1917 – ein Modell für heute? (Teil 1/2)

Hanns Graaf

Viele Marxisten und revolutionäre Linke beziehen sich positiv auf die Russische Revolution von 1917 und halten sie für ein Modell, das auch noch für heute Gültigkeit hätte. Dafür spricht, dass die Oktoberrevolution bisher die einzige erfolgreiche sozialistische Revolution war, in der das Proletariat die Macht erringen konnte. Diese Singularität kann allerdings auch dagegen sprechen. Es mangelte im 20. Jahrhundert nicht an revolutionären Versuchen oder an Situationen, wo eine Revolution möglich war: Deutschland 1918, Ungarn 1919, China 1927, Frankreich 1934, Spanien 1936 oder Griechenland 1944/45. Chancen auf revolutionäre Veränderungen gab es in mehreren Ländern auch nach dem 2. Weltkrieg oder Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre in Frankreich, Chile oder Portugal.

Trotzkis Theorie

Dafür, dass all diese Möglichkeiten entweder in einer Niederlage endeten oder das Proletariat gar keine Revolution durchführte, gibt es verschiedene Erklärungen. Eine davon stammt von Leo Trotzki. Dieser hatte schon ab den 1920ern den Aufstieg des Stalinismus in der UdSSR und die darauf folgende Stalinisierung der kommunistischen Weltbewegung kritisiert. Für Trotzki war der Stalinismus eine konterrevolutionäre Agentur im Arbeiterstaat Sowjetunion und in der Kommunistischen Internationale (Komintern). Trotz des Aufstiegs des Stalinismus beharrte Trotzki jedoch darauf, dass die UdSSR immer noch ein Arbeiterstaat sei – jedoch blockiere der Stalinismus dessen Weiterentwicklung zum Sozialismus und weise erhebliche Deformationen auf. Das bewog Trotzki dazu, die UdSSR als „degenerierten Arbeiterstaat“ zu bezeichnen, dessen Perspektive davon abhängig wäre, ob das Proletariat imstande sein würde, die Bürokratie durch eine – nur politische – Revolution von der Macht zu verdrängen und eine Revitalisierung des Rätesystems einzuleiten.

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Berlin: Mehr Schulen, mehr Profit

Vorwort der Redaktion: Wir verlinken hier mit freundlicher Genehmigung von www.nachdenkseiten.de einen Artikel zur „Berliner Schulbauoffensive“. Er zeigt sehr konkret nicht nur die Unfähigkeit des bürgerlichen Staates, in diesem Fall des rot/rot/grünen Berliner Senats, etwas gegen den Mangel an Schulen zu tun; er zeigt auch, wie der Senat es zulässt, dass Milliarden öffentlicher Gelder der Wirtschaft und diversen Geschäftemachern in den Rachen geworfen werden:

https://www.nachdenkseiten.de/?p=103681

Vom Traum zum Trauma

Hannes Hohn

Vorwort: Anlässlich des 50. Jahrestages des blutigen Putsches gegen die Allende-Regierung in Chile am 11. September 1973 veröffentlichen wir hier eine Analyse aus dem Jahr 2003, der zuerst in der Zeitung „Neue Internationale“ der Gruppe Arbeitermacht veröffentlicht wurde. Heute arbeitet der Autor in der Initiative Aufruhrgebiet mit. Die Redaktion

Am 11. September 1973 ging in Santiago de Chile der Präsidentenpalast, die Moneda, in Flammen auf. Das Militär unter General Pinochet putschte gegen den gewählten Präsidenten Salvador Allende und errichtete eine blutige Militärdiktatur.

Der Putsch beendete die Hoffnung von Millionen Chilenen auf die Umgestaltung des Landes und auf die Einführung des Sozialismus. Stattdessen herrschte in Chile nun Friedhofsruhe. Fast alle demokratischen Rechte wurden von der Pinochet-Junta außer Kraft gesetzt und Gewerkschaften und Streiks verboten. Die Löhne wurden halbiert, während sich die Arbeitszeit gleichzeitig erhöhte. Diese Folgen des Putsches verdeutlichen, in wessen Sinn und Auftrag der Mörder Pinochet handelte: in dem der Kapitalisten.

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Neue Broschüre erschienen!

Die 9. Broschüre des Verlags Aufruhrgebiet enthält Beiträge zu drei Themenkomplexen. Im ersten skizziert der Autor Hanns Graaf Faktoren und Tendenzen, welche die aktuelle Periode des Kapitalismus kennzeichnen. Dabei vertritt er die These, dass Ende des 20. Jahrhunderts eine neue Phase des Kapitalismus – der Spätimperialismus – begann. Auch dieser weist wichtige Merkmale des bisherigen Imperialismus auf wie z.B. die Dominanz des Finanzkapitals, die Existenz großer Weltkonzerne oder den Drang zur Neuaufteilung der Welt, ist aber auch von neuen Tendenzen geprägt.

Der Spätimperialismus ist durch modifizierte Merkmale geprägt, welche die Bedingungen des Klassenkampfes verändert haben. Riesige Finanzkonglomerate (Blackrock und Co.) dominieren die Gesellschaft, eine enorm vergrößerte lohnabhängige Mittelschicht hat sich als sozialer Block zwischen Bourgeoisie und Proletariat etabliert und beeinflusst die Gesellschaft in starkem Maße. Das Kapital nutzt weit mehr als früher Mittel der Indoktrination („Wissenschaft“, Medien, Bildung, Kultur).

Nach einer „Katastrophen-Phase“ von Krisen, Kriegen, Revolutionen und Konterrevolutionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgte nach 1945 eine reaktionäre Stabilisierung in Form der bipolaren Weltordnung aus dem privatkapitalistischen Westen um die Führungsmacht USA und dem staatskapitalistischen Ostblock um Moskau. Ende des 20. Jahrhunderts begann eine neue Phase, die durch die breite Anwendung neuer Produktivkräfte (Digitalisierung, Containerttechnik usw.), den Kollaps des Ostblocks und dessen Wiedereingliederung in den Weltmarkt sowie neoliberale Reformen geprägt ist. Nach dem Aufschwung der „Globalisierung“ ab den 1990ern haben sich immer größere Krisenpotentiale aufgetürmt: riesige Überkapazitäten an Kapital, ein gigantischer spekulativer Finanzsektor, zunehmende ökologische Probleme usw. Fast im Jahrestakt folgt Krise auf Krise: die Finanzkrise von 2008/09 und die Corona-“Pandemie“ von 2020-22 waren die bisherigen Höhepunkte. Ausdruck dieser Akkumulationsprobleme sind heftigere Handelskonflikte und die wachsende Konfrontation zwischen dem westlichen Block um die USA und dem Block um China/Russland, die sich u.a. im vom Westen provozierten Ukrainekrieg äußert.

Im 2. Teil wird dargelegt, wie und in welchen Bereichen der Klassenkampf heute geführt werden muss, damit die Linke und die Arbeiterbewegung ihre Defensive, ihre Schwäche und politische Degeneration überwinden können. Es werden zentrale Ursachen dieser Misere aufgezeigt und dargelegt, welche Schlüsse aus den historischen Erfahrungen gezogen werden können. Dabei stellt die Frage der Selbstorganisation des Proletariats im politischen, aber auch im wirtschaftlichen und im sozialen Bereich einen zentralen Aspekt dar.

Im 3. Teil wird die Notwendigkeit einer neuen, revolutionären Arbeiterpartei betont und ausgeführt, warum deren Aufbau die zentrale Aufgabe von Revolutionären sein muss und wie er erfolgen kann.

Diese Broschüre verbindet die Skizzierung wichtiger Aspekte der Analyse des Kapitalismus der Gegenwart und die Aufarbeitung historischer Erfahrungen des
Klassenkampfes mit Vorschlägen, wie ein Potential geschaffen werden kann, um den Kapitalismus endlich zu überwinden.

Der Filz der Macht

Paul Pfundt

Der Skandal um die Personalien in Habecks Ministerium für Wirtschaft und Klima ging aus wie das Hornberger Schießen: einige Leute, v.a. Staatssekretär Patrick Graichen, mussten ihren Hut nehmen. Aber Minister Habeck selbst, der direkt dafür verantwortlich ist, dass etliche Spezis, Verwandte und Bekannte Posten in seinem Ministerium bekamen, blieb im Amt. Das wäre noch vor einigen Jahren kaum denkbar gewesen. Damals reichten oft schon kleine „Missgeschicke“ eines Ministers, um seinen Posten räumen zu müssen.

Die mediale und politische Aufarbeitung der „Causa Habeck“ war von zwei „Strömungen“ geprägt: die eine Seite erregte sich über die „grüne“ Vetternwirtschaft, vermied es aber, inhaltlich tiefer zu bohren und forderte meist auch nicht den Rücktritt Habecks, um die Ampel-Koalition nicht zu zerlegen. Die andere Strömung trat da schärfer auf, forderte auch den Rücktritt von Habeck und nahm den ganzen Fall zum Anlass, die unseriösen und undemokratischen Strukturen hinter der Klima- und Energiepolitik der Grünen – und in deren Windschatten – auch der anderen Parteien zu kritisieren.

Beiden Strömungen ist aber gemeinsam, dass sie meist an der Oberfläche blieben und die hinter den Vorgängen im Habeck-Ministerium und der gesamten Klima- und Energiepolitik verborgenen grundlegenden gesellschaftlichen Fehlentwicklungen nicht sehen.

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Die Friedensbewegung – ein Erfahrungsbericht

Hannah Behrendt

Am 1. September, dem Weltfriedenstag, gab es in Bernau, einer Kleinstadt im Nordosten von Berlin, eine Friedenskundgebung. Das ist an sich nichts Besonderes, auch in vielen anderen Orten gab es dazu Veranstaltungen. Wie die große Mehrzahl dieser Manifestationen richtete sich auch die Aktion in Bernau gegen die Kriegs- und Aufrüstungspolitik des Westens, der NATO und der Ampelregierung. Die Hauptlosung in Bernau war die Forderung nach Beendigung des Krieges durch Verhandlungen ohne Vorbedingungen. „Diplomaten statt Granaten“ verkündete das Leittransparent.

Wir meinen, dass die Aktion in Bernau in mehrfacher Hinsicht von Interesse ist und wichtige Lehren zulässt, wie eine starke Anti-Kriegsbewegung aufgebaut werden kann und wie nicht.

Bündnispolitik

Organisiert wurde die Kundgebung in Bernau von zwei Bündnissen: zum einen dem „Friedensbündnis Bernau“, das mit dem „Runden Tisch Bernau“ und der Montagsdemonstration verbunden ist. Dieses Milieu entstand im Zuge der Corona-kritischen Bewegung und wird von der Partei „Die Basis“ politisch dominiert. Das andere Bündnis ist das „Friedensbündnis Panketal“ (ein Nachbarort von Bernau), das von Parteilosen, darunter einem Mitglied der Initiative Aufruhrgebiet, und der örtlichen Basisgruppe der Linkspartei initiiert wurde.

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Wagenknecht: Eine Alternative?

Hanns Graaf

Schon seit Jahren köchelt der Konflikt zwischen der LINKEN-Führung und Sarah Wagenknecht. Zuletzt hat sich die Situation noch zugespitzt. Anlässe dafür waren zum einen Wagenknechts Buch „Die Selbstgerechten“, in dem sie die Politik der LINKEN scharf kritisiert, zum anderen ihr gemeinsam mit Alice Schwarzer verfasster Aufruf zur Beendigung des Ukraine-Krieges durch Verhandlungen und die Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin, zu der Zehntausende kamen. Die offensichtliche Unvereinbarkeit vieler Positionen Wagenknechts mit der Politik des LINKEN-Vorstands hat diesen nun bewogen, mehrheitlich zu erklären, dass die LINKE in Zukunft ohne Wagenknecht auskommen will.

Dass die LINKE in einer schweren, ja existenziellen Krise steckt, ist unübersehbar. Bei der letzten Bundestagswahl erhielt sie gerade noch 4,9% und konnte nur noch aufgrund der drei Direktmandate eine Fraktion bilden. Allein die Tatsache, dass die LINKE aktuell nicht von der breiten Enttäuschung über die Ampel-Politik profitiert und in den Umfragen weiter unter 5% herumdümpelt, ist ein überdeutliches Zeichen für ihr politisches Versagen. Die Ankündigungen der Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, nicht wieder für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren, ist ein weiteres Zeichen der Krise.

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Der (un)aufhaltsame Aufstieg der AfD

Hannah Behrendt

Seit Monaten eilt die AfD von Erfolg zu Erfolg: im Kreis Sonneberg in Thüringen stellt sie ihren ersten Landrat, in einigen anderen Orten den Bürgermeister. In Umfragen legt sie kontinuierlich zu. Derzeit steht sie bundesweit schon bei über 21%, damit liegt sie vor der SPD. Lt. INSA-Umfrage, ist die Zustimmung zur AfD z.B. in Brandenburg in den letzten drei Monaten von 25 auf 28% angestiegen, in Sachsen-Anhalt von 26 auf 29%. In Ostdeutschland ist sie schon die stärkste Partei. Doch der Aufwärtstrend erfasst auch den Westen. Für Nordrhein-Westfalen, wo fast ein Viertel der Deutschen lebt, stieg die Zustimmung zur AfD bis Mitte Juni von 8% auf 13-15% Prozent, was fast eine Verdoppelung darstellt. In Bayern, dem zweitbevölkerungsreichsten Bundesland, stieg sie von 9% Mitte Februar auf 13% Anfang Juli.

Was ist diese Entwicklung zu erklären?

Seit vielen Jahren führt die neoliberale Politik dazu, dass immer größere Teile der Lohnabhängigen und der unteren Mittelschichten sozial nach unten gedrückt werden. Das betrifft Hartz IV-Empfänger, Prekäre und Leiharbeiter, aber auch Selbstständige und Beschäftigte im Dienstleistungssektor. Waren die Merkel-Jahre meist von einer guten konjunkturellen Situation, v.a. für die Exportindustrie, geprägt, änderte sich das Bild zuletzt, v.a. durch die Corona-Lockdowns und aktuell durch die Ampelpolitik. Seit der Finanzkrise 2008 werden ständig riesige „Rettungspakete“ geschnürt, um die Krise zu beherrschen. Dafür wird immer mehr Geld gedruckt und die Zinsen lagen lange bei Null. Mit Corona, der forcierten Aufrüstung, dem Ukrainekrieg und der – fälschlich Putin angelasteten – Energiekrise hat diese Subventions-Orgie inzwischen gewaltige Dimensionen erreicht.

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Fundstück XCV

Immer wenn man hört, dass es hinsichtlich der einen oder anderen Sache einen Konsens unter Wissenschaftlern gibt, halten Sie Ihre Brieftasche fest. Eines muss absolut klar sein: Die Arbeit der Wissenschaft hat nichts wie auch immer Geartetes mit Konsens zu tun. Konsens ist Sache der Politik. In der Wissenschaft ist ein Konsens irrelevant. Relevant sind ausschließlich reproduzierbare Ergebnisse. Die größten Wissenschaftler der Geschichte sind groß, genau weil sie mit dem Konsens gebrochen haben (Galileo, Newton, Einstein usw.). So etwas wie Konsens gibt es in der Wissenschaft nicht. Falls es Konsens ist, ist es keine Wissenschaft. Falls es Wissenschaft ist, ist es kein Konsens. Punkt!

Michael Crichton

Geht uns das Wasser aus?

Paul Pfundt

Seit Monaten häufen sich Medienberichte, dass in Deutschland das Wasser immer knapper würde. Einige Regionen, z.B. Brandenburg, drohten zu versteppen, was v.a. für die Landwirtschaft ein großes Problem wäre. In einigen Orten könne die Trinkwasserversorgung nur noch gesichert werden, indem Wasser von woanders dorthin geleitet würde. Dass die Wasserknappheit in Deutschland zunimmt, ist durch viele Berichte und Studien belegt. Die Frage dabei ist, ob dieses Problem eher vorübergehender Natur ist, nachdem wir in den letzten Jahren mehrere sehr trockene Sommer hatten, oder ob sich ein langfristiger Trend bemerkbar macht? Eine andere Frage ist, ob der Klimawandel dafür verantwortlich ist.

Global gesehen gibt es tatsächlich vielerorts einen zunehmenden Mangel an Trinkwasser (Süßwasser). Ein wichtiger Faktor ist dabei die Zunahme der Bevölkerungszahl bzw. deren Ballung in bestimmten Regionen oder Städten. Infolge dessen nehmen auch Konflikte um den Zugriff auf das Wasser zu, z.B. in Palästina, wo Israel das Gros des Wassers beansprucht – zum Nachteil der Palästinenser in der Region. Die Wasserprobleme könnten allerdings gelöst werden, wenn die riesigen Ressourcen der Menschheit dafür verwendet und nicht z.B. für Rüstung und Kriege vergeudet würden. Durch bessere Wasseraufbereitung oder Meerwasserentsalzung könnte der Wassermangel behoben und sogar große Gebiete bewässert oder aufgeforstet werden. Wenn dies aber nicht geschieht, so hat das nicht mit dem Klima, sondern mit dem Kapitalismus zu tun.

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