Weltzustandsbericht

Hanns Graaf

Containerkolosse vor
Rhodos auf leer
Gefischtem
Meer.

Fünfhundertjährige
Riesen im Dschungel: Ge-
Fällt für Fenster mit
Ausblick ins
Grün.

Kontinentale
Verschiebungen.
Klick klick: in Millisekunden
Milliarden.

Raketen,
Irdische, zielen auf
Unsern, uns fernsten
Planeten.

Computer
Der x-ten Generation
Erfassen die
Toten der Sahel-
Zone.

Verhungert
Soeben mit
Sieben ein
Späterer
Nobelpreisträger.

Vor Afrikas
Schulhütten: Kinder-
Soldaten üben das
Killen.

Beton
Stürzt vom berstenden
Welthandelszentrum
Auf hoffende
Bettler.

Grinsender
Gipfel. Zehn-
Tausende Fäuste dagegen
Geballt in Genuas
Gassen.

Ihr widerborstiger
Prophet: verschüttet
In Highgate, nahe dem
Meridian
Null.

2004

Das böse Fleisch

Vegetarismus / Veganismus

Hanns Graaf

Alternative und Weltretter aller Art haben einen Feind ausgemacht – nein, nicht das Bürgertum, sondern den Burger. Schnitzel und Leberwurst, Milch und Käse, Eier und Butter sind zu Menetekeln der Weltbedrohung geworden. Tierische Methan-Furze killen das Klima. Rinder  verbrauchen zu viele Ressourcen. Erst kommt zwar das Fressen, doch dicht dahinter schleichen die vereinigten Moralapostel aller Länder einher – d.h. eigentlich nur jener Länder, wo es genug zu Essen gibt und mancher Mensch auch zu viel in sich hineinstopfen kann. „Das böse Fleisch“ weiterlesen

Der Fall Lyssenko

Geschichte der Wissenschaft

Hanns Graaf

Trofim Denissowitsch Lyssenko (1898-1976) war ein sowjetischer Agronom und Biologe, der unter Stalin großen Einfluss erlangte. Seine Theorie – später „Lyssenkoismus“ genannt – knüpft an Lamarck an. Die Genetik wurde unter Stalin als „bürgerliche Theorie“ per se abgelehnt. Nach Lyssenko werden Erbeigenschaften nicht durch Gene, sondern durch Umweltbedingungen bestimmt. Die Entwicklung der Arten erfolge nicht durch Mutation und Selektion, sondern durch die Vererbung erworbener Eigenschaften, d.h. durch Umwelteinflüsse. Einige seiner Forschungsergebnisse wurden später sogar als Fälschungen entlarvt. „Der Fall Lyssenko“ weiterlesen

Laudatio des Tages vom 6.7.2016

HaHo

Unser Dank geht heute an Gerd Müller von der CSU. Sie werden ihn nicht kennen: er ist Minister. Nun hat er durch eine Wortmeldung bewiesen, dass es ihn als Entwicklungshilfe-Minister in der Bundesregierung wirklich gibt. Viele hatten ja geglaubt, dass die Entwicklungshilfe vom Wirtschaftsministerium gleich mit verwaltet wird – in Form von Rüstungsexporten. Ja, ein Ministerium für Entwicklungshilfe gibt es wirklich. Wir müssen jetzt nur noch rauskriegen, ob es die Entwicklungshilfe als solche noch gibt.

Auch seinem Namen hat unser Minister Ehre gemacht. Wir wissen ja vom FC Bayern, dass dort einst ein Gerd Müller sehr treffsicher war. Auch unser Ministerialer Gerd trifft genau ins Schwarze, ist ja auch kein Wunder, er ist ja bei der CSU. Er weiß auch genau, wie man’s macht. Er hat sich erstens ein Thema ausgesucht, wo jeder auch ohne Sachkenntnis punkten kann: die Klimakatastrophe. Zweitens hat er sich eine taffe Partnerin gesucht: die Umweltministerin und promovierte Expertin für die Geschichte der Margarine-Industrie in NRW Barbara Hendricks. Beide taten nun, was immer gut ankommt: ihrer Sorge über den Zustand der Welt Ausdruck zu verleihen.

„Der Klimawandel treibt Millionen Menschen aus den Dürreregionen Afrikas und den Küstengebieten Asiens in die Flucht.“, meinte Minister Müller. Und blitzgescheit, wie er nun Mal ist, fügte er gleich hinzu: „Nur wenn wir alle gemeinsam wirksam den Klimaschutz voranbringen, können wir eine Welt ohne Hunger und Armut schaffen.“

Was sind schon 20 Monate Arbeitslosigkeit oder 20 nicht bezahlte Raten gegen 20 Zentimeter Meeresspiegel-Anstieg im 20. Jahrhundert?! Dass immer mehr Menschen in den Küstenregionen Asiens leben, ist doch ein klares Zeichen dafür, dass der Asiate es cool findet, wenn der Pazifik in der Gemeinschaftsunterkunft für 20 Wanderarbeiter schwappt.

Auch die Armut ist natürlich eine Folge des Klimawandels. Das sieht man schon daran, dass das Klima, das sich ja früher bekanntlich nie geändert hat, bisher keine Probleme bereitet hat. Armut hängt von der Temperatur ab, nicht etwa von fehlenden Jobs, schlechter Bezahlung oder Unterentwicklung. Auch der Hunger hat natürlich nichts zu tun mit Armut oder mit durch die Börsen in die Höhe getriebenen Lebensmittelpreisen. Nein, es ist der Niederschlag, der fehlt. Leider fehlen auch die Statistiken, die das zeigen. Und natürlich muss auch im rückständigen 21. Jahrhundert ein Land, wo es in einem Jahr Mal etwas weniger geregnet hat (was es früher nie gab), unweigerlich ins Chaos abrutschen.

Der Arabische Frühling ist überhaupt nur eine Folge der Trockenheit. Diktatur, Mangel an Demokratie, Korruption und Perspektivlosigkeit haben damit nichts zu tun. 100 Liter Wasser pro Nase ersetzen jede Revolte. 2 Grad weniger – und die arabischen Hitzköpfe hätten weiter auf dem Gebetsteppich gekniet, statt Straßen und Plätze zu besetzen.

Dank Ihnen, Herr Müller, haben wir nun endlich verstanden: nicht der Kapitalismus ist die Ursache, sondern das Klima.

IPCC und Klimapolitik: Mythos vs. Realität

Hanns Graaf

Das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, „Weltklimarat“) wurde im November 1988 von der UNO und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet. Es betreibt selbst keine Forschung, sondern trägt Ergebnisse der Klimaforschung zusammen und systematisiert sie. Das IPCC gibt regelmäßig Sachstandsberichte, die IPCC-Assessment-Reports (AR) heraus. Diese Berichte werden von Arbeitsgruppen erstellt und vom Plenum bestätigt. Bisher erschienen fünf Berichte: 1990, 1995, 2001, 2007 und 2013. „IPCC und Klimapolitik: Mythos vs. Realität“ weiterlesen

Einer vietnamesischen Zigarettenverkäuferin

Hanns Graaf

Kühler Morgen. Grau wie Asche
Stehst du an des Marktes Rand
Mit der Zigarettentasche,
Schachteln in der kalten Hand.

Fragen dich nach Preis und Sorte.
Maskenlächeln. Geld zurück.
Ganze Stangen. Halbe Worte.
Kleiner Handel. Kleines Glück.

Land des Sonnenaufgangs ferne,
Weiter als ein Vogelflug.
Fast verraucht, verglüht wie Sterne,
Wie ein Zigarettenzug.

Zählst die Kunden und die Stunden.
Deine Blicke voller Angst.
Eine Streife zieht die Runden
Und du weißt, worum du bangst.

Hinter dem Gardinengitter
Spüre ich es heiß im Bauch.
Auf der Zunge schmeckt es bitter
Mir, obwohl ich gar nicht rauch.

Jeder Markt ist eine Falle.
Leben hat den kleinsten Preis.
Siehst nicht, wie die Faust ich balle,
Bis die Knöchel werden weiß.

Zur Losung der Verstaatlichung

Hanns Graaf

Bei einigen linken Organisationen spielt die Losung der Verstaatlichung eine wichtige Rolle. Bei der Gruppe Arbeitermacht (GAM) z.B. taucht die Verstaatlichungs-Forderung oft mit den Zusätzen „entschädigungslos“ und „unter Arbeiterkontrolle“ auf. Hier nur ein Beispiel dazu: in der Arbeitermacht-Infomail Nr. 709 heißt es zum Konflikt bei Norgren: „Betriebe, die entlassen oder mit Entlassungen drohen, müssen entschädigungslos enteignet und unter Kontrolle der Beschäftigten verstaatlicht werden!“ Im GAM-Aktionsprogramm von 2012 heißt es im selben Sinn: „Streiks und Besetzungen im Kampf gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen! Entschädigungslose Verstaatlichung und Fortführung der Produktion solcher Firmen!“

Die GAM glaubt sich dabei in Übereinstimmung mit Geist und Text des 1938 von Trotzki verfassten und von der IV. Internationale angenommenen Programms, des „Übergangsprogramms“ – zumindest macht sie nirgends deutlich, dass sie bewusst von den dortigen Positionen Trotzkis in dieser Frage abweicht. „Zur Losung der Verstaatlichung“ weiterlesen

Vorwärts, es geht zurück!

Die Energiewende im historischen Kontext

Hanns Graaf

Um aktuelle Entwicklungen, ob allgemein in der Gesellschaft oder im speziellen Bereich der Technik, beurteilen zu können, sollten wir sie in ihrem historischen Zusammenhang betrachten. Wir wollen dies hier für den Bereich der Energietechnik tun. Dies ist schon deshalb notwendig, weil derzeit speziell in Deutschland mit der Politik der „Energiewende“ (EW) etwa seit der Jahrhundertwende eine massive Umstrukturierung des Energiesektors vonstatten geht. Sie wurde insbesondere von der rot/grünen Schröder-Regierung vorangetrieben und von allen Folgeregierungen unter Merkel weitergeführt. Obwohl es Modifizierungen gab, die auch Ausdruck der zunehmenden Probleme mit der Ausweitung der „Erneuerbaren Energien“ (EE) sind, wurde der grundlegende Trend der EW beibehalten. „Vorwärts, es geht zurück!“ weiterlesen

Revolte im Gemüsebeet

Eine Kritik an „Der kommende Aufstand“

Hannes Hohn
(zuerst erschienen in: Revolutionärer Marxismus 43, Verlag global red, Oktober 2011)

Anfang 2011 sorgte die deutsche Übersetzung der Broschüre „Der kommende Aufstand“ für Furore. Per Internet und Kopierer verbreitete sich das Pamphlet in der linken und alternativen Szene wie ein Lauffeuer. Selbst im bürgerlichen Feuilleton wurde es breit behandelt. Schon in Frankreich, woher die Autoren (die anonym bleiben und sich „Unsichtbares Komitee“ nennen) stammen, verbreitete sich das Büchlein, das dort 2007 unter dem Titel „L´insurrection qui vient“ erschien, rasend schnell. „Revolte im Gemüsebeet“ weiterlesen