Die Spanische Revolution (2/6)

Volksfront vs. Revolution

Hanns Graaf

Die mit den Wahlen im Februar 1936 an die Macht gekommene Volksfrontregierung setzte sich aus mehreren kleinen bürgerlichen Parteien, der Sozialdemokratie PSOE und der stalinistischen KP zusammen. Sie war Ausdruck eines zeitweiligen Patts der Klassenkräfte. Einerseits drängte das Proletariat zur Macht und begann, eigene Machtorgane – Räte, Generalstreikkomitees und Milizen, Genossenschaften – zu bilden, die meist unter Führung der AnarchistInnen standen. Doch diese Ansätze litten unter Führungen, die unwillig oder außerstande waren, die gesamte Macht auf nationaler Ebene zu ergreifen.

Auf der anderen Seite formierte sich die Reaktion: der Klerus, der Großgrundbesitz, die Offizierskaste und das Gros der Bourgeoisie. Sie scharten sich um General Franco. Dieser stand zunächst loyal zur Regierung, um sich aber schon bald gegen sie zu stellen. Sein Seitenwechsel markiert den Beginn der Offensive der Konterrevolution wie auch den Trend des Großteils der Eliten von der Volksfrontregierung weg – aus Angst vor der proletarischen Revolution.

Die Volksfrontregierung war in dieser Situation des relativen Gleichgewichts der Klassenkräfte v.a. Ausdruck eines Kompromisses – ähnlich der Zeit der Provisorischen Regierung im revolutionären Russland -, als keine Seite die Entscheidung erzwingen konnte. Doch die Dynamik einer Revolution duldet auf Dauer keinen Stillstand und keine größeren Kompromisse.

Die Volksfront an der Macht

Kaum installiert, war die Volksfrontregierung mit den grundsätzlichen Problemen der Spanischen Revolution konfrontiert: u.a. der Landreform und der Formierung der bewaffneten Konterrevolution.
Die Regierung verabschiedete eine „milde“ Agrarreform, die das Landproblem aber nicht löste. Sie sah pro Jahr etwa 50.000 „Ansiedelungen“, d.h. Bauernwirtschaften, die eigenes Land erhielten, vor. So wären aber selbst nach 20 Jahren nur eine Million Bauern zu Eigentümern geworden. Angesichts dieser Reform im Schneckentempo gingen die Bauern in vielen Gegenden zu gewaltsamen Landbesetzungen über. Anfangs tolerierte die Regierung diese Aktionen noch, aber bald stellte sie sich dagegen und ging gewaltsam gegen die Bauern vor. Die inkonsequente Landreform wie das Vorgehen der Regierung gegen die Bauern machte diesen klar, dass die Volksfrontregierung ihre Bedürfnisse nicht erfüllt. Das Potential der bäuerlichen Massen – eine wesentliche Grundlage der Revolution – war somit verschenkt worden.

Dass es auch anders ging, wurde schon daran deutlich, dass die AnarchistInnen großen Erfolg bei ihrer Land-Kampagne hatten. Durruti, ein Führer der anarchistischen CNT sagte: „Wir führen einen Krieg und machen zur gleichen Zeit die Revolution (…) Jedes Dorf, das wir erobern, beginnt entlang einer revolutionären Linie sich zu entwickeln.“ Die AnarchistInnen beschränkten sich jedoch nicht auf die Neuaufteilung des Landes, viele große Güter wurden kollektiviert – auf freiwilliger Basis. In Aragon etwa lebten 70% der Landbevölkerung in solchen Kollektiven. In Katalonien, wo es weniger große Güter gab und kleine Landbesitzer dominierten, gab es Landverteilungen und die Pachtzinsen wurden abgeschafft.

Wie in der russischen Revolution zeigte sich auch in Spanien die Möglichkeit, die Masse der armen Landbevölkerung auf die Seite der Revolution zu ziehen. Die Politik der Volksfrontregierung stieß die Bauern aber ab. So blieben Millionen Bauern der Verteidigung der Revolution gegen die Franco-Faschisten gegenüber gleichgültig, anstatt sie aktiv zu unterstützen und zu verteidigen.

Wie in der Agrarfrage versagte die Volksfront auch militärisch. Sie sah es nicht als nötig an, den bürgerlichen Staat, v.a. die Armee, zu zerschlagen und ihn durch Räte und Milizen der ArbeiterInnen und Bauern zu ersetzen. Sie vertraute auf die Loyalität der Armee und ihrer Führung. Das erwies sich als blutiger Irrtum – wie auch in Chile 1973, als General Pinochet Allendes Volksfrontregierung mit Hilfe der CIA wegputschte.

Als die Landbesetzungen „außer Kontrolle“ zu geraten drohten, als die ArbeiterInnen die Betriebe besetzten und begannen, die Produktion genossenschaftlich organisierten, als sie sich bewaffneten und eigene Milizen aufstellten, wurde der spanischen Bourgeoisie und der Offizierskaste klar, dass das gemäßigte Reform-Projekt der Volksfront und die bürgerlichen Verhältnisse mitsamt der Privilegien der Eliten von der Revolution weggespült werden könnten.

Diese Gefahr vor Augen putschten die Offiziere um General Franco. Der Putsch war absehbar und die Pläne dafür waren der Regierung sogar bekannt. Doch der Kriegsminister der Volksfront erklärte noch am 18. März 1936, dass „alle Offiziere (…) der spanischen Armee (…) die Befehle der gesetzmäßigen Regierung erfüllten.“ Welch ein Irrtum! Mitte Juli revoltierten 50 Garnisonen der Armee, nur 500 von 15.000 Offizieren blieben der Republik treu. In kürzester Zeit kontrollierten die reaktionären Falangisten Francos halb Spanien. Der Bürgerkrieg hatte begonnen.

Franco wurde von den faschistischen Regimen Deutschland und Italien unterstützt. Zu den brutalsten Kämpfern seiner Truppen gehörten die Marokkaner. Die Volksfront hatte es versäumt, der spanischen Kolonie Marokko volle Unabhängigkeit zu gewähren, was die Marokkaner auf die Seite der Revolution gezogen hätte. So aber blieb die Kolonie Marokko ein Aufmarschgebiet der Konterrevolution und die sehr armen und bezüglich der Revolution oft unwissenden Marokkaner konnten von Franco manipuliert und gekauft werden. Auch in der nationalen Frage hatte sich die Volksfront geweigert, selbst nur die demokratischen Aufgaben der Revolution umzusetzen – zu ihrem eigenen Schaden.

Doppelmacht

Wie auf dem Land nahmen die Kämpfe der ArbeiterInnen in den Städten ab Frühjahr 1936 deutlich zu. Es gab zahlreiche Streiks um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen und für die Amnestierung der politischen Gefangenen.
Am 1. Juli – unmittelbar vor Francos Putsch – begann eine Streikwelle von 70.000 Bauarbeitern um höhere Löhne. Das Arbeitsministerium gab den Forderungen zwar nach, doch die Bewegung war längst über ihre ursprünglichen Ziele hinausgegangen. Viele ArbeiterInnen waren bewaffnet, auch, um sich gegen die Faschisten zu verteidigen. Die anarchistische Gewerkschaft CNT hatte ein zentrales Verteidigungskomitee gebildet.

Die reale Macht lag in den Händen von ArbeiterInnenkomitees und Milizen, letztere zählten etwa 100.000 KämpferInnen. Während es in Madrid, wo die AnarchistInnen schwächer und der Einfluss der KP und der PSOE stärker waren, der Regierung gelang, die Bewegung zu bremsen, sah es in Barcelona, der Hochburg des Anarchismus, anders aus. Dort hatte der Staat nichts zu sagen. Bewaffnete ArbeiterInnen kontrollierten Straßen, Fabriken und Verwaltungen. Sie organisierten das öffentliche Leben und die Produktion. Obwohl die staatlichen Strukturen auch dort formell noch vorhanden waren, konnten sie ohne Zustimmung der Arbeiterorgane nicht handeln. Die politische Führung der Massen hatten die AnarchistInnen inne.

Die Volksfront versuchte das Unmögliche – zwischen den widerstreitenden und auseinanderstrebenden Polen der Franko-Reaktion hier wie der Massen dort zu balancieren – um den spanischen Kapitalismus zu retten. Alles hing nun davon ab, wie die politischen Führungen der Arbeiterklasse auf diese Doppelmachtsituation reagierten. Auf der einen Seite standen die städtischen Massen und die Dorfarmut, die andere Seite besetzten die offene Konterrevolution in Gestalt Francos, des Klerus, der Großagrarier und der Bourgeoisie sowie die „verdeckte“ Gegenrevolution in Form der Volksfrontregierung.

Das Problem bestand nun darin, dass die republikanische Regierung, die v.a. von den beiden Arbeiterparteien, der PSOE und der KP getragen war, im Kampf mit Franco stand. Dadurch wurden die Massen darüber getäuscht, dass die Volksfront und „ihre“ Parteien die Revolution verrieten und den Sieg über Franco zwar wollten, die dafür notwendigen Maßnahmen, d.h. eine tiefgreifende soziale Umwälzung, aber ständig unterminierten. Weder wurden die Bauern durch eine ernsthafte Landreform gewonnen, noch wurde die Bourgeoisie als Klasse enteignet und die Industrie konsequent auf Rüstungsproduktion umgestellt. Auch der bürgerliche Staatsapparat blieb, wenn auch stark geschwächt, außerhalb der anarchistischen Gebiete, intakt.

Die Politik der Stalinisten

Die KP war ab 1935/36 aus einer Miniorganisation zu einer einflussreichen Kraft geworden. Ausgestattet mit der Rückendeckung der Moskauer Bürokratie, die sich zu Unrecht als Erbin der Russischen Revolution ausgab, gelang es der spanischen KP – ausgestattet mit dem Mythos der „kommunistische“ Partei -, sich in den Kämpfen des Proletariats so einzumischen, dass sie sich einerseits als aktive Kraft verankern konnte, andererseits aber die Bewegung von der Erkämpfung der Staatsmacht ablenkte.

Da auch die AnarchistInnen zwar den Staat ablehnten, aber nicht die Zerschlagung des bürgerlichen Staates als Programm verfolgten und trotz ihrer führenden Rolle in der Arbeiterklasse und unter den armen Bauern nicht die Macht ergriffen, gelang es der KP trotz ihrer Volksfrontpolitik, sich zeitweise als „linke“ Alternative und „konsequente“ Alternative darzustellen. Die KP profitierte insofern von der politischen Impotenz der anderen Linken wie auch tw. von der mangelnden Erfahrung des spanischen Proletariats, das nicht wie das russische die Lehrstunde von 1905 erlebt hatte.

Stalin setzte auf eine strategische Kooperation mit den „demokratischen“ Imperialismen Frankreich und Britannien. Doch diese unterstützten nicht die Spanische Republik gegen Franco, sondern blieben neutral. Das bedeutete praktisch, dass sie Hilfslieferungen blockierten, während Hitler und Mussolini Franco offen militärisch unterstützten. Auch Stalin gelobte öffentlich Neutralität, die Waffenlieferungen und die Entsendung von Militärspezialisten erfolgten heimlich. Diese Hilfe erreichte jedoch bei weitem nicht den Umfang der Unterstützung, die Franco genoss. Die UdSSR versuchte auch nicht, auf Deutschland, das damals noch nicht zu einem größeren Krieg fähig war, politisch und militärisch Druck auszuüben – immerhin war die UdSSR damals die potentiell stärkste Militärmacht der Welt.

Stalins Strategie gegenüber Spanien ist ein klarer Ausdruck seiner Abwendung von der internationalen Revolution und seines Bemühens, die Herrschaft der Bürokratie in der UdSSR durch Kompromisse mit „dem Westen“ abzusichern. Kurz nach dem Sieg Francos ging Stalin sogar so weit, im August 1939 einen Geheimvertrag und einen offiziellen „Freundschaftsvertrag“ (!) mit dem faschistischen Deutschland abzuschließen, ohne den Hitler den Überfall auf Polen damals kaum hätte durchführen können. Stalins „Friedenspolitik“, auf deren Altar er auch die Spanische Revolution opferte, sicherte jedoch nicht den Frieden, sondern beschleunigte, ja ermöglichte vielleicht sogar den 2. Weltkrieg in Europa und die Anfangserfolge Hitlers.

Die spanische KP verzichtete bewusst auf das Weitertreiben der Revolution in Richtung Machtergreifung der Arbeiterklasse und die Überwindung des Kapitalismus, indem sie einem vom Typ her menschewistischen Etappenmodell folgte: Begrenzung der Revolution auf die bürgerlich-demokratische Phase, der dann „irgendwann“ und „irgendwie“ eine sozialistische folgen könnte. Diese im Kern bürgerliche Konzeption und der Einfluss der KP (und der PSOE) als „Bremse“ im Proletariat machte sie für die Bürgerlichen als Volksfrontpartner interessant, ja unverzichtbar. So hieß Anfang 1936 ein beliebtes Sprichwort: „Wenn du Spanien vor dem Marxismus retten willst, dann wähle die Kommunisten!“

Wie richtig diese Einschätzung war, geht auch aus einem Statement der Komintern hervor, in dem es heißt: „dass der gegenwärtige Kampf in Spanien nicht zwischen Kapitalismus und Sozialismus, sondern zwischen Faschismus und Demokratie stattfindet. In einem Land wie Spanien, wo feudale Einrichtungen und Wurzeln noch sehr tief reichen, hat die Arbeiterklasse (…) die einzig mögliche Aufgabe (…) die bürgerlich-demokratische Revolution zu verteidigen.“

1917 in Russland war die gesellschaftliche Situation sehr ähnlich – nur die Schlussfolgerung der Bolschewiki um Lenin und Trotzki war gänzlich anders: Weiterführung der demokratischen Revolution zur sozialistischen; nicht Teilnahme an der bürgerlichen Regierung, sondern deren Sturz und „Alle Macht den Sowjets“.

Daran zeigt sich, dass die Komintern unter Stalin in wenigen Jahren eine politische Kehrtwendung um 180 Grad vollzogen hatte. Von der Strategie der Weltrevolution war sie umgeschwenkt auf eine Strategie des Ausgleichs, des Status quo mit der Weltbourgeoisie. Für die reaktionäre Illusion dieses Teufelspakts schickte Stalin das spanische Proletariat in die Hölle. Natürlich war diese offen konterrevolutionäre Außenpolitik Stalins kein Zufall, sondern nur Ausdruck seiner Innenpolitik und des bis Ende der 1920er stattgefundenen sozialen Wandels in der UdSSR. Dieser bestand darin, dass das nach dem Bürgerkrieg erschöpfte und ausgezehrte System von Arbeitermacht durch die immer weiter erstarkende Bürokratie vollends ausgemerzt wurde und ein staatskapitalistisches System installiert wurde. War die Außenpolitik Stalins bis etwa Anfang der 1930er noch zentristisch (deshalb aber nicht weniger desaströs), zeigte sich schon mit dem Umschwung zur Volksfrontpolitik 1934 und endgültig ab 1936 in Spanien, dass sie inzwischen vollkommen bürgerlich, imperialistisch und offen konterrevolutionär geworden war.

Die Volksfront wurde von der KP durchaus nicht von links attackiert, sondern im Gegenteil selbst deren größte Versäumnisse und Schweinereien wurden oft gedeckt und aktiv unterstützt. Die KP verteidigte die Regierung gegen linke Kritik. Doch nicht nur das: mit Hilfe von Stalins Geheimpolizei ging sie äußerst brutal gegen andere Linke, gegen kämpferische ArbeiterInnen und FrontkämpferInnen vor, oft wurden diese unter allerlei Lügen und Vorwänden liquidiert. Tausende revolutionäre KämpferInnen der AnarchistInnen oder der POUM wurden verhaftet oder exekutiert. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass die meisten der stalinschen Schergen nach ihrer Rückkehr in die Sowjetunion als unliebsame Zeugen der Stalinschen Verbrechen selbst liquidiert oder in die Lager geschickt wurden. Noch tragischer ist, dass viele engagierte und todesmutige AntifaschistInnen, die aus aller Welt nach Spanien gekommen waren, um in den Internationalen Brigaden gegen Franco zu kämpfen, damals oft nicht verstanden, dass es hier nicht nur um die Frage Demokratie oder Faschismus ging, sondern um eine viel grundsätzlichere Frage: Kapitalismus oder Sozialismus?

Insofern ist die Spanische Revolution auch ein, wenn auch negativer, Beweis der Richtigkeit von Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution, die besagt, dass die Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution nur gelöst werden können, wenn das Proletariat die Führung übernimmt, seine Macht errichtet, die sozialistische Umgestaltung in Angriff nimmt und die internationale Revolution voran treibt. Spanien bestätigt auch Lenins These, dass die Epoche des Imperialismus eine von Krisen, Kriegen und Revolutionen ist. Dank der fatalen Politik der Führungen des spanischen Proletariats, nicht nur, aber v.a. der stalinistischen KP, wurde Spanien nicht zum Auftakt einer neuen Welle der proletarischen Revolution, sondern zum Vorspiel des 2. Weltkriegs.

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