Ist der Kapitalismus reformierbar? (Teil 1/2)

Hanns Graaf

Diese Frage ist – wie die meisten Fragen – nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten. Der Marxismus leitet seine Positionen gemäß der materialistischen Methode aus dem Verlauf der Geschichte ab, aus deren Dynamik, deren Triebkräften und Widersprüchen. Letztlich ermöglicht nur die reale Geschichte – nicht Theorien oder die Betrachtung kurzfristiger Tendenzen – eine Antwort darauf, ob der Kapitalismus reformierbar ist. Ein erstes Problem ist schon der Umstand, dass der Kapitalismus (wie jede Gesellschaftsformation) verschiedene Phasen aufweist, die – bei allen Gemeinsamkeiten – von unterschiedlichen Tendenzen und Faktoren geprägt sind. So unterscheidet sich der Kapitalismus zur Zeit von Marx deutlich von dem des 21. Jahrhunderts, obwohl sich dessen Grundlagen – Privateigentum, Ausbeutung von Lohnarbeit, Konkurrenz usw. – sich nicht wesentlich geändert haben.

Was heißt „reformierbar“?

Die Produktionsweise des Kapitalismus existiert in Ansätzen schon mehrere Jahrhunderte. Der industrielle Kapitalismus hat sich als Weltsystem ab Mitte des 19. Jahrhunderts herausgebildet. Der vollentwickelte Kapitalismus mit einem dominierenden Finanzkapital, Großkonzernen usw. existiert seit den 1890ern und wird oft als Imperialismus bezeichnet. Nach unserer Analyse trat der Imperialismus in den 1990ern in eine neue Periode, den Spätimperialismus, ein.

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Strategische Fragen

Hannah Behrendt

In diesem Beitrag setzen wir uns mit dem strategischen Denken Putins auseinander. Dabei nehmen wir Bezug auf einen Artikel des US-Militäranalysten und Friedensaktivisten Paul Craig Roberts.

Putin ist sicher aktuell eine der Personen, die am stärksten polarisiert. Die Einen sehen ihn als Inkarnation des Bösen schlechthin, Andere halten ihn für einen Antiimperialisten, der sich der Aggression der NATO entgegenstellt.

Roberts betont zu Beginn seines Artikels: „Ich war immer ein Verteidiger Putins, weil ich der Meinung war, dass die Aggression von Washington in Richtung Russland geht und nicht umgekehrt, und dass Washington und nicht Putin für den Konflikt in der Ukraine verantwortlich ist. Dennoch hatte ich anfangs Zweifel an Putins strategischer Vision. Er sprach, als ob er eine Vision hätte, aber er handelte, als ob er keine hätte.“

Roberts bringt eine Reihe von Beispielen, die zeigen sollen, dass es Putin an strategischem Denken mangelt und Russland deshalb dem Westen nicht effektiv entgegentreten könne.

Roberts führt dazu an: „Als die von den Amerikanern ausgebildete georgische Armee in Südossetien einmarschierte und die Bevölkerung und die russischen Friedenstruppen tötete, befand sich Putin bei den Olympischen Spielen in Peking, offenbar völlig ahnungslos und völlig unvorbereitet. Wie konnte Putin nicht wissen, dass die USA und, wie manche behaupten, auch Israel eine georgische Armee ausbildeten?“

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Der kanadische Abfallverbrenner

Dr. Ing. Klaus-Dieter Humpich

Vorwort: Wir übernehmen dankend diesen Beitrag von Dr. Ing. Klaus-Dieter Humpich, einem Spezialisten für Kerntechnik, weil darin sehr gut gezeigt wird, welche technischen Entwicklungen im Bereich der Kerntechnik stattgefunden haben. Der Beitrag entlarvt auch die These vom „ungelösten Problem der Endlagerung“ als unwissenschaftlich. Wir verweisen gern auch auf weitere Artikel zum Thema Kerntechnik auf Dr. Humpichs Seite www.nukeklaus.net. Die Redaktion.

Kanada ist auf dem Weg, nicht nur sein Energieproblem dauerhaft zu lösen, sondern gleichzeitig auch sein „Atommüllproblem“. Kanada hat durchaus große Öl- und Gasvorkommen, ist aber so groß und landschaftlich unwirklich, dass es sich wirtschaftlich eher lohnt, die Förderung zu exportieren und gleichzeitig Öl und Gas für die Ostküste zu importieren. Es war deshalb folgerichtig, seit den 1950er Jahren die Kernenergie zur Stromerzeugung konsequent auszubauen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Für Sonnenenergie liegt Kanada zu weit nördlich (Dunkelheit im Winter) und auch die Windenergie ist nur in einem sehr engen Gebiet nutzbar. Andererseits verfügt Kanada über große und kostengünstige Uranvorkommen.

Da Kanada nie an Kernwaffen interessiert war, konzentrierte man sich auf Schwerwasserreaktoren, die mit Natururan zu betreiben sind. Durch den vollkommenen Verzicht auf eine (aufwendige) Anreicherung, war man politisch glaubwürdig. Man ließ auch die Finger vom anderen Ende (anders als z. B. Indien) und verzichtete auf die Produktion von waffengrädigem Plutonium und vor allem auf die dazu notwendigen chemischen Verfahren zur Gewinnung. Als Konsequenz sammelte sich im Laufe der Jahrzehnte eine beträchtliche Menge abgebrannter Brennelemente an. Diese nach deutschem Gusto „endzulagern“ wäre nicht nur eine gigantische Verschwendung von Rohstoffen, sondern auch eine unnötige Konservierung der Gefahren durch radioaktive Strahlung.

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Ein Aktionsprogramm für Palästina

Redaktion Aufruhrgebiet

Für eine sozialistische Perspektive in Nahost!

Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat etwa 1.100 Opfer gefordert, ca. 200 Menschen wurden als Geiseln verschleppt. Der Überfall der Hamas traf neben militärischen auch zivile Ziele. Er ist daher reaktionär und Menschen verachtend, er dient nicht dem gerechten Kampf der Palästinenser, sondern schadet ihm. Doch die Attacke der Hamas war nur der Anlass, nicht aber die Ursache für den massiven Militärschlag Israels auf Gaza, der bisher schon über 40.000 Tote und ca. 100.000 Verletzte gefordert und Gaza zu großen Teilen zerstört hat. Worum es Israel geht und immer schon ging, sprach der israelische Likud-Politiker Moshe Feiglin in einem Interview mit Al Jazeera am 26.10.23 offen aus: „Es gibt nur eine Lösung: Gaza vollständig zerstören, bevor man dort einmarschiert. Und wenn ich von Zerstörung spreche, meine ich Zerstörung wie in Dres-den und Hiroshima, ohne Atomwaffe.“

Von 12 Mill. Palästinensern lebt heute nur knapp die Hälfte in ihrer historischen Heimat: in Israel, im Westjordanland und in Gaza. 6-7 Mill. sind Flüchtlinge, die im Exil oder in Lagern leben. Doch trotz Vertreibung, Unterdrückung und Not kämpfen sie weiter gegen den Terrorstaat Israel, seine Armee (IDF) und seine Geheimdienste, die vom westlichen Imperialismus, v.a. von den USA, unterstützt werden. Die zionistischen Siedler in der Westbank vertreiben und terrorisieren die dort lebenden Palästinenser.

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Vom Tiger zum Bettvorleger

Hannah Behrendt

Als das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) vor einem Jahr gegründet wurde, war das für Viele mit großen Hoffnungen verbunden. Es gab mit Sahra Wagenknecht nicht nur eine kräftige Stimme gegen die Kriegspolitik der Ampel, es gab endlich auch eine Partei, die für eine grundsätzlich andere Politik eintreten wollte.

Was ist diese versprochene „andere Politik“? Eine konsequente Friedenspolitik, eine vernünftigere Energie- und Wirtschaftspolitik sowie anti-neoliberale Positionen. Als Partei, die großenteils aus der LINKEN kommt, gehören dazu aber auch andere Positionen zu Migration, Corona, Gendern usw., als sie von der LINKEN und den „grünen“ Woken vertreten werden.

Alternative?

In den Beiträgen von Aufruhrgebiet wurde immer betont, dass das BSW zwar punktuell bessere Positionen vertritt als die LINKE u.a. Parteien, das es zugleich aber auch strategisch gesehen die reformistische Politik der Linkspartei oder der SPD weiterführt.

Woran zeigt sich der Reformismus des BSW? 1. daran, dass es keinen Bezug zur Arbeiterklasse bzw. zur Arbeiterbewegung gibt. Von Klassenkampf ist überhaupt nie die Rede. Damit verbunden ist das Manko, dass nie etwas dazu gesagt wird, WIE man seine Ziele erreichen will: Mit welchen Taktiken? Mit welchen Bündnispartnern? Das Programm des BSW ist ein reiner Wunschkatalog, kein Anleitung zum Handeln, sprich: für den Klassenkampf. 2. ist die einzige Orientierung (und auch die einzige Form von Praxis) darauf gerichtet, sich an Wahlen zu beteiligen (was an sich nicht falsch ist) und in eine bürgerliche Regierung einzutreten (was allerdings falsch ist). 3. wird die zentrale Frage – die Eigentumsfrage – ausgeblendet und die Systemfrage nicht gestellt. Es gibt nicht den geringsten Anschein von Antikapitalismus in der BSW-Politik.

Die Politik des BSW zielt ausnahmslos auf einen etwas verbesserten Kapitalismus, den man nur dadurch zu erreichen hofft, indem man System-immanente Mechanismen, den Parlamentarismus, nutzt.

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Der Oslo-Prozess

Hanns Graaf

Die aktuelle Zuspitzung des Nahostkonfliktes wirf auch ein grelles Licht auf die Ergebnisse früherer „Friedenslösungen“: Sie sind komplett gescheitert. Die umfangreichste „Friedensbemühung“ waren die Verhandlungen des Oslo-Prozesses.

Als 1993 die Verhandlungen zwischen Israel und der PLO unter der Regie der USA begannen, knüpften viele Menschen daran die Hoffnung, dass der furchtbare Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nach vielen Jahrzehnten endlich zu Ende gehen würde. Diese Erwartungen waren von Politik und Medien massiv geschürt worden. Doch der einzige Effekt von Oslo bestand darin, für eine gewisse Zeit die Illusionen in die Vermittlerrolle des Imperialismus zu stärken und den Glauben an dessen Friedensabsichten zu schüren.

Worum es Israel geht und immer schon ging, sprach der israelische Likud-Politiker Moshe Feiglin in einem Interview mit Al Jazeera am 26.10.23 offen aus: „Es gibt nur eine Lösung: Gaza vollständig zerstören, bevor man dort einmarschiert. Und wenn ich von Zerstörung spreche, meine ich Zerstörung wie in Dresden und Hiroshima, ohne Atomwaffe.“

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Friedenspolitik! Aber wie?

Vorwort: Der nachfolgende Offene Brief von Hanns Graaf ist eine Replik auf Patrik Baabs „Offenen Brief an Dr. Sarah Wagenknecht und Katja Wolf“. Wir hoffen, damit eine Diskussion in der linken Szene um die Fragen des Friedens und die Politik des BSW anzuregen. Die Redaktion

Lieber Patrik Baab,

ich kenne Ihre Position zum Ukrainekrieg von mehreren Veranstaltungen und möchte hier noch einmal meine Zustimmung zu Ihren Positionen und meine Anerkennung für Ihr Engagement ausdrücken.

Sie haben völlig recht, wenn Sie schreiben: „Nach den Wahlen am 23. Februar 2025 wird sich für die Menschen in Deutschland das atomare Vernichtungsrisiko dramatisch erhöhen.“ Inzwischen haben die Union, die FDP und die Grünen klar gemacht, dass sie für den Einsatz der Taurus-Marschflugkörper sind. Damit erhöhen sie das Risiko der Ausweitung dieses Krieges bis hin zum nuklearen Inferno und machen Deutschland endgültig zur direkten Kriegspartei.

Bisher sind nur das BSW und die AfD (die aber die NATO-Mitgliedschaft und die Aufrüstung unterstützt) offen gegen den Kriegskurs der Regierung aufgetreten. Das ist ein Verdienst von Frau Wagenknecht. Es ist daher nachvollziehbar, dass Sie, sehr geehrter Herr Baab, sich wie auch viele andere um das weitere Agieren des BSW Gedanken machen. In Ihrem Offenen Brief an die BSW-Vertreter Wagenknecht und Wolf schreiben Sie: „Deshalb schlage ich mit Blick auf eine Regierungsbildung in Thüringen vor, dass Sie, Frau Wolf, der Landesverband des Bündnisses Sahra Wagenknecht mit Ihrer Unterstützung, Frau Dr. Wagenknecht, dringend nachverhandeln. Möglichen Koalitionspartnern muss ein klares und unzweideutiges NEIN zu Taurus-Lieferungen an die Ukraine abverlangt werden.

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Ist die Arbeiterklasse revolutionär? (Teil 2 von 2)

Hanns Graaf

Viele Linke halten die Arbeiterklasse für verbürgerlicht und daher Konzepte, die auf eine proletarische Revolution orientieren, für überholt. Die „Verbürgerlichung“ des Proletariats v.a. in den imperialistischen Ländern (soweit man deren Existenz als Klasse überhaupt noch zugesteht) wird aus zwei Merkmalen gefolgert: 1. aus der gegenüber früher weit besseren sozialen Lage und 2. aus dem fehlenden Selbstverständnis des Proletariats als einer revolutionären Klasse. Diese beiden Kriterien verweisen schon darauf, dass man sich von der Marxschen Bestimmung der Klasse weit entfernt hat. Marx betont nämlich die objektive Stellung der Klasse innerhalb einer historisch bestimmten Produktionsweise und nicht subjektive Merkmale wie aktuelles Bewusstsein oder Lohnhöhe. Für Marx ist entscheidend, dass das Proletariat keine Produktionsmittel besitzt, (fast) keine Verfügung darüber hat und daher eine sozial untergeordnete Stellung einnimmt, dass es ausgebeutet und unterdrückt wird. Dies allgemeinen Merkmale treffen natürlich immer noch zu.

Trotzdem müssen wir uns die Frage stellen, ob und wie der Prozess der Revolutionierung der Arbeiterklasse durch die v.a. ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgten Veränderungen der Lebenslage der Lohnabhängigen beeinflusst wird. In einigen imperialistischen Ländern stellt die Arbeiteraristokratie – die Schicht der besser bezahlten und ausgebildeten Stammbelegschaften in der Industrie (und im Staatsapparat) – einen großen Teil oder sogar das Gros der Arbeiterinnen und Arbeiter. Sie stellen auch den Kern der Gewerkschaften und diverser „Mitbestimmungsgremien“ sowie oft einen großen Teil der Wählerschaft der reformistischen Parteien. Ihre Lebenslage ähnelt stark jener des Kleinbürgertums, oft ist sie sogar materiell besser. Diese Schicht hat oft wenig Interesse daran, den Kapitalismus zu überwinden. Sie ist aber andererseits oft stärker gewerkschaftlich organisiert und daher objektiv kampfkräftiger als die sozial schlechter gestellten, aber marginalisierten unteren Schichten des Proletariats. Große Streiks werden meist von den aristokratischen Schichten getragen. Sie interessiert meist nicht, dass sie „eine Welt zu gewinnen haben“, wie das „Kommunistische Manifest“ verkündet, aber sie haben sozial durchaus etwas an Lebensstandard zu verlieren. Wir sehen daran – wie schon immer in der Geschichte des Kapitalismus -, dass nicht unbedingt die Schichten, denen es am schlechtesten geht, am kämpferischsten auftreten, sondern oft die „gehobenen“ Schichten.

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Ist die Arbeiterklasse revolutionär? (Teil 1 von 2)

Hanns Graaf

In unserer dreiteiligen Artikelreihe „Zur Klassenstruktur des Spätimperialismus“ haben wir dargestellt, dass es die Arbeiterklasse auch heute noch gibt und welche Veränderungen sich in ihrer Struktur vollzogen haben. In diesem Beitrag wollen wir uns nun den Fragen widmen, ob die Arbeiterklasse heute (noch) revolutionär ist.

Nach Marx definiert sich eine Klasse dadurch, welche Stellung sie innerhalb einer bestimmten historischen Produktionsweise einnimmt und v.a. durch ihr Verhältnis zu den Hauptproduktionsmitteln. Proletarier, also eigentumslose Lohnabhängige, gab es zwar schon vor Jahrtausenden, doch erst mit der industriellen Produktion des Kapitalismus wurde sie zu einer massenhaften Klasse. Für Marx war das Proletariat die „einzig konsequent revolutionäre“ Klasse. Die Position, dass alle Klassen außerhalb des Proletariats nur „eine konterrevolutionäre Masse“ seien, wie es im „Gothaer Programm“ der Sozialdemokratie von 1875 stand, kritisierte er scharf. Er verwies in seinen Schriften mehrfach darauf, dass z.B. die Bourgeoisie in ihrer Aufstiegsphase revolutionär war. Auch die Bauern oder das Kleinbürgertum können in bestimmten Momenten revolutionär agieren.

Doch Marx war klar, dass die nichtproletarischen Klassen und Schichten durch ihre diversen Verbindungen zum Privateigentum oder durch das Bestreben, ihr Privateigentum zu verteidigen oder zu vergrößern, nie aus eigenem Antrieb konsequent (!) revolutionär und pro-sozialistisch handeln können, sondern nur unter Führung und durch den Einfluss der Arbeiterklasse. In diesem Sinn kommt ihr die Aufgabe zu, die Gesellschaft auch im Interesse der anderen nicht-unterdrückerischen Klassen und Schichten umzuwälzen.

Warum verstand Marx die Arbeiterklasse als „einzig konsequent revolutionäre“ Klasse? Diese Qualität ergibt sich wesentlich daraus, dass das Proletariat nicht von der Ausbeutung und Unterdrückung anderer Menschen lebt, weil es keine Produktionsmittel besitzt, die das überhaupt ermöglichen würden. Es besitzt keinen Reichtum, den es verteidigen könnte, und hat auch nicht die Möglichkeit, sich mittels ihrer Lohnarbeit Reichtum anzueignen. Es gibt also weder ein objektives Interesse noch eine objektive Möglichkeit, dass Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Lage als Ausgebeutete und Unterdrückte wesentlich verbessern könnten – außer durch die Überwindung des Kapitalismus, des Lohnarbeitssystems und des Privateigentums an Produktionsmitteln.

Dazu kommen noch zwei weitere wesentliche Eigenschaften der Arbeiterklasse. Erstens ist sie eng mit der modernen industriellen Produktion, mit Wissenschaft und Technik – also im weiteren Sinn mit der Entwicklung der modernen Produktivkräfte – verbunden. Wie weitsichtig diese Charakterisierung der Arbeiterklasse durch Marx war, zeigen die Veränderungen ihrer Stellung im Kapitalismus. Zu Marx´ Zeiten gehörten Menschen, die als Wissenschaftler arbeiteten, die studiert hatten oder Ingenieure waren, nicht zur Arbeiterklasse, was Marx mehrfach betonte. Die Mehrheit der Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert war ungelernt oder angelernt und verfügte über wenig Bildung. Im Zuge der Entwicklung des Kapitalismus hat sich das gewaltig verändert. Der Bildungsstand der Arbeiterklasse hat sich deutlich erhöht, Techniker und Ingenieure bilden zwar oft noch eine besondere Gruppe innerhalb des Proletariats (ein Teil von ihnen zählt auch nicht zum Proletariat), doch insgesamt hat sich ein Prozess der Proletarisierung der „gehobenen werktätigen Schichten“ vollzogen. Ein großer und weiter wachsender Teil der Lohnabhängigen hat eine höhere oder akademische Bildung – sie sind aber ansonsten „normale“ Beschäftigte ohne besondere soziale Privilegien. Hier zeigt sich, dass Marx´ Einschätzung der Arbeiterklasse nicht eine Momentaufnahme war, sondern mit der historischen Entwicklungstendenz des Kapitalismus und der Arbeiterklasse übereinstimmt.

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