Die Stromlücke

Hanns Graaf / Paul Pfundt

Wenn wir uns den seit 20 Jahren anhaltenden Trend der Energiepolitik in Deutschland anschauen und in welche Richtung die aktuelle Politik weist, dann kann einem angst und bange werden. Denn uns droht eine Stromlücke, die Differenz zwischen der Menge erzeugten Stroms und dem Bedarf wird immer größer – ein Problem, das es so früher nicht gegeben hat.

Die Erzeugerseite

Die Hauptanliegen der Energiewende (EW) sind einerseits der Kohleausstieg, um die CO2-Emissionen zu senken, und der Ausstieg aus der Kernenergie. Dabei konterkariert letzterer aber gerade das CO2-Ziel, weil Kernkraftwerke kein CO2 freisetzen. Während der Kohleausstieg bis 2038 erfolgen soll, wird das letzte AKW bereits 2022 vom Netz gehen. Im ersten Halbjahr 2019 lag der Anteil von Kohle und Kernkraft an der Stromerzeugung bei zusammen 40% (Kernenergie 13,1%, Steinkohle 10%, Braunkohle 19,9%).

Auch wenn aktuell der Ausbau der Windenergie als der wichtigsten Form der „Erneuerbaren Energien“ (EE) ins Stocken geraten ist, so ist die Steigerung des Anteils der EE an der Stromerzeugung unübersehbar. Im Vergleich von 2019 zu 2018 (jeweils 1. Halbjahr) nahm die Erzeugung von Kohlestrom um über 20% ab, während Wind- und Solarstrom zugleich um 25% zunahm (Zahlen nach: https://www.ise.fraunhofer.de/content/dam/ise/de/documents/publications/studies/daten-zu-erneuerbaren-energien/ISE_Stromerzeugung_2019_Halbjahr.pdf).

Rein statistisch gesehen ist es also kein Problem, bis 2038 aus Kohle- und Kernenergie auszusteigen. Nur: das Energiesystem ist ein technisches System, das technischen und Naturgesetzen gehorcht, und keine Ansammlung von Zahlen. Die Frage ist nämlich, ob die Ersetzung von Kohle- und Atomstrom durch EE-Strom immer so weitergehen kann bzw. welche Folgen das hätte. Doch gerade diese – entscheidende – Frage wird von Politik und Medien meist gar nicht gestellt. Inzwischen kann man anhand jahrelanger Erfahrungen mit den EW-Protagonisten auch sagen, dass diese Frage von den meisten dieser Leute gar nicht verstanden wird.

Die bisherige Steigerung des Anteils der EE an der Stromerzeugung, zeigt, dass es an sich kein Problem ist, die Gesamtstrommenge auch ohne Kohle und Kernkraft zu erzeugen. Nur: der Gesamtstromverbrauch ist eine weitgehend uninteressante Größe. Niemand verbraucht Strom im Durchschnitt, immer braucht man eine bestimmte Menge an einem konkreten Ort zu einer konkreten Zeit. So schwankt der Stromverbrauch saisonal (Sommer-Winter), zwischen Tag und Nacht und in Abhängigkeit von Verbrauchergewohnheiten und Witterung. Entscheidend ist also, dass genauso viel Strom zur Verfügung steht, wie konkret gebraucht wird.

Wird mehr Strom erzeugt als gebraucht wird, kann durch Abschaltung oder Drosselung der Erzeugung relativ einfach eine Deckung von Angebot und Nachfrage erreicht werden. Anders verhält es sich aber, wenn der Bedarf höher als das Angebot ist. In gewissem Umfang kann man dieses Manko durch Import von Strom ausgleichen. Jedoch kann Deutschland mit seinem sehr großen Bedarf nicht in größerem Maße von seinen Nachbarn mitversorgt werden. Das wäre v.a. dann umso weniger möglich, wenn unsere Nachbarn wie wir eine EW-Politik betreiben würden, weil dann ein Zuviel oder Zuwenig an Wind- und Solarstrom dort parallel auftreten würde, da die Wetterlage dort alles in allem ähnlich der in Deutschland ist, weil die Hoch- und Tiefdruckgebiete über Landesgrenzen hinausgehen.

Die Spezifik des Stromnetzes

Die technische Besonderheit des Stromsystems (Aufgemerkt Frau Baerbock!) besteht darin, dass jederzeit, quasi sekundengenau, Erzeugung und Verbrauch übereinstimmen müssen. Ansonsten kann die Netzfrequenz von 50 Hz nicht gehalten werden, was zu Netzzusammenbrüchen (Blackout) und Schäden an der Netz- und Verbrauchertechnik führt. Die gleichbleibende Netzfrequenz kann und muss zwar auch durch Regelung erreicht werden, doch ist diese Möglichkeit begrenzt. Der wichtigste Faktor für die Netzstabilität sind die großen Schwungmassen der Turbinen der großen Kraftwerke. Werden diese mit der EW immer weniger, muss sich das zwangsläufig negativ auf die Netzstabilität auswirken. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn für Stunden oder gar Tage Wind und Sonne ausfallen, v.a. bei Inversionswetterlagen (stabile Hoch- bzw. Tiefdrucklagen) im Frühjahr und Herbst.

Abhilfe könnte nur dadurch geschaffen werden, dass Strom in großen Mengen gespeichert und bei Bedarf abgerufen wird. Doch bei der Speicherung tauchen gleich drei unüberwindbare Hürden auf: 1. gibt es keine Speicher in der erforderlichen Dimension (worüber uns alle EW-Befürworter im Unklaren lassen); 2. würde der Bau ausreichender Speicherkapazitäten noch teurer werden als die EW bis jetzt schon gekostet hat (auch darüber schweigen die EW-Propagandisten); 3. bedeutet Speicherung bzw. Umformung von Strom Energieverlust, d.h. es müsste erheblich mehr Strom erzeugt werden – ca. 10-20% -, um diese Verluste zu kompensieren. Stromspeicherung ist also kein technisches, sondern eher ein technisch-systemisches und ein Finanz- und Ressourcenproblem. Ein zusätzliches Dilemma der EW ist, dass wenige Großkraftwerke in Verbrauchernähe durch eine wesentlich höhere Zahl von Kleinerzeugern (Wind-, Solar- und Biogasanlagen) ersetzt werden, die weiter von den Großverbrauchern entfernt sind und daher ein deutlich größeres Netz erfordern. Doch auch die Leitung (der Transport) von Strom ist mit Verlusten verbunden …

Die quantitative Lücke und die …

Die EW mit dem Ausbau der EE führt also notwendig dazu, dass die Lücke zwischen der erzeugten Strommenge und dem Bedarf größer wird bzw. überhaupt erst entsteht, denn bisher waren Erzeugung und Verbrauch deckungsgleich.

Der Stromverbrauch in Deutschland ist seit etwa 1990 gleich geblieben. Entgegen der Zeit davor bedeutet also Wirtschaftswachstum und Erhöhung des Lebensstandards nicht mehr, dass deshalb auch der Strombedarf steigt. Obwohl der Verbrauch in einigen Bereichen durchaus gestiegen ist (Digitalisierung, mehr Haushaltstechnik), wurden diese Verbrauchssteigerungen durch höhere Energieeffizienz (Beispiel LED) ausgeglichen. Hier zeigt sich deutlich, dass Fortschritt (in jeder Hinsicht) ohne technische Effizienzsteigerung letztlich unmöglich ist. Auch jeder Fortschritt im Energiesektor war historisch immer damit verbunden, die Energieeffizienz zu steigern. Die EW hat diesen Trend umgekehrt. Die erzeugte Menge Strom aus Sonne oder Wind pro Flächeneinheit – und das ist entscheidend, nicht das Gesamtaufkommen – ist jedoch weit geringer als bei Kohle, Gas oder gar Spaltmaterial Uran. Daraus folgt, dass der technische Aufwand von WKA oder Solarkollektoren pro Energiequantum viel höher ist als bei „traditionellen“ Erzeugern. Das erklärt auch wesentlich, warum die Strompreise durch die EW immer und überall, wo die EE Einzug halten, deutlich ansteigen.

Inwiefern entstehen nun durch die EW Stromlücken, m.a.W. Strommangel?

Wie schon ausgeführt, können in der Summe Kohlekraftwerke und AKW durch EE theoretisch durchaus ersetzt werden. Trotzdem droht uns eine Stromlücke, also Unterversorgung, dadurch, dass zeitgleich enorme Erzeugerkapazitäten aus dem System genommen werden und außerdem neue Verbräuche dazukommen. Zusätzlicher Strombedarf entsteht v.a. durch die (künstlich geförderte) E-Mobilität. Der Verkehrssektor verbraucht in Deutschland etwa 1/3 der Gesamtenergie (Primärenergieverbrauch). Das gibt eine Vorstellung davon, welch ungeheure Mengen an Strom zusätzlich verbraucht würden, wenn z.B. nur 20% aller PKW auf Batterieantrieb umgestellt würden. Wir müssten also nicht nur die abgeschalteten Kraftwerke durch EE ersetzen, sondern zugleich deutlich mehr Strom erzeugen als bisher. Diese Mehrerzeugung kommt noch zu jener hinzu, die durch den Ausgleich der Speicher- und Netzverluste nötig wird. Ein Fass ohne Boden!

Die Weiterführung der EW mit dem Ausstieg aus Kohle und Kernkraft erfordert einen Ausbau der EE, der weit über das hinausgeht, was in den letzten 20 Jahren diesbezüglich erfolgt ist. Ein Problem dabei ist, dass eigentlich nur die Wind- und Solarenergie als „Erneuerbare“ ausgebaut werden können. Für neue Wasserkraftanlagen gibt es keine oder viel zu wenig geeignete Standorte. Auch bei Biogasanlagen ist ein Ausbau praktisch kaum möglich, ja sogar schädlich, da es an Flächen für Mais und Raps fehlt bzw. diese Flächen keinesfalls vergrößert werden sollten, weil sie a) für die Lebensmittelerzeugung fehlen würden und sie b) durch den monokulturellen Anbau negative Auswirkungen auf die Biodiversizität haben. Schon heute wird ca. 1/6 der Landwirtschaftsfläche für Energiepflanzenanbau genutzt.

Der Ausbau der Windenergie stößt auf immer mehr Widerstand, der schon jetzt fast zum Stillstand des Ausbaus geführt hat. Es ist nicht anzunehmen, dass dieser Widerstand künftig geringer wird. Der Ausstieg aus Kohle und Kernenergie erfordert den Zubau von mindestens 30.000 weiteren Windkraftanlagen (WKA) – wenn nicht mehr. Derzeit stehen in Deutschland etwa 33.000 Anlagen. Doch eine Verdoppelung dieser Zahl wird auch deshalb schwierig, weil in den nächsten Jahren tausende Anlagen das Ende ihrer Laufzeit erreichen. Es ist schon eine anspruchsvolle Aufgabe, diese Schrottmühlen zu ersetzen. Die kurze Laufzeit von WKA von nur etwa 15-20 Jahren – und die daraus resultierenden Probleme – haben uns die „grünen“ Ideologen ebenfalls verschwiegen.

… qualitative Lücke

Doch diese drohende „quantitative“ Lücke ist noch nicht einmal das Hauptproblem. Viel mehr sollte uns die „qualitative“ Lücke beunruhigen. Diese besteht zum einen darin, dass der Wegfall zuverlässiger und regelbarer Erzeuger (Kohle- und Kernkraftwerke) es schwieriger, wenn nicht gar unmöglich macht, das Stromnetz zu beherrschen und eine zuverlässige Versorgung zu sichern. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir mehrfach nur knapp an einem Blackout vorbeigeschrammt sind. Auch die Zahl der Eingriffe zur Netzstabilisierung ist geradezu explodiert. Wir nähern uns also ganz kontinuierlich dem Blackout; die Frage ist nicht, ob er kommt, sondern wann! Nur Leute wie die Grünen-Chefin Annalena Baerbock, die glaubt, das Netz wäre ein Speicher, sind so dummfrech, das Problem einfach zu leugnen.

Doch es gibt noch eine zweite, „qualitative“ Lücke. Diese entsteht, wenn in Momenten mit wenig Wind und/oder Sonne (Dunkelflaute) zu wenig EE-Strom zur Verfügung steht. Kann diese Lücke dann nicht – und zwar innerhalb von Sekunden oder Minuten – überbrückt werden, kommt es zum Netzkollaps. Dass Importstrom dafür oft nicht ausreichen wird, haben wir schon beschrieben. Ein kompletter Verzicht auf Kohlestrom und AKWs würde aber auch bedeuten, dass es zu wenig Reservestromkapazitäten gibt, die im Bedarfsfall hochgefahren werden könnten. Eine Lösung wäre nur, a) einen gar nicht so kleinen Pool an alten Kraftwerken stand by zu halten, was aber ein teures Vergnügen wäre, oder b) deutlich mehr Gaskraftwerke zu bauen, die dann einspringen könnten. Doch Strom aus Gas ist nicht nur sehr teurer, er ist auch nicht CO2-frei.

Auf die Gefahren einer Stromlücke und eines Blackouts wies kürzlich auch Uniper-Chef Schierenbeck in einem Interview mit der Welt hin (Uniper ist die ehemalige Kraftwerkssparte von EON): „Wenn der Anteil von Solar und Wind aber deutlich über 40, 50 oder 60 Prozent steigt, wird es ohne eine solide Rückendeckung durch fossile Reservekraftwerke nicht mehr gehen. Das hat man kürzlich in Großbritannien gesehen. Der große Blackout im August vergangenen Jahres geschah an einem Tag, an dem fast 65 Prozent Windenergie im System waren. (…) Zur Frequenzhaltung im Netz braucht man die sogenannten rotierenden Massen großer Stromgeneratoren. Das sind Hunderte Tonnen Gewicht, deren Schwung ausreicht, nach dem Ausfall eines Kraftwerks noch eine Weile weiterzulaufen. Das stabilisiert in den ersten Millisekunden und Sekunden nach dem Kraftwerksausfall noch das Netz. Diesen Beitrag großer Kraftwerke zur Netzstabilisierung hatte man früher ganz selbstverständlich hingenommen. Bei Windkraft und auch bei Solar gibt es keine großen Aggregate mehr, die eine solche kinetische Energie mitbringen. Wenn jetzt ein Kraftwerk vom Netz geht, bricht die Frequenz relativ schnell ein.“

Perspektive

Trotz aller Klimaschutz-Beschwörungen ist völlig unklar, wie oder ob die EW weiter getrieben wird. Schon jetzt hat Deutschland die höchsten Strompreise Europas – nicht nur die Haushalte, sondern auch große Teile der Industrie und des Handwerks. Ohne die Ausnahmen für die energieintensiven Großunternehmen (Stahl, Aluminium, Zement u.v.a.) bei der EEG-Umlage wären diese schon Pleite oder abgewandert. Wenn nun noch eine Stromlücke die stabile Versorgung mit Elektroenergie überhaupt unterminiert, dann ist es mit dem Standort Deutschland, den Arbeitsplätzen und dem guten Lebensstandard vorbei. Das ist die These, die von den bürgerlich-konservativen Klima- und Energiewende-Kritikern vertreten wird. Einige von ihnen sehen die Rettung in der Wahl der AfD – was nicht unsere Meinung ist. Doch es ist sehr unwahrscheinlich, dass das deutsche Kapital tatenlos zusehen wird, wie die EW die energetische Grundlage ihrer Produktion (und damit ihrer Profite) untergräbt. Bevor ein energetischer Super-GAU stattfinden kann, wird die Bourgeoisie das Ruder herumreißen und die Grünen und die Herde „grünlicher“ Politiker und Ideologen abservieren. Diese haben als nützliche Idioten ihre Aufgabe erfüllt, dann stören sie nur noch.

Bisher haben große und kleine Investoren und Abzocker an der EW prächtig verdient. Doch wenn das Geschäftsmodell EW das ökonomische Gesamtsystem an die Wand zu fahren droht und von einem Konjunkturmotor zu einem gesamtwirtschaftlichen Sprengsatz mutiert, ist der Spaß vorbei.

Die Wahrheit üebr die EW und den Klimazirkus wird an Licht kommen, immer mehr Menschen wenden erkennen, dass die EW ein Konjunktur-, Bereicherungs- und Umverteilungsprogramm ist und der Klimahype nur die notwendige Ideologie dazu ist. Dazu trägt die EW auch nichts oder fast nichts zur Einsparung von CO2 bei. Doch leider ist die gesamte Linke dem „grünen“ Obskurantismus auf den Leim gegangen. Anstatt auf die Unsinnigkeit, ja Schädlichkeit der EW, hinzuweisen, unterstützt man diese noch. So wird die Linke in den Strudel des Scheiterns der EW mit hineingezogen werden und ihre Situation, die ohnehin schon fatal genug ist, verschlechtert sich dadurch noch mehr. Es ist höchste Zeit, dass sich die Linke und die Arbeiterbewegung den energiepolitischen Hasardeuren entgegenstellt, die EW beendet und das Energiesystem verbessert – im Interesse und unter Kontrolle der Arbeiterbewegung und im Einklang mit Naturwissenschaft und Technik!

Doch selbst dann, wenn es ein Klimaproblem gäbe, wäre die EW die falsche Antwort darauf. Anstatt dass sie das Klima rettet, macht sie die Bevölkerung zu energetischen Lückenbüßern.

2 Gedanken zu „Die Stromlücke“

  1. Als „Linker“ kann man schon den Grünen auf den Leim gehen, doch einem Marxisten, der von einer materialistischen und historisch-kritischen Methode ausgeht, darf das eigentlich nicht passieren. Dass es trotzdem so ist, zeigt aber, wie heruntergekommen der „Marxismus“ leider ist. Marx würde sich im Grabe umdrehen.

  2. …endlich sagt es mal einer: ein echter und ernsthafter „linker“ würde niemals auf die Ideen der grünen Spinner hereinfallen.

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