Trotzdem gibt es genug Fälle, wo Unternehmen pleite sind oder Entlassungen vornehmen, und der Staat einspringen soll, um den Standort und die Arbeitsplätze zu erhalten. Wenn es dann keine sinnvolle Möglichkeit gibt, das Unternehmen als Kollektiveigentum der Belegschaft bzw. der Arbeiterklasse weiterzuführen, ist die Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle eine vernünftige Option. Doch dann muss darauf verwiesen werden, welche Probleme mit dieser bürgerlichen Verstaatlichung verbunden sind und dass diese eben kein Weg ist, der Arbeitermacht oder dem Kommunismus einen Schritt näher zu kommen.
Die Politik der GAM schürt hier – wenn auch sicher ungewollt – Illusionen in den (bürgerlichen) Staat, anstatt auf die proletarische Selbstverwaltung zu orientieren. Damit ignoriert sie auch die bitteren Erfahrungen der Arbeiterklasse mit allen Konzepten, die auf den Staat anstatt auf die Selbstorganisation der Klasse gesetzt haben – seien es nun die Reformisten der II. Internationale, Lenins Bolschewiki oder die Stalinisten. Anstatt die umfangreichen historischen Erfahrungen des Proletariats, aber auch vieler Bauern und KleinproduzentInnen mit kollektiven Wirtschaftsformen zu verarbeiten und programmatische und praktische Schlüsse daraus zu ziehen, wird dieser ganze Bereich nicht nur stiefmütterlich, sondern gar nicht behandelt. Und diese Linken nennen sich selbst „MarxistInnen“, obwohl ihnen hier jedes materialistische und historisch-kritische Denken abgeht: sie sind Ideologen.
Es ist geradezu paradox: einerseits betonen KuR, dass „nur die ArbeiterInnen in den Unternehmen und als KonsumentInnen und NutzerInnen wissen (…), was die Bedürfnisse der Klasse sind, und können diese entsprechend durch gewählte Kontrollkomitees, welche jederzeit wähl- und abwählbar sowie der Klasse gegenüber rechenschaftspflichtig sind, im Produktionsprozess berücksichtigen.“ Doch real umsetzen können sich diese Fähigkeiten und Bedürfnisse der Klasse weder in verstaatlichten Unternehmen noch durch eine Arbeiterkontrolle dort, die ja nur eine eingeschränkte und kurzfristige ist. Das ist eben nur in Unternehmen bzw. in Bereichen möglich, wo die ArbeiterInnen selbst EigentümerInnen sind, auch wenn diese Bereiche natürlich immer noch Inseln oder ein Archipel im Meer des Kapitalismus sind.
Brecht dichtete einmal „Um uns selber müssen wir uns selber kümmern“. Die GAM glaubt hingegen, dass der Staat der große Kümmerer sein könne.
„Welche staatliche Plankommission sollte denn den Betriebsegoismus der Kooperativen bremsen und die Befriedigung der gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisse synchronisieren?“
Das Problem, dass die Genossenschaften zu kollektiv-kapitalistischen Unternehmen werden, ist real. Dagegen hilft nur, dass die Linke solche Projekte initiiert bzw. auf sie einwirkt. Letztlich geht es darum, Genossenschaften nicht nur als soziale oder ökonomische Strukturen für die Beschäftigten anzusehen, sondern sie als Teil der Klasse und ihres Kampfes gegen den Kapitalismus zu betrachten – und als Labore einer anderen Gesellschaft. Das Überleben und die Ausrichtung genossenschaftlicher Unternehmen hängen v.a. davon ab, ob die Klasse / die Linke einen größeren Genossenschftsektor schafft oder nicht. Dass das möglich ist, hat z.B. die Kinderladen-Bewegung gezeigt.
Verstaatlichung als Forderung fand ich schon immer seltsam und nicht gleichbedeutend mit Vergesellschaftung. Wie sollen aber Arbeiterkontrolle oder Betriebsräte marode Großunternehmen, wie die Lufthansa, TUI, Autokonzerne und Zulieferer, Großbanken wie die Deutsche und Commerzbank etc. in der Krise sanieren? Im Übrigen hat die staatliche Daseinsvorsorge einen Doppelcharakter und dient zur Inkorporierung der sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften. Dito die Mitbestimmung.
Auch genossenschaftlich organisierte Unternehmen brauchen den Markt für den Warenaustausch. Welche staatliche Plankommission sollte denn den Betriebsegoismus der Kooperativen bremsen und die Befriedigung der gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisse synchronisieren?