Aufstehen ist sitzen geblieben – Eine Bilanz

Hanns Graaf

Als im September 2018 der Internetauftritt der Bewegung Aufstehen startete, interessierten sich viele Zehntausende für diese neue linke Bewegung und meldeten sich per Mail als Interessierte oder als Mitglied an.

Dieses Vorgehen offenbarte schon viele Probleme, die inzwischen zum Scheitern von Aufstehen geführt haben. Normalerweise würde man den Aufbau einer linken Struktur so beginnen, dass ein Programm oder zumindest Eckpunkte eines solchen diskutiert und sowohl Basisstrukturen wie auf diesen beruhende und aus ihnen hervorgehende Koordinierungsstrukturen geschaffen werden. Nicht so bei Aufstehen. Hier gab es eine InitiatorInnengruppe um Sahra Wagenknecht, die eine Medienkampagne initiierte, einen Aufruf verfasste und einen Trägerverein installierte. All das war – nicht nur am Anfang, sondern auch später – weder demokratisch legitimiert noch Ergebnis eines politischen Diskussions- oder Formierungsprozesses. Es war ein reines Top down-Projekt.

Abgesehen davon erwiesen sich die InitiatorInnen auch als organisatorisch unfähig. Anstatt – was heute technisch problemlos möglich ist – die InteressentInnen anhand ihrer Daten in regionale Strukturen einzuordnen, wurde das weitgehend dem Zufall oder der Initiative einiger AktivistInnen überlassen. Es gab massenhaft Klagen darüber, dass man als InteressentIn an Aufstehen keine Infos erhielt, noch nach über einem Jahr waren tausende InteressentInnen nicht kontaktiert worden und wandten sich enttäuscht von Aufstehen ab. Trotzdem entstanden Dank der Initiative der Basis bundesweit etwa 200 Basisgruppen. Lt. Sevim Dağdelen gab es im Dezember 2018 167.000 UnterstützerInnen und 188 Ortsgruppen. Das waren aber zum größten Teil nur per Internet registrierte, aber nicht aktive und in Basisgruppen organisierte Menschen. Über Monate zeigte sich der selbsternannte Trägerverein unfähig, auch nur die Kontaktadressen der Basisgruppen und Termine zu veröffentlichen und überregionale oder bundesweite Treffen zu initiieren. Schon nach kurzer Zeit zerstritt und spaltete sich der Trägerverein, was auch zu einem zeitweiligen Ausfall der Internetpräsenz führte.

Diese Fehler der Top-down-Methode hätten vielleicht noch behoben werden können, wenn man begonnen hätte, a) einen politischen Diskussions- und Klärungsprozess einzuleiten und b) eine demokratisch legitimierte bundesweite Strukturierung von Aufstehen einzuleiten. Beides erfolgte jedoch von „oben“ in keiner Weise. Das Gründungs-Dilemma von Aufstehen ist jedoch nicht nur dem Dilettantismus der InitiatorInnen um Wagenknecht u.a. zuzuschreiben – es ist das notwendige Ergebnis ihrer politischen Methode und Programmatik.

Reformismus

Der Gründungsaufruf von Aufstehen hat rein reformistischen Charakter und entspricht insgesamt der Politik der Linkspartei. Wikipedia bemerkt treffend: „Ziel soll nicht die Gründung einer eigenständigen Partei sein, sondern für die politische Linke in Deutschland parlamentarische Mehrheiten zu ermöglichen, insbesondere für die im Bundestag vertretenen Parteien Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Ein weiteres Ziel ist, Wähler der AfD zurückzugewinnen. Aufstehen soll so zu einer linken Sammlungsbewegung werden.“

Die allgemeine Zielsetzung – sozialere Politik, Frieden, mehr Umweltschutz, gegen Neoliberalismus, Rassismus usw. – konnten und können sicher viele Menschen unterstützen. Auch die Gründung einer Partei-übergreifenden Basisbewegung traf den Nerv Vieler, die mit den Parteien und dem Parlamentarismus unzufrieden waren. Doch der Aufruf offenbarte auch grundsätzliche Schwächen. Wesentliche Fragen werden nicht gestellt: Z.B.: Warum sind die Linke und die Arbeiterbewegung seit Jahrzehnten schwach und in der Defensive?, Was ist Reformismus?, Mit welchen Taktiken und mit welchen Bündnispartnern, sollen die eigenen Ziele erreicht werden?, Welches gesellschaftliche Ziel (Sozialismus?) wird angestrebt? usw. usf.

Irgendeine Art von Bilanz oder Analyse, warum die SPD immer weiter abrutscht, warum die Linkspartei stagniert, warum die Gewerkschaften dem Neoliberalismus so wenig entgegengesetzt haben, gab es nicht. Aufstehen war von Anfang an nur als Hilfstruppe für Rot/Rot/Grün. Nicht die grundsätzliche Veränderung, geschweige denn die Überwindung des Kapitalismus standen zur Debatte, sondern lediglich eine „andere Politik“, die dann für eine „Verbesserung“ des Systems sorgen solle. Dass Politik und Staat letztlich vom Kapital abhängig und bestimmt sind, wurde gleich ganz ausgeblendet. Die Eigentumsfrage als eine zentrale Frage wurde nicht gestellt. Es gab schon viele Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus, aber nicht immer solche kompletten Kurpfuscher wie die Wagenknecht-Crew, die nach einer falschen Diagnose auch noch eine ungeeignete Medizin verschreiben – ungeachtet dessen, dass so noch nie ein Patient geheilt wurde, aber daran oft der Arzt selbst verstorben ist.

Der reformistischen Programmatik entspricht auch die Praxis zu 100%. Eine Bewegung, die v.a. als (möglichst medial wirksame) Wahlkampftruppe in Erscheinung treten soll, braucht dazu weder verbindliche Strukturen noch so etwas wie eine konkrete Aktionsorientierung. So lancierten die „InitiatorInnen“ zwar in Abständen Aufrufe zu Aktionen, aber es gab weder konkrete Mobilisierungen noch organisatorische Schritte, geschweige denn eine Kooperation oder konkrete Abstimmung mit anderen Initiativen und Strukturen. Eine bundesweite Koordinierung der Aktivitäten der Basis durch den Trägerverein erfolgte nicht.

Wagenknecht auf Abwegen

Typisch für diese Methode war auch das Agieren von Wagenknecht als der „Ikone“ von Aufstehen. Den ersten Fauxpas leistete sie sich schon anlässlich der großen anti-rassistischen Mobilisierung von „Unteilbar“ am 13.10.18. Sie kritisierte den Aufruf – dafür, dass er „Offene Grenzen“ gefordert hätte, was gar nicht der Fall war – und stellte sich damit faktisch gegen diese positive Bewegung. Dieser politisch dumme Auftritt hat Aufstehen schon zu Beginn sehr geschadet. Die gesamte Linke hat Wagenknecht zurecht dafür kritisiert. Doch zugleich haben Viele daraus gefolgert, dass auch Aufstehen die absurde Position Wagenknechts teilen würde. Doch das war durchaus nicht der Fall, die meisten AufsteherInnen waren darüber eher verwundert oder gar empört. Zudem haben sich etliche Aufstehen-MitstreiterInnen auch an der Unteilbar-Demo beteiligt – ohne dass es jedoch eine massive, gut vorbereitete Intervention von Aufstehen darin gegeben hätte – wie auch bei einer solchen „Führung“?!

In Reaktion auf die „Gelbwesten“ in Frankreich versuchte Wagenknecht, auch in Deutschland eine „ähnliche“ Bewegung zu starten. Dazu posierte sie mit einer gelben Weste vor der Kamera. Doch dann folgte kein Aufruf, keine Organisation – gar nichts. Dabei stieß die Idee bei der Aufstehen-Basis auf breite Resonanz. Der Autor war selbst als Aufstehen-Mitglied bei mehreren Basistreffen dabei, wo diskutiert wurde, wie man in Deutschland eine solche Bewegung schaffen könne, die aber linker und antikapitalistischer orientiert sein müsse als die Bewegung in Frankreich. Das Ergebnis ist bekannt. Damals versagte allerdings auch die gesamte Linke dabei, den Impuls der Gelbwesten positiv aufzugreifen, etwa als „Rotwesten-Bewegung“. Das Ergebnis war, dass es keine Bewegung gab und wenn, dann waren es nur bürgerliche Kräfte (z.B. in Stuttgart gegen die Dieselfahrverbote), welche die Initiative auf ihre Art aufgriffen.

Als Hauptinitiatorin und Aushängeschild von Aufstehen hielt es Wagenknecht auch nicht für nötig, ihre Parteiämter ruhen zu lassen, um Aufstehen wirklich aufzubauen. Allein daran zeigt sich schon, wie „wichtig“ ihr Aufstehen war. Diese Haltung – die bisherige politische Arbeit weiter zu machen und Aufstehen „nebenher“ zu betreiben – prägte auch das Agieren vieler Aufstehen-Mitglieder, die oft aus der Linkspartei kamen oder dort noch aktiv sind. Diese Haltung ist auch Ausdruck ihres Reformismus: der Parlamentarismus, die Nutzung und Sicherung der (marginalen) Positionen im System ist ihnen letztlich wichtiger als der Aufbau kämpferischer Strukturen.

Diese Beispiele zeigen, dass es Wagenknecht und ihrer „Crew“ an Willen und Verständnis fehlt(e), eine aktive antikapitalistische Bewegung oder gar Partei aufzubauen. In Talkshows, im Parlament und in Gremien zu sitzen ist eben etwas anderes, als konkret Widerstand und Klassenkampf zu organisieren – dazu ist man offenbar unfähig und unwillig.

Die Haltung der „radikalen“ Linken

Angesichts der anfänglich großen Resonanz auf die Aufstehen-Gründung würde jeder normale Mensch vermuten, dass Linke versuchen würden, in diesen Prozess einzugreifen, um in das Projekt möglichst viel „Antikapitalismus“ einzubringen, Leute zu rekrutieren und einen politischen Kampf zu führen. Doch weit gefehlt!

In Reaktion auf die Wagenknecht-Initiative und den Gründungsaufruf waren es v.a. „radikale“ Linke in der Linkspartei, die von Beginn an – bevor (!) es die Bewegung real überhaupt gab -, dagegen Front machten. Sie behaupteten, Aufstehen wäre „rechts“, eine Art „Soft-AfD“ und würde dazu dienen, die Linkspartei zu spalten. Zudem wäre Aufstehen v.a. eine Bewegung von Kleinbürgern, was überhaupt nicht stimmt, denn das Gros der Aufstehen-Mitglieder kommt aus der lohnabhängigen Mittelschicht (die kein Kleinbürgertum ist). Was Linke innerhalb und außerhalb der Linkspartei sich bei diesen Einschätzungen gedacht haben, verstehe wer will. Auf jeden Fall hatten diese „Analysen“ mit der Realität nichts zu tun, dienten aber dazu, Aufstehen zu diskreditieren und als Vorwand, darin nicht zu intervenieren.

War diese sektiererische Methode für einen großen Teil der Linken in Deutschland leider immer schon normal, so nahmen diesmal sogar jene Linken, die sonst eher nicht solchem Sektierertum zuneigen, eine reine Beobachter- und Kommentatoren-Haltung ein. Das zeigte sich auch schon 2005, als die WASG entstanden war. Auch damals hielt es das Gros der „radikalen“ Linken nicht für notwendig, in den Formierungsprozess der WASG einzugreifen und einen Kampf gegen die darin dominierenden Reformisten zu führen. Fast nur einige trotzkistische Gruppen intervenierten in die WASG (SAV, Marx21, GAM). Dabei waren die Chancen, in Aufstehen den Gang der Dinge zu beeinflussen, weitaus besser und lohnender als in der WASG, weil es 1. mehr politisches Interesse weckte und es 2. keine so stringente Führung gab wie in der WASG. 3. schließlich waren die Krise der SPD und die Stagnation der Linkspartei 2018 noch markanter als 2005.

Doch selbst beim Kommentieren versagte die Linke. Ihre Einschätzungen und Prognosen haben sich allesamt nicht bewahrheitet. Während der inzwischen zwei-jährigen Existenz von Aufstehen gab es kaum noch linke Beiträge zu Aufstehen. Eine Zwischenbilanz oder eine selbstkritische Betrachtung der eigenen Behauptungen erfolgte nicht. Das ist ein deutliches Zeichen für die Unernsthaftigkeit, die Realitätsverleugnung und die mangelnde Analysefähigkeit der linken Szene.

Aufstehen und WASG

Das Nichteingreifen der „radikalen“ Linken in Aufstehen ist umso absurder, als Aufstehen und WASG politisch sehr ähnlich waren – mit dem Unterschied, dass 2018 die Resonanz auf Aufstehen weit größer war als 2005 das Interesse an der WASG, die nie mehr als etwa 5-10.000 MitstreiterInnen zählte.

Gemeinsam ist beiden Projekten, dass sie von ReformistInnen von oben initiiert und dominiert wurden – als Reaktion auf die Krise des Reformismus, v.a. den Niedergang der SPD mit ihrer Agenda-Politik. Auch die politische Ausrichtung war sehr ähnlich: klar reformistisch, bürgerlich-demokratisch-parlamentarisch, keine (Klassen)Kampforientierung, keine anti-kapitalistische Ausrichtung. Insgesamt war Aufstehen sogar eher linker als die WASG, v.a. hatte sie eine stärkere Praxisorientierung.

Ein Unterschied war, dass sich die WASG vor vornherein als Partei verstand und offen auf eine eigene Wahlbeteiligung orientierte, während Aufstehen v.a. eine Basis-Bewegung sein wollte. Die WASG stellte die Parteifrage offensiv, beantwortete sie aber falsch; Aufstehen hingegen wollte die Frage eher „umgehen“ (diskutiert wurde sie an der Basis trotzdem) und überließ sie den schon vorhandenen „linken“ Parteien: der SPD, der LINKEN und den Grünen. Die WASG orientierte stärker auf die Gewerkschaften, die aktiver und etwas linker agieren sollten. Aufstehen hingegen hat sich nie dezidiert mit den Gewerkschaften oder der Arbeiterklasse beschäftigt und sah sich eher als linke „Bürgerbewegung“.

Diese Unterschiede ändern aber nichts daran, dass beide Projekte einen klar reformistischen Charakter hatten und komplett ungeeignet waren, die Führungskrise der Arbeiterbewegung (wenigstens in Deutschland) zu lösen oder wenigstens einen Beitrag dazu zu leisten. Insofern aber, als sie beide Ausdruck der Krise des Reformismus sind und einen gewissen Ablöseprozess – weniger vom Reformismus an sich, als von konkreten Formationen und politischen Erscheinungsweisen – darstellten, konnten und mussten Linke darin intervenieren und einen Kampf führen: a) gegen den „neuen“ Reformismus und b) für eine neue klassenkämpferische und revolutionäre Arbeiterpartei. In einen solchen Prozess nicht eingegriffen zu haben, bedeutet, dass die gesamte „radikale“ Linke komplett versagt hat!

Arbeiterpartei

Das Dilemma der Arbeiterbewegung in Deutschland und weltweit kulminiert darin (auch wenn es sich nicht darauf beschränkt), dass sie seit fast 100 Jahren über keine revolutionäre Führung verfügen. Es dominier(t)en v.a. stalinistische und reformistische Parteien und Gewerkschaftsapparate die Klasse. Die „radikale“ Linke hingegen verharrt mit ihren jeweiligen „Ismen“ in ihren sektiererischen Glashäusern und erweist sich als unfähig zur Analyse und zum praktischen Eingreifen. Die historische Aufgabe besteht also u.a. darin, eine solche revolutionäre Führung zu schaffen. Das ist aber komplett unmöglich, ohne dass dem Reformismus der Kampf angesagt wird und ihm soziale und politische Areale entrissen werden.

Weder die WASG noch Aufstehen sahen diese Aufgabe: die Führungen wollten sie nicht sehen, die Basis „konnte“ sie nicht sehen, weil sie – trotz aller Unzufriedenheit mit dem Reformismus – wesentliche Elemente von dessen politischer Logik verinnerlicht hat.

Ganz unabhängig von Projekten wie WASG und Aufstehen müssen MarxistInnen die Zentralität des Problems der Führungskrise aufzeigen und alle Ansätze und Potentiale dafür nutzen – und WASG und Aufstehen waren solche Potentiale.

Unsere eigenen konkreten Erfahrungen in Aufstehen haben gezeigt, dass es in der Mitgliedschaft einen relevanten Teil, wenn auch sicher nur eine Minderheit, gab, die man hätte dafür gewinnen können. Zudem war es in Aufstehen viel leichter für Linke, politisch Einfluss zu gewinnen, weil Aufstehen nie eine so clevere und stringente Führungsriege hatte wie die WASG, die „den Laden im Griff hatte“.

Gescheiterte Alternative

Angesichts des „Führungschaos“ und der komplett fehlenden demokratischen Strukturen, v.a. auf Bundesebene, gab es ab Mitte 2019 Ansätze, in Aufstehen eine demokratische Strukturierung von unten nach oben zu erreichen. Im Land Brandenburg etwa entstand so ein „Rat der Gruppen“, der aus gewählten VertreterInnen der Basisgruppen bestand. Dieser „Rat“ war keine politische oder organisatorische Führung, sondern v.a. ein Koordinierungsgremium, das aber den Basisgruppen auch politische Vorschläge gemacht hat. Solche Strukturen, die auch durchaus funktionierten, gab es auch in einigen anderen Bundesländern. Aus ihnen heraus entstand die Initiative, eine demokratische „Vernetzung“ auch auf Bundesebene zu erreichen. Ein Mangel dieser Initiative war aber, dass sie v.a auf die organisatorische Frage abzielte, jedoch wenig zur Frage der politischen Ausrichtung und der Programmatik beisteuerte. Dann kam auch noch Corona dazwischen. Dadurch konnten keine Diskussions- und Koordinierungstreffen stattfinden bzw. nur virtuell.

Doch das war nicht das Hauptproblem. Dieses bestand vielmehr darin, dass es letztlich Kräften, die eine demokratische, aber auch verbindliche Strukturierung ablehnten – zugunsten einer eher informellen Struktur mit oder unter der Führung der – nach wie vor – unlegitimierten Initiatorengruppe (Trägerverein). Inzwischen muss dieser richtige und berechtigte Versuch, Aufstehen zu reformieren und ihm eine zweite Chance zu geben, als gescheitert angesehen werden.

Doch auch Aufstehen insgesamt ist gescheitert. Zwar gibt es noch Basisgruppen, doch die Mehrzahl der Gruppen erodiert oder ist de facto nicht mehr existent. Es gibt keine Fortschritte – weder hinsichtlich der Klärung der Programmatik oder einer bundesweit koordinierten Praxis noch bezüglich der Schaffung von demokratischen Strukturen auf Bundesebene.

Die in Aufstehen weitverbreitete Idee einer „Graswurzelbewegung“ hat zu nichts geführt. Über Aufstehen ist Gras gewachsen. Das ist kein Zufall. „Graswurzelbewegung“ heißt nämlich keineswegs nur, Buntheit, Vielfalt und freier Diskurs, sondern auch, dass die Programmatik, die Methode, die Ziele ungeklärt bleiben. Die Aufgabe, eine koordinierte und effektiv handelnde Kraft auf Bundesebene aufzubauen, bleibt ungelöst, weil verbindliche Strukturen per se als „repressiv“ usw. angesehen werden. Statt politischer Klarheit dominiert Verschwommenheit; statt des Versuchs, Antworten auf Fragen zu erhalten, wird die Klärung von Fragen einer abstrakten Pluralität geopfert. Wirkliche Pluralität heißt aber auch, Positionen ernst zu nehmen und zu diskutieren – um sie zu klären. Der Bewegungsfetischismus überlässt letztlich die Arena der realen Politik den etablierten Parteien und dem bürgerlichen Staat – und unlegitimierten informellen Führungen. Sicher war die Intention vieler AufsteherInnen, praktisch aktiv zu werden und nicht nur Parlamentarismus zu betreiben, positiv, doch sie blieb auf halbem Wege stehen – inhaltlich wie strukturell.

Die unheilvolle Kombination aus dem Reformismus der InitiatorInnen und ihres Trägervereins und großer Teile der Basis einerseits und dem Sektierertum und der Unfähigkeit der „radikalen“ Linken andererseits hat wieder einmal dazu geführt, dass eine Chance vergeben wurde, das anti-kapitalistische Potential zu vergrößern. Es wird neue Chancen geben – doch dafür brauchen wir eine andere Linke, die ihren Aufgaben gewachsen ist und solche Chancen nutzen will und nutzen kann.

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