Hanns Graaf
Letzte Woche sorgte die Ankündigung von Sahra Wagenknecht, sich aus den Führungsgremien von Linkspartei und Aufstehen zu verabschieden, für Schlagzeilen und reichlich Häme von den politischen Gegnern. Nun reagierte die „Führungscrew“ von Aufstehen auf die Situation und veröffentlichte am 14.3. eine Erklärung zur Situation und den Perspektiven von Aufstehen. UnterzeichnerInnen des Textes „Zur Situation von Aufstehen“ sind u.a. Peter Brandt, Michael Brie, Ingo Schulze, Marco Bülow, Sabrina Hofmann, Hendrik Auhagen und Antje Vollmer. Ihre Erklärung sagt sehr viel darüber aus, was die Ursachen der Probleme von Aufstehen sind und wohin die Reise gehen soll.
Schon der erste Satz der Erklärung verweist auf das ganze politische Dilemma der InitiatorInnen von Aufstehen: „Das Ziel der Sammlungsbewegung Aufstehen war und ist, dazu beizutragen, die unselige Spaltung der linken Bewegungen und Parteien zu überwinden, um endlich sozialen, friedenspolitischen und ökologischen Zielen eine machtpolitische Realisierungschance zu verschaffen.“
Zunächst einmal ist es ein reine Schnapsidee, mittels einer „jungfräulichen“, politisch unklaren und sehr heterogenen Bewegung die Linke einen zu wollen – so löblich das Ziel an sich sein mag. Dazu wäre es mindestens nötig gewesen zu analysieren, was „die Linke“ überhaupt ist. SPD und Linkspartei sind reformistische Formationen, genauer: bürgerliche Arbeiterparteien, die sich historisch und sozial stark auf die Arbeiterbewegung (v.a. den Gewerkschaftsapparat) stützen, deren Politik sich aber komplett im Rahmen des kapitalistischen Systems bewegt. Die Grünen hingegen sind eine rein bürgerliche Partei, die sich v.a. auf die städtische Mittelschicht stützt und keine strukturellen Verbindungen zur Arbeiterklasse hat.
Das Wesen des Reformismus besteht u.a. darin, Klassenkämpfe zu begrenzen und das System bedrohende Zuspitzungen zu verhindern. Ein Mittel dazu ist Stellvertreter-Politik (Demokratie, Sozial“partnerschaft“), welche die klassenkämpferische und revolutionäre Selbstorganisation des Proletariats blockiert. Diese permanente Demobilisierung untergräbt Bewusstsein und Organisation der Klasse. Ihr Ergebnis ist nicht zu übersehen: der Kapitalismus erfreut sich relativ guter Gesundheit, während die Arbeiterbewegung an Zahmheit kaum zu überbieten ist und nur in der Defensive verbleibt. Die tiefe Krise der SPD ist ein deutlicher Ausdruck davon.
Schon in den 1930ern sprach Leo Trotzki von der historischen Führungskrise des Proletariats, d.h. des Fehlens einer revolutionären Klassenführung auch im internationalen Maßstab.
Die Aufstehen-InitiatorInnen und der Gründungsaufruf sagen zu dieser Krise und ihren Ursachen gar nichts. Selten hat ein politisches Projekt so sehr nur von der Hoffnung gelebt, anstatt auf Wissen und Analyse zu gründen. Die Frage, was die Gründe für die Spaltung(en) der Arbeiterbewegung und der Linken sind und wie sie überwunden werden können, wurde von den InitiatorInnen nie aufgeworfen. Mehr noch: es war nie beabsichtigt, irgendeine Alternative zum Reformismus aufzubauen. Das wird schon daran deutlich, dass die Gründungserklärung reine Linkspartei-Politik darstellt und außer allgemeinen Phrasen und einem politischen Wunschkatalog, dem jede konkrete Forderung und jede Auskunft darüber, wie diese Ziele umgesetzt werden sollen, fehlt, nichts zu bieten hat. Es ist alter Wein in neuen Schläuchen – nur, dass der Wein schon lange nur noch Essig ist.
Immerhin sind InitiatorInnen ehrlich und selbstkritisch, wenn sie konstatieren: „Wer Spaltungen überwinden und viele unterschiedliche Kräfte sammeln will, muss aber auch sammeln können. Diesem Anspruch ist Aufstehen nicht gerecht geworden. Die Ursachen dafür liegen vor allem im Versagen der Führung der Sammlungsbewegung. Die Gründer und Initiatoren – wir inbegriffen – zeigten sich sträflich unvorbereitet auf die organisatorischen, politischen, finanziellen und personalpolitischen Probleme, die eine so sprunghaft anwachsende Bewegung gerade am Anfang zu bewältigen hat.“
Doch der Reformismus äußert sich nicht nur in der Programmatik, den Zielen und Methoden der Gründungserklärung, er prägt auch das organisatorisch-administrative Vorgehen der Führungscrew von Beginn an.
Schon die „Gründung von oben“ ist ein Problem, das aus dem jahrzehntelangen Reformismus resultiert. Das durch den Reformismus dem Klassenkampf, jedem alternativen Denken und der Selbstorganisation weitgehend entwöhnte Proletariat erzeugt eben kaum noch Bewegung, und wenn, dann wird sie schnell abgedreht. So bleibt dann nur die Initiative von oben. Immerhin haben Wagenknecht und Lafontaine einen guten Riecher dafür gehabt, aus dem Unmut der Menschen über das „System“ bzw. dessen Auswirkungen eine Bewegung zu machen. Die große Resonanz gibt ihnen recht.
Doch wie wir bereits im Januar 2018 dargelegt haben https://aufruhrgebiet.de/2018/01/bewegung-ins-nichts-zur-idee-einer-neuen-linken-bewegung/ ist es ein unfruchtbarer Versuch, ein Sackgasse, die Gebrechen des alten Reformismus mit einem halb-neuen Reformismus heilen zu wollen. „Die Definition von Wahnsinn ist“, meinte einmal Einstein, „immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“
Zurück zur Gründung von Aufstehen. Es war völlig falsch, „parallel“ oder „über“ die Strukturen von Aufstehen bzw. deren Führung in Gestalt der InitiatorInnen einen Verein zu installieren, von dem niemand in der Mitgliedschaft wusste, wer diesen stellt, wie er arbeitet usw. Die besondere „Cleverness“ der „Polit-Profis“ an der Spitze sieht man schon daran, dass sie offenbar die Adressenlisten dem Verein übergaben. So erklärt sich auch, warum das Erfassen, Informieren und Organisieren der InteressentInnen und Mitglieder so schlecht und zögerlich lief und immer noch läuft. Doch es greift viel zu kurz, wenn es heißt „Die Gründer und Initiatoren – wir inbegriffen – zeigten sich sträflich unvorbereitet“. Ihr Vorgehen zeugt – ob bewusst oder unbewusst – von Beginn an von der bekannten Methode reformistischer Bürokraten, alles demokratisch aussehen zu lassen, hinter den Kulissen jedoch Strukturen und Personal zu installieren, die jeder Kontrolle und jedem direkten Einfluss der Mitgliedschaft entzogen sind. Für das Mitmischen im bürgerlichen Politsystem ist so ein Verein durchaus praktisch und notwendig – um eine kämpferische Bewegung aufzubauen, aber nicht.
Immer wider hört man von „oben“, dass man über die große Resonanz für Aufstehen „überrascht“ war. Es ist geradezu bizarr: man will eine Massenbewegung aufbauen und wenn die Massen kommen, ist man verwundert. Doch diese Unfähigkeit im Umgang mit den „Massen“ ist nicht neu. Alle ReformistInnen – nicht nur die InitiatorInnen von Aufstehen – haben in den letzten Jahren (bzw. historisch) dabei versagt, aus Bewegungen und aus dem Klassenkampf aktive Strukturen aufzubauen, die nicht bürokratisch von oben, sondern direkt von unten kontrolliert werden (was eine Zentralisierung nicht ausschließt): denken wir an die Bewegung gegen Hartz IV und die Agenda-Politik, denken wir an die Bewegung gegen TTIP, denken wir an die Proteste gegen die AfD u.a. rechte Gruppierungen, denken wir an Unteilbar – wo haben die Reformisten ernsthaft versucht, Strukturen aufzubauen und die Bewegung voran zu bringen?
Es zeigt sich ganz deutlich: sobald die linken „Politprofis“ den gewohnten Rahmen des Parteiapparats, des parlamentarischen Lebens und der Medien verlassen, erweisen sie sich als unerfahren, ungeschickt, hilflos und bürokratisch.
Das Bild, das Aufstehen seit Monaten abgibt – soweit es die offizielle Ebene anbelangt -, ist das einer Tragikkomödie. Dafür wollen wir zwei Beispiele geben. Die offizielle homepage führt zwar die inzwischen über 200 regionalen Gruppen auf, doch es gibt fast nie einen Verweis auf das nächste Treffen, die nächste Aktion oder eine Kontaktmöglichkeit, obwohl sich die Gruppen treffen und aktiv sind. Wollte man von „oben“ die Arbeit der Basis boykottieren, müsste man nur genauso verfahren wie die Aufstehen-Führung.
Als ein Grund der Probleme wird auf den Trägerverein verwiesen: „Beschlüsse des politischen Arbeitsausschusses und des von ihm im Januar 2019 gewählten Vorstands wurden vom Trägerverein Aufstehen, der formal alle Rechte besitzt (sic!), nicht umgesetzt.“
Doch wie kann man so dumm sein, neben der (wenn auch noch nicht gewählten) Führung eine Parallelstruktur zu schaffen, die alleinigen Zugriff auf wichtige Entscheidungen und Ressourcen hat?! Selbst eine ordentliche Information der Mitgliedschaft hielt man nicht für nötig, geschweige denn, diese anzusprechen und einzubinden, um die Probleme zu lösen. Man konnte über Monate mails schicken und bekam, wenn überhaupt, eine Computer-generierte Antwort – eine Art Alexa, nur dass die funktioniert.
Was wurde angesichts der gravierenden Probleme getan? „Wir haben uns nachdrücklich für einen Bundeskongress im Sommer eingesetzt und einen provisorischen politischen Vorstand gebildet“. Der Trägerverein spielte da offenkundig nicht mit. Anstatt nun aber selbst aktiv zu werden und schleunigst demokratische Strukturen aufzubauen, wurde alles verschleppt und die Basis sich selbst überlassen – was dann auch noch als „demokratische Selbstbestimmung“ verkauft wurde.
Beispiel 2: Ende Februar fand dann (wie man hört, denn Genaues weiß man nicht) in Dortmund das erste bundesweite Delegierten-Treffen von Aufstehen statt. Man hätte erwarten können, dass es gut beworben und organisiert wird, dass es inhaltlich vorbereitet und nachbereitet wird. Doch nichts davon! Selbst ein simples Info über den Veranstaltungsort, die Anfahrt, die Unterbringung, Materialien, Tagesordnung usw. waren fast unmöglich zu erhalten. Ein Geheimdiensttreffen hätte kaum konspirativer sein können. Ein Parteitag ist der Höhepunkt jeder Partei, Dortmund war nur ein weiterer Tiefpunkt.
Als Autor dieser Zeilen bin ich selbst Mitglied in einer Aufstehen-Basisgruppe, welche die Mühen der Ebene auch kennt, die aber aktiv und regelmäßig arbeitet. In fast 30 Jahren politischer Aktivität in der linken Szene habe ich noch nie so einen kompletten Dilettantismus erlebt wie von den Aufstehen-InitiatorInnen! Und es setzt dem ganzen Versagen noch die Krone auf, wenn sie fast als Rechtfertigung schreiben: „Bevor eine zwingend notwendige und endlich terminlich vereinbarte Krisensitzung zwischen diesem Vorstand und dem Verein stattfinden konnte (13. März), deren Ergebnisse dann von dem dazu vom Kreis der Initiatoren bestimmten politischen Arbeitsausschuss (14.März) beraten werden sollte, erklärte Sahra Wagenknecht am Wochenende ihren Rücktritt von jeder Führungsverantwortung.“
Die Art der „Terminierung“ lässt schon ahnen, wie da gearbeitet wird. Nachdem es über Monate eine Dauerkrise gibt, nachdem das erste bundesweite Treffen ein Desaster war, lässt man erneut Wochen verstreichen, weil es offenbar dem (nach wie vor personell weitgehend unbekannten“ „Verein“ vorher nicht passte. Und als dann noch eine Person ausfällt – wer und warum auch immer -, setzt geradezu eine Lähmung ein. Schönen Dank auch, wer mit solchen Leuten die Welt verändern will …
Noch weit ernüchternder sind allerdings die Schlussfolgerungen und Vorschläge, welche die InitiatorInnen nun aus dem Dilemma ableiten. Sie schreiben: „Die Grundsatzerklärung von Aufstehen und die Artikel, die zur Gründung führten, sind ein guter Kompass.“ Inwiefern? Und welche Artikel?
Die „Grundsatzerklärung“ ist ein rein reformistischer Wünsch-dir-was-Katalog, der sich vollständig im Rahmen des Kapitalismus bewegt und weder die tieferen (systemischen) Ursachen der gegenwärtigen Situation berührt noch irgendwelche Alternativen aufzeigt. Völlig zu recht hat die gesamte Linke diesen Aufruf deshalb scharf kritisiert und nahm das (allerdings zu Unrecht!) als Anlass, sich von Aufstehen in sektiererischer Weise fern zu halten. Politisch noch schlechter und absurder ist die „Präambel zu einem Regierungsprogramm“. (Hierzu: https://aufruhrgebiet.de/2018/12/welche-regierung/) Doch selbst wenn man diese Texte für politisch brauchbar oder gar gut hält, müsste man einräumen, dass Aufstehen bundesweit keinen Millimeter dabei voran gekommen ist, diese Texte zu diskutieren und grundlegende Fragen zu klären.
Was schwebt den InitiatorInnen für die nächste Zeit nun konkret vor? Dazu heißt es: „Was es zur Zeit nicht gibt, ist eine bundesweite Organisationsplattform Aufstehen, die für sich beanspruchen kann, die ganze Bewegung zu vertreten oder für sie einheitliche Ziele zu formulieren.
Der Trägerverein Aufstehen verfügt über sämtliche Mitgliederlisten und die Vereinsmittel. Wir fordern ihn auf, einen Bundeskongress der Basisgruppen wie vereinbart für spätestens Juli 2019 einzuberufen.
Was wir für dringend notwendig halten, ist die Initiative für ein linkes Denklabor, ein Forschungs- und Schulungszentrum linker Alternativen, das eigene politische Konzepte, Aktionen und Strategien erarbeitet und in die öffentliche Diskussion bringt. Der erdrückenden Übermacht bestehender neoliberaler und neokonservativer Think Tanks gilt es etwas entgegenzusetzen, was allerdings feste Mitgliedschaften, Mitgliedsbeiträge, demokratische Entscheidungsstrukturen und faire Absprachen und Kooperationen mit Gruppen wie Attac, Solidarische Moderne, Diem, Demokratie Jetzt, Demokratie in Bewegung, Unteilbar etc. voraussetzt.“
Was soll diese „bundesweite Organisationsplattform“ sein?! Das Orakel von Delphi ist dagegen sehr konkret. Ein „Bundeskongress der Basisgruppen wie vereinbart für spätestens Juli 2019“ ist gut und dringend notwendig. Wie werden sehen, wie demokratisch und gut vorbereitet er sein wird, ob er nur dem Schaulaufen von Promis dient oder ein wirklicher Arbeitskongress wird, der zu konkreten Ergebnisse und Strukturen führt.
Der dritte Punkt fordert eine „Initiative für ein linkes Denklabor, ein Forschungs- und Schulungszentrum linker Alternativen“. Je nun, die Rosa Luxemburg-Stiftung u.ä. Parkplätze für reformistische Nachdenker und Promis im Vor(ruhestand) gibt es bereits.
Wie sieht es hingegen mit so unwichtigen Fragen aus wie den folgenden, die weder im Gründungsaufruf noch in der Präambel auch nur erwähnt wurden: Können grundlegende Verbesserungen (im reformerischen wie im revolutionären Sinn) erreicht werden, ohne mit dem Privateigentum zu brechen? Wie stehen wir zum Sozialismus/Kommunismus und deren (angeblichem) Scheitern? Was ist mit der Arbeiterklasse, der Arbeiterbewegung und dem Klassenkampf? usw. usf.
Allein die (bisherige) Nichterwähnung des letzten Punktes zeigt sehr deutlich, wes Geistes Kind die Aufstehen-“FührerInnen“ sind. Sie haben kein Interesse daran, den Reformismus, dessen Politik und Organisationen kritisch zu hinterfragen oder gar etwas zu ändern. Man kann all diese Fragen ausblenden, sicher, doch man soll nicht auch noch glauben, auf diesem Pudding-Fundament eine Bewegung oder gar mehr darauf aufbauen zu können.