Paul Pfund
Gewerkschaften (wir betrachten hier v.a. die im DGB organisierten Gewerkschaften, nicht andere wie z.B. den Deutschen Beamtenbund) werden zu recht als die wichtigsten proletarischen Klassenorganisationen angesehen, was ihre Größe, ihre Kampfkraft auf dem Feld der Ökonomie und ihre Nähe zum Proletariat betrifft. Insofern ist es sehr bedenklich, wenn die Mitgliederzahl des DGB seit vielen Jahren sinkt – seit 1990 hat sie sich halbiert. 2017 sank sie erstmals unter 6 Millionen. Ende 2022 waren es nur noch 5,6 Mill. Mitglieder – ein Minus gegenüber dem Vorjahr von über 85.000. Trotzdem haben die Gewerkschaften – selbst nur die im DGB – immer noch weit mehr Mitglieder als alle Parteien zusammen.
Vom Gewerkschaftsapparat werden als Gründe für diesen Abwärtstrend u.a. die demografische Entwicklung, Beschäftigungsabbau, der größere deregulierte Billiglohnsektor, die Ausweitung tariffreier Bereiche, der Strukturwandel in der Berufswelt und die Pandemie angegeben. Sicher sind das reale Probleme. Doch v.a. ist die Politik der Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten selbst daran schuld. Sie haben etwa den Agenda-Gesetzen „ihres“ SPD-Kanzlers Schröder zugestimmt bzw. sie selbst mit auf den Weg gebracht. Der IG Metall-Funktionär Peter Hartz war nicht nur Namensgeber der Hartz-Gesetze, er hat dessen Konzeption und die Ausweitung des Billiglohnsektors mitgestaltet. Genauso sein IG-Metall-Kollege Riester, der die neoliberale Umgestaltung des Sozialversicherungswesens (Riesterrente) mitzuverantworten hat. Eine Gewerkschaft, die solche Funktionäre hat, braucht keine Feinde mehr.
Geschichte
In der Periode des Langen Booms nach 1945 gelang es dem DGB noch, tw. zweistellige Lohnzuwächse zu erreichen. Die starke und lange Konjunktur, aber auch die Bestrebungen des Kapitals, Streikruhe zu erreichen, die Klasse zu befrieden und schwächere Kapitale durch „hohe“ Tarifabschlüsse auszubooten, spielten dabei eine Rolle. Zugleich waren die Gewerkschaften (wie auch SPD und KPD) nach 1945 wie Phönix aus der Asche wiedererstanden und waren sogar stärker als zuvor. Der DGB war nach Kriegsende unter Mithilfe der Westalliierten auf eine reformistische, „sozialpartnerschaftliche“ und antikommunistische Strategie eingeschworen worden. Das war umso leichter umsetzbar, als die stalinistische KPD einer fatalen Politik folgte, die ihr viele Arbeiter entfremdete: das Mittragen der Demontagen der Industrie, die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten durch Stalin und die These von der „Kollektivschuld der Deutschen“, welche die Verantwortung der Nazis und des Kapitals für Krieg und Terror relativieren sollte. Diese absurde Politik untergrub die Stellung der KPD ebenso wie das undemokratische und zunehmend ineffiziente System der DDR, das die Arbeiterinnen und Arbeitern in Ost und West dem „Sozialismus“ immer mehr entfremdete. Das waren auch die Ursachen dafür, dass die KPD 1956 in der BRD fast ohne Widerstand verboten werden konnte. Deren Verschwinden führte auch dazu, dass die SPD die einzige relevante Kraft im DGB war, deren Politik bestimmte und deren Apparat dominierte.
Das Politikverständnis des DGB bewegte sich von Beginn an im Rahmen des Reformismus. Zwar räumte man mitunter die Existenz eines Klassenkonflikts ein, doch man glaubte, ihn „harmonisieren“ zu können – durch die „Sozialpartnerschaft“, durch das Tarifsystem, durch die Mitgliedschaft in den Aufsichtsräten und die Kooperation mit der SPD, die sich um die „große Politik“ kümmern sollte. Bis in die 1970er funktionierte das auch. Doch dieser „Erfolg“ hat zugleich seine eigene Grundlage unterhöhlt: das Klassenbewusstsein, d.h. die Einsicht und die Bereitschaft der Arbeiterschaft, gegen das Kapital kämpfen zu können und zu müssen.
Reformismus
Die Entpolitisierung der Gewerkschaften, ihre Orientierung fast nur auf tarifliche u.a. Fragen des Lohnarbeitssystems ist an sich schon eine Kapitulation vor dem Kapital, denn die meisten und oft die wichtigsten Fragen werden nicht im Betrieb, in der Branche oder überhaupt in „der Ökonomie“ entschieden, sondern auf der politisch-staatlichen Ebene. So ist es zwar schön, wenn die Gewerkschaften aktuell wenigstens einen teilweisen Inflationsausgleich erstreikt haben. Doch was ist dieser wert, wenn die Regierung zugleich mehrere hundert Milliarden für Rüstung, den Ukrainekrieg oder die Finanzierung des selbstverschuldeten Energieversorgungsdesasters ausgeben?! Dazu sagt der DGB nichts oder stimmt, wie die IG Metall-Führung, der Aufrüstung zur „Sicherung der Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie“, sogar noch zu. Genauso fatal ist, dass der bürgerliche Staat – in typisch reformistischer Manier – immer als Vermittler, als Schlichter akzeptiert wird.
Ein anderer Grund für die Schwächung des Klassenkampfes und dessen Unterordnung unter die Spielregeln der bürgerlichen Demokratie ist die bürokratische Verfasstheit der Gewerkschaften. Natürlich gelten in den Gewerkschaften „allgemein“ demokratische Prinzipien: Vorstände werden gewählt, zu Tariffragen und Streiks gibt es Urabstimmungen usw. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. So ist die Gewerkschaft aus dem Betrieb pro forma ausgeschlossen, im Betrieb kann nur der Betriebs- oder Personalrat offiziell tätig sein. Dieser kandidiert zwar meist auf der Liste einer DGB-Gewerkschaft, aber nicht immer. Er kooperiert dann (meist) mit der Gewerkschaft. Diese Doppelstruktur befördert grundlegend den Einfluss des Betriebsegoismus, also von Partialinteressen anstelle der Interessen und des Einflusses der Gesamtklasse. Praktisch vertieft das die Spaltung in der Klasse. Die Stellung des DGB als Dachorganisation ist gegenüber den Branchengewerkschaften schwach. Die Anerkennung der “Friedenspflicht“ und die Verpflichtung, bei Nichteinigung eine „staatlich vermittelte“ Schlichtung zu akzeptieren u.a. Regeln, stellen praktisch eine Einschränkung des Streikrechts dar.
Ein Hauptproblem ist das Fraktionsverbot, das nicht immer formell, aber praktisch in den Gewerkschaften gilt. Gleichwohl gibt es überall eine (unerklärte) Fraktion: die der SPD. Sie ist über tausend Kanäle mit den Gewerkschaftsapparaten und den Betriebsräten verbunden. Diese teilen weitestgehend den sozialdemokratischen Reformismus. Diese Praxis des Fraktionsverbots wird als normal hingestellt, obwohl sie woanders, z.B. in Österreich, nicht existiert. Die oft katastrophale Gewerkschaftspolitik der KPD schon vor 1933 – v.a. die RGO-Politik – hat den Einfluss revolutionärer u.a. linker Ansichten und Strukturen in den Gewerkschaften untergraben und den Reformisten noch Argumente gegeben, gegen die „Spalter“ vorzugehen und sie rauszuschmeißen.
Ein nicht zu unterschätzender Faktor für den Niedergang der Gewerkschaften ist auch die Politik der „radikalen Linken“ gegenüber bzw. in den Gewerkschaften. Gerade der 68er-Linken fehlte es oft an einem korrekten Verständnis dessen, was Reformismus ist. Entweder führte das zu pseudo-radikalen Positionen oder aber zu einer Anpassung an den Reformismus bzw. dessen linkere Teile. Ein Beispiel dafür ist die Politik der LINKEN oder der MLPD, die es ablehnen, eine eigene Fraktion im DGB aufzubauen. So überlassen sie die Gewerkschaften strukturell – und damit auch politisch – dem Zugriff der Reformisten.
Folgen
All diese strukturellen und politischen Entwicklungen haben langfristig zur weitestgehenden Untergrabung des Klassenbewusstseins geführt und die Bereitschaft – und in mancher Hinsicht sogar des Vermögens, den Klassenkampf zu führen – untergraben. Diese Situation, die die Reformisten selbst herbeigeführt haben, wird von ihnen dann zugleich als Vorwand für ihre defensive und systemtreue Politik genutzt – weil mehr nicht möglich oder „nicht vermittelbar“ wäre. Der Klassenkampf, ja selbst ein Streik kann nicht einfach auf Knopfdruck ausgelöst und gesteuert werden. Dafür braucht es aufbereitete Erfahrungen, einen Kaderstamm und Strukturen. All diese Grundlagen des Klassenkampfes wurden über Jahrzehnte unterminiert.
Abgesehen von diesen strategischen und historischen Fragen sind es aber auch ganz alltägliche Erfahrungen, die Menschen bewegen, in eine Gewerkschaft einzutreten und aktiv zu sein oder aber auszutreten, weil die Politik der Gewerkschaft den Beitrag nicht wert ist. Wenn wir uns die letzten Jahre und Jahrzehnte anschauen, dann sieht die Bilanz eher düster aus. Früher gelang es den Gewerkschaften, v.a. der IG Metall, noch, wichtige Errungenschaften durchzusetzen – durch massive Mobilisierungen und Streiks. So wurde Ende der 1950er die Lohnfortzahlung bei Krankheit erkämpft, in den 1980ern erreichte die IG Metall die 35-Stunden-Woche. Solche großen und viele kleinere Erfolge waren es, die vielen Lohnabhängigen praktisch bewiesen, dass man gemeinsam, mittels einer großen Organisation und Klassenkampfaktionen gegen das Kapital etwas ausrichten kann.
Doch das Bild trübte sich immer mehr ein. So wurde 2003 der Streik für die Einführung der 35-Stunden-Woche in den ostdeutschen Bundesländern von der IG Metall-Führung v.a. auf Druck der Gesamtbetriebsräte der großen westdeutschen Konzerne verraten. Es ist auch bezeichnend genug, dass seit den 1980ern nicht ernsthaft versucht wurde, die 35-Stunden-Woche auch auf andere Branchen auszudehnen. Während der Wende 1990 verabsäumte es der DGB, eigene Forderungen gegen die neoliberale Ausplünderung der Ex-DDR aufzustellen und umzusetzen. Die Zerschlagung und die Ausplünderung der ostdeutschen Industrie war so nur möglich durch die Passivität des DGB.
Derzeit arbeiten rund 700.000 Menschen im Leiharbeitssektor und Millionen in ausgegliederten Bereichen. Sie verdienen nicht nur meist weniger, sie sind auch schwerer zu organisieren. Zudem haben die DGB-Gewerkschaften nicht verhindert, dass in Deutschland die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen faktisch abgeschafft und auch deshalb die „tariffreien Zonen“ immer größer wurden. Heute arbeiten nur noch knapp 50% aller Beschäftigten tarifgebunden. Zuletzt konnten wir sehen, dass die Gewerkschaftsführungen weder etwas gegen die verstärkte Aufrüstung sagten, noch gegen die Kriegspolitik der Ampel. Die Streiks der letzten Monate zum Ausgleich der Inflation haben meist auch nur Abschlüsse gebracht, die unter der Teuerungsrate liegen und einen Reallohnverlust bedeuten. Wer wundert sich da noch, dass immer weniger Menschen bereit sind, sich gewerkschaftlich zu organisieren? Der DGB hat es in seinem Aufruf zum Antikriegstag 2022 auch versäumt, sich klar von der Politik der Ampel zu distanzieren – von Aktionen ganz abgesehen.
Die Misere der Gewerkschaften ändert allerdings nichts an der grundlegenden Erkenntnis, dass Gewerkschaften unverzichtbar sind, um als Lohnabhängige dem Kapital effektiv begegnen zu können und die Bedingungen für den Verkauf der Ware Arbeitskraft zu verteidigen. Ein Austritt aus der Gewerkschaft oder linke Mini-“Gewerkschaften“ wie die anarchistische FAU sind keine Lösungen.
Ambivalenz
Trotz des ernüchternden Gesamtbildes, das die Gewerkschaften insgesamt abgeben, dürfen wir nicht vergessen, dass sie immer noch in der Lage sind, Kämpfe für die Interessen der Beschäftigten zu führen und das mitunter auch tun. 2022/23 gab es mehrere große Streiks für höhere Löhne zum Ausgleich der Inflation. Auch wenn diese keinen wirklichen Ausgleich erreicht haben, wäre die Variante, gar nicht zu kämpfen, noch schlechter gewesen. Immerhin haben diese Aktionen Hunderttausenden, ja Millionen Menschen nicht nur in den Gewerkschaften gezeigt, dass sich Widerstand lohnt. Die Streikergebnisse haben aber andererseits auch gezeigt, dass es der Bürokratie wieder einmal gelungen ist, eine Ausweitung der Bewegung zu verhindern, vorschnell auf die Angebote der Gegenseite einzugehen, damit ein besseres Ergebnis und v.a. mehr klassenkämpferische Dynamik zu verhindern.
Noch schlimmer ist aber die schon übliche Beschränkung der Gewerkschaftspolitik auf den tariflichen Bereich. Die großen Probleme und fatalen Entwicklungen auf allen Gebieten der Gesellschaft, die mit der Ampel-Regierung rapide zugenommen haben, interessiert die Bürokratie fast nicht, es gibt höchstens einige unverbindliche und folgenlose Statements. Dass das Energiesystem und damit die wirtschaftliche Basis des Landes und Europas untergraben werden, dass Deutschland immer stärker aufgerüstet wird und faktisch zur Kriegspartei gegen Russland geworden ist, dass die Inflation Millionen in die Armut drängt usw. usw. – all das tangiert die reformistischen Führungen im DGB nicht. Auch die wachsende Wohnungsnot und die Aktivitäten dagegen, z.B. die Bewegung „Deutsche Wohnen enteignen“ wurden und werden von ihnen weitgehend ignoriert. Sie sind damit direkt mitverantwortlich für die zunehmenden sozialen und politischen Fehlentwicklungen! Die Proteste, die es gegen den Krieg, gegen die „grüne“ Energiepolitik gab und gibt, leiden deshalb darunter, dass sie viel zu schwach sind und aufgrund des Fehlens enger Verbindungen zur industriellen Arbeiterklasse keinen ökonomischen und politischen Druck erzeugen können.
Eine empörende Rolle spielt dabei auch die LINKE. Sie trägt sogar die politische Hauptverantwortung dafür, dass es so wenig Widerstand gibt, weil sie – v.a. ihr Apparat – in etlichen wichtigen Fragen die Regierungspolitik grundlegend, wenn auch kritisch, mitträgt: Coronapolitik, Klimapolitik, Energiewende, Atomausstieg, Genderismus usw. Bei all diesen Absurditäten, Dummheiten – die letztlich Angriffe auf politische und soziale Errungenschaften der Arbeiterbewegung sind – war sie stets an vorderster Front dabei. Dabei hatte sie zunächst – im Unterschied zur SPD, die sowieso nicht mehr als Systemalternative wahrgenommen wird – viele Linke angezogen und sie damit in eine rein reformistische und unwirksame Politik eingebunden. Die LINKE hat immer mehr Menschen, die früher Mitglieder waren oder sie gewählt haben, vergrault. Die LINKEN-Spitzenpolitiker Klaus Ernst räumte zuletzt ein, dass die LINKE seit ihrer Gründung (genauer: der Fusion mit der WASG) 90% ihrer Arbeiterwähler verloren hat. Das, was die SPD v.a. seit ihrer Agenda-Politik erlebt, trifft nun die LINKE. Ihre Rolle als Anwalt der „Kleinen Leute“ hat sie – zu recht – fast komplett eingebüßt.
Eine zentrale Rolle dabei, dass die Linke sich immer weiter von der Arbeiterklasse entfernt hat, spielt deren Orientierung auf die Mittelschichten und auf „künstliche Themen“, die die soziale und die Systemfrage an den Rand gedrängt haben: Klima, Genderismus, Corona-Hysterie usw. Fast alle diese strategischen Projekte der bürgerlichen Eliten (und des dahinter stehenden Finanzkapitals) werden von den Linken und den Gewerkschaften mitgetragen. Da kann sich der Arbeiter nur sagen: Die spinnen, diese Linken.
Beispiel GdL
Es ist bekannt, dass eine Gewerkschaft v.a. dann Eintritte verzeichnet, wenn sie wirklich kämpft, z.B. mit Streiks. Andererseits verliert sie Mitglieder, wenn sie passiv bleibt oder Kämpfe ausverkauft. Ein Beispiel dafür, wie die Gewerkschaften wieder attraktiver werden könnten, ist die Gewerkschaft der Lokführer (GdL). Früher war sie eine sehr kleine Standesorganisation, die nur wenige Bahnmitarbeiter, v.a. Lokführer, organisierte. Sie war konservativer ausgerichtet als die Mehrheitsgewerkschaft bei der Bahn (GdED, heute Transnet). Unter ihrem Chef Weselsky wurde sie aber deutlich aktionistischer, auch deshalb, um sich als Kleinverein gegenüber ihrer größeren Schwestergewerkschaft besser zu behaupten. Immerhin ist der Erhalt der eigenen Struktur eine wichtige Motivation der Bürokratie. Eine Rolle spielte auch, dass die GdED für die Lokführer zu wenig erreicht hatte. Als die GdL 2015 einen sehr militanten Streik führte und dabei ihre strategisch wichtige Position im Bahnsystem ausnutzte, zog sie damit Mitglieder an, die von der GdED enttäuscht waren. Obwohl die Konkurrenz zwischen GdL und Transnet an sich die Kampfkraft der Bahnbeschäftigten schwächt, zeigt das Agieren der GdL in den vergangenen Jahren doch, was mit einer aktiven, militanteren Politik erreicht werden kann. Andererseits tritt die GdL heute für die Aufspaltung der Bahn in eine Netz- und eine Fahrgesellschaft ein, was eine rein reaktionäre Position ist.
Was tun?
Eine Veränderung der Politik der Gewerkschaften kann nur erreicht werden, wenn deren reformistische, nur auf einen Ausgleich mit dem Kapital orientierte Politik überwunden wird. Nur so ist es möglich, sie aus Instrumenten der Einbindung des Proletariats ins kapitalistische System zu Instrumenten des Klassenkampfes zu machen. So, wie der DGB und die Linke heute beschaffen sind, ist es leider unmöglich, eine grundlegende Erneuerung der Gewerkschaften zu erreichen. Letztlich braucht es dafür eine starke revolutionäre Partei. Gegenwärtig wäre schon viel gewonnen, wenn die linken und kämpferischen Kräfte, die es in den Gewerkschaften, bei Betriebsräten und Vertrauensleuten natürlich immer noch gibt, sich besser vernetzen würden und als aktive Opposition im DGB sichtbar würden. Wie kann das erreicht werden?
Letztlich ist eine andere Politik in den Gewerkschaften nicht ohne Konflikte mit dem Apparat und vielen Betriebsräten umsetzbar. In diesem Konflikt ist es notwendig, als Linke zu allen wichtigen Fragen – nicht nur ökonomischen, sondern auch politischen wie z.B. dem Ukrainekrieg und der Aufrüstung – eigene Positionen zu beziehen, die offizielle Politik des Apparats, seine Ziele und Methoden zu kritisieren, Alternativen aufzuzeigen und Vorschläge zu machen. Das kann nur gelingen, wenn die Linken die Unterstützung der Basis oder zumindest von relevanten Teilen von ihr haben. Daraus muss eine handlungsfähige Struktur aufgebaut werden. Grundsätzlich wäre das natürlich eine revolutionäre Fraktion. Eine solche ist gegenwärtig aber unmöglich, da es keine revolutionäre Partei gibt, die sie tragen könnte. Möglich ist es aber heute schon, eine klassenkämpferische Basisstruktur zu schaffen, die linke, oppositionelle und kämpferische Kolleginnen und Kollegen sowie Nichtorganisierte einbindet. Diese Basisbewegung in und um den DGB braucht ein Aktionsprogramm, das konkrete Ziele fixiert und klar macht, wie und mit wem man diese erreichen will.
Gerade aktuell zeigt sich, wie fatal es ist, wenn sich die Gewerkschaften nur auf ökonomische, betriebliche und tarifliche Fragen beschränken. Es ist geradezu absurd, einige Prozente mehr Lohn zu erstreiken, zugleich aber zuzulassen, dass mehrere hundert Milliarden Steuermittel für Aufrüstung, Waffenlieferungen, zur Rettung des angebliche bedrohten Klimas und für eine aberwitzige Energiepolitik verschleudert werden?!
Um im Bereich von Betrieb und Gewerkschaft etwas zu erreichen zu können, müsste die „radikale Linke“ dort mehr engagieren. Doch die meisten linken Gruppen haben keine reale Verbindung zur Klasse und bemühen sich auch kaum darum. Und wenn, ist ihre Politik meist weit davon entfernt, einer klaren Konzeption zu folgen. Oft genug besteht die „radikale“ Politik nur darin, mit den „linkeren“ Funktionären zu kungeln. Oft genug erschöpft sie sich in Nur-Gewerkschafterei und stellt keine Verbindung zu den allgemeinen gesellschaftspolitischen und historischen Fragen her. Die Erarbeitung einer konsistenten Programmatik zur Arbeit in Betrieb und Gewerkschaft ist eine der zentralen Aufgaben, welche die Linke kooperativ (!) lösen muss.
Arbeiterpartei
Manche Linke sehen in einem besseren „Organizing“ einen Weg aus der Krise der Gewerkschaft. Doch die Krise ist v.a. eine Krise der politischen Strategie, des Reformismus, nicht nur der angewandten Mittel oder zu geringer Mitgliedszahlen. Das zentrale Problem – nicht nur für die Gewerkschaft, sondern für alle Bereiche des Klassenkampfes – ist das Fehlen einer starken revolutionären Partei.
Ein Hindernis dafür, eine neue Arbeiterpartei aufzubauen, die auch eine zentrale Rolle für die gewerkschaftliche Opposition spielen würde, ist das Nur-Gewerkschaftertum (Trade-Unionismus und Anarcho-Syndikalismus). Die damit verbundene Ideologie glaubt, dass eine Arbeiterpartei überflüssig, ja schädlich wäre. Sie sieht nur die Gefahr der Degeneration, die mit einer Partei – aber auch mit jeder anderen Struktur – verbunden ist, jedoch nicht deren besondere Qualität. Diese besteht v.a. darin, ein konsistentes Programm erarbeiten und verbreiten zu können, ohne das es dem Proletariat unmöglich ist, den Kapitalismus zu überwinden. Eine Gewerkschaft, ein Bündnis, eine Bewegung oder Räte vereinen verschiedene Schichten und Ideologien, die in der Klasse vorkommen. Diese Heterogenität ist einerseits ihre Stärke, weil sie breite Schichten vereint, sie ist aber andererseits auch eine Schwäche, weil sie programmatisch und taktisch uneinheitlich ist und immer einen politischen Kompromiss darstellt. Zudem beschränkt sich deren Wirksamkeit immer auf bestimmte Bereiche der Gesellschaft und des Klassenkonfliktes, während eine Partei eine viel umfassendere Wirksamkeit in allen Bereichen der Gesellschaft entfalten kann.
Viele linke Gewerkschafter sind in linken Organisationen organisiert oder waren es. Ihre Erfahrungen damit waren oft frustrierend. Verständlich, dass sie von einer neuen Partei oft nichts wissen wollen und ihre Organisationen sich mit dieser Frage auch meist nicht befassen. Diese „Selbstblockade“ gilt es zu überwinden! Gerade betriebliche und gewerkschaftliche Aktivistinnen und Aktivisten müssen ihre Erfahrungen in den Formierungsprozess einer neuen revolutionären Arbeiterpartei einbringen. Angesichts des Niedergangs der SPD, der tiefen Krise der LINKEN und des erbärmlichen Zustands der „radikalen Linken“ ist es höchste Zeit dafür – wann, wenn nicht jetzt?!