Fundstück III

Vergesst nicht, dass diejenigen Menschen euch am besten dienen werden, die ihr aus eurer eigenen Mitte wählen werdet, die das gleiche Leben wie ihr führen und die gleichen Leiden ertragen wie ihr (…) Vermeidet vom Schicksal Begünstigte, denn selten nur will derjenige, der ein Vermögen besitzt, im Arbeitenden seinen Bruder sehen. Wählt eher diejenigen, die sich um eure Stimmen nicht bewerben; der wahre Verdienst ist bescheiden, und es ist Sache der Wähler, ihre Kandidaten zu kennen, und nicht der Kandidaten, sich erst vorzustellen.

Aus dem Aufruf des ZK der Nationalgarde der Pariser Kommune vom 25.3.1871 am Vorabend der Wahlen.

Ein dreiviertel Jahrhundert für vier Quadratmeter

Die Wohnungsfrage in der UdSSR

Hanns Graaf

Sofort nach der Oktoberrevolution gingen die Bolschewiki daran, die Wohnsituation der werktätigen Massen, v.a. des Proletariats zu verbessern. Ohne dass es zunächst offizielle Beschlüsse gab, wurden reiche Wohnungseigentümer enteignet, die Wohnungen ArbeiterInnen übergeben oder sie dort einquartiert. Die bourgeoisen Eigentümer mussten die Wohnungen oft innerhalb 24 Stunden räumen. Von der Einrichtung durfte nichts, von der Kleidung nur wenig mitgenommen werden. Mitunter wurde das Nutzungsrecht der ehemaligen Wohnungsinhaber auf ein oder zwei Zimmer in ihrer eigenen Wohnung beschränkt. „Ein dreiviertel Jahrhundert für vier Quadratmeter“ weiterlesen

Austreibung Trotzkis

Hanns Graaf

I

Was noch
Gilt der Ausgewiesne, der
Prophet dem weitren
Russland?

Postenwechsel an der
Frostverworfnen
Strecke. Unterm
Schnee stockt das
Oktoberlaub.

An der Böschung
Wachsen Reste von
Konserven. Drum
Schmarotzer raufen sich:
Die Krähen. Im Dickicht
Schnürt abseits der
Rotfuchs.

Um nicht
Einzufrieren,
Dampft die Rostlok
Hin und her
Auf totem
Gleis.

Frostzerknirschte
Wachen draußen. Drinnen
Lew, mit Grippe, spielt alleine
Schach.

Moskau bringt sich um
Die Türme. Bauernopfer.
Winkelzüge, die
Rochaden.

Draußen
Donnert es: Mein
Panzerzug!
Ihm glüht der
Kopf. Kein Wasser? Ist auch das
Versiegt.

Und ich, in dem
Verdammten Zuge,
Ich bin nicht am
Zug!

II

An den Rand getrieben
Triffst Du mich,
Odessa,
Wieder.

Meine Schule.
Klassen, die ich
Durchging. Zirkelarbeit,
Das Theater. Einem
Zuckt die illegale
Hand zum Gruß.

ILJITSCH liegt
Vertäut. Da tönt die
Pfeife. Stalin lässt
Abdampfen. Abfuhr ins
Schwarzmeer
Vergessen.

Kalte Krim.
Erblasste Küste. Brüder,
Unser Land treibt
Ab.

Verschollne
Wogen. Hinter uns die
Rinne, wie sie
Zufriert!

Doch,
Wo immer ich
Hinfahre, fahre ich
Fort.

Anmerkung:

Im Januar 1929 wurde Leo Trotzki von Stalin des Landes verwiesen. Während man überlegte, wie seine Vertreibung ohne Aufsehen erfolgen könnte, wartete der Zug, der Trotzki nach Odessa brachte, auf der abgelegenen Station Rjaschk. Von Odessa, wo Trotzki seine Jugend verlebte, wurde er mit dem Dampfer ILJITSCH in die Türkei gebracht. Vgl. Trotzkis Autobiographie „Mein Leben“.

Der Modellierungswahn

Hanns Graaf

Die Behauptung, dass uns eine Klimakatastrophe bevorstehe, ja dass sie sogar heute schon zu spüren sei, gründet sich auf drei Säulen: erstens auf tatsächlich zu beobachtenden klimatischen Phänomenen wie dem Anstieg des Meeresspiegels, dem Steigen der Temperaturen seit ca. 150 Jahren oder verstärkter Eisschmelze in bestimmten Regionen. Diese Entwicklungen, die sich aber alle innerhalb „normaler“, sich zyklisch wiederholender Schwankungen des Erdklimas vollziehen und keinesfalls besonders dramatische Ereignisse darstellen, werden einfach mechanisch linear in die Zukunft verlängert, was „natürlich“ zu beunruhigenden Ergebnissen führen muss. „Der Modellierungswahn“ weiterlesen

Fundstück II

Die Sklaverei war ein Holocaust – und zwar einer, der 245 Jahre andauert. Genauso wie die Ausmerzung der amerikanischen Ureinwohner ein Holocaust war, nicht weniger schlimm als der Holocaust im Zweiten Weltkrieg oder der Völkermord an den Armeniern. Natürlich hat jedes dieser schrecklichen Ereignisse seine ganz eigene, nicht vergleichbare Geschichte. Aber letztlich ging es in allen Fällen um rassistisch motivierten Völkermord.

Filmemacher Quentin Tarantino in Berliner Zeitung 17.1.13

Energiewende: Wissenschaftlicher Materialismus oder idealistische Luftnummer?

Eine Kritik zum Artikel „Energiewende, Bluff oder Flop?“ in NI 201

Hannes Hohn

In Nummer 201 der Monatszeitung „Neue Internationale“ der Gruppe Arbeitermacht (GAM) vom Juli 2015 geht der Autor Jürgen Roth auf die Energiewende (EW) ein (she. www.arbeitermacht.de). „Energiewende: Wissenschaftlicher Materialismus oder idealistische Luftnummer?“ weiterlesen

Berlin. Marx-Engels-Forum

Hanns Graaf

Stille Spree.

Gesteinigte Skylla. Gezähmte
Charybdis.

Chairman Marx als
Biedermeier. Der Geniale, der
Beweger, der Besessene –
Gesetzt.

Engels,
Der Entdecker,
Forsche Kritiker –
Im Knitterfreien
Frack.

Als Alibis: gestellte
Stelen, Bilderchen
Von Klassenkämpfchen.

Bleiben die
Versteinert,
Läuft sichs Neue
Wiederwiederwieder
Tot.

1988

Wohnst Du noch, oder lebst Du schon?

Das DDR-Wohnungsbauprogramm

Hanns Graaf

Der bekannte Werbeslogan von IKEA enthält mehr ernst zu nehmenden Inhalt, als es sich die Marketing-Experten wohl gedacht haben. Schon Friedrich Engels wies darauf hin, von welch großer Bedeutung die Wohnverhältnisse für die gesamten Lebensverhältnisse sind. Man könne, so meinte er mit Blick auf die Wohnumstände der Arbeiterklasse, die Menschen mit einer Wohnung auch „erschlagen“. Leben ist nicht nur Wohnen, aber Wohnen ist immer ein Stück Leben. „Wohnst Du noch, oder lebst Du schon?“ weiterlesen

Fundstück I

Zeit ist es, was uns fehlt. Nur Zeit und weniger harte Arbeit. Damit wir auch einmal über uns selbst nachdenken können und nicht nur vor uns hinstarren und hinglotzen wie die Ochsen, die kauen und kauen und stieren und stieren und ziehen und ziehen und sonst nichts weiter zu tun wissen, als sich mit dem Schwanz die Fliegen wegzuscheuchen. Manchmal denke ich, dass wir viel elender sind, als Ochsen. Die Ochsen wissen es vielleicht nicht besser, aber wir wissen, dass alles besser sein kann; denn wir haben Dörfer gesehen und Städte und andere Menschen, die nicht so elend und unwissend sind wie wir.

B. Traven: Die Rebellion der Gehenkten

Stunde der Obskuranten

Hanns Graaf

„Die nächste Eiszeit könnte ausbleiben“, so überschrieb die Berliner Zeitung am 15.10.15 einen Beitrag zur Klimafrage. Sie bezog sich auf eine über dpa verbreitete Äußerung von Prof. Joachim Schellnhuber, Chef des Potsdamer PIK (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung) auf dem 9. „Münchener Klimaherbst“.  „Stunde der Obskuranten“ weiterlesen