Bewegung ins Nichts: Zur Idee einer neuen linken Bewegung

Hanns Graaf

Kaum deutet sich an, dass die SPD erneut Teil einer Großen Koalition unter Kanzlerin Merkel wird, reagieren einige Spitzen der Linkspartei darauf mit einem „innovativen“ Vorschlag. Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht, die Fraktionschefs der LINKEN im Saarland bzw. im Bundestag, plädieren für die Schaffung einer „linken Sammlungsbewegung“. Diese solle neben der Linkspartei (linkere) Teile der Grünen und der SPD umfassen.

Diese Idee einer linken Sammlungsbewegung wurde von anderen FunktionärInnen der LINKEN, z.B. Bartsch und Kipping, sofort verworfen, weil sie ein Zersplittern der LINKEN ebenso befürchten, wie sie die Chancen dieses Vorschlags als gering einschätzen. Immerhin muss man Lafontaine und Wagenknecht aber zugute halten, dass sie angesichts des Rechtstrends in Deutschland, des erneuten Wahldebakels der SPD und der Stagnation der Linkspartei einen Vorschlag machen, wie man aus diesem Dilemma herauskommen kann. Nicht nur diese beiden konstatieren ja zu recht, dass nicht nur die neue GroKo keinen sozialen Fortschritt in irgendeiner Art darstellt; sie rechnen auch damit, dass die GroKo genauso wie ihre Vorgänger die SPD weiter schwächt.

Die Initiative von Lafontaine und Wagenknecht ist eine Reaktion auf das mehrfache Problem der SPD, dass darin besteht, dass Schulz und der SPD-Vorstand nach der Bundestagswahl eine Neuauflage der GroKo kategorisch ausgeschlossen und stattdessen eine grundsätzliche Überprüfung der Politik der SPD angekündigt hatten. Beides erweist sich nun als Makulatur. Ein weiteres Problem der SPD besteht darin, dass es offenbar erhebliche Teile der Partei – nicht nur der Basis, sondern auch des Apparats – gibt, welche einer GroKo sehr skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. So haben sich Spitzen der Jusos auf eine argumentative Rundreise begeben, um für die Ablehnung der Beteiligung der SPD an der GroKo zu werben. Auch mehrere SPD-Unterstrukturen, z.B. der Berliner Landesverband, haben sich mehrheitlich gegen Schulz` GroKo-Projekt ausgesprochen.

Solche Kräfte in der SPD und natürlich die Millionen ehemaliger Mitglieder und WählerInnen der SPD sollen also für eine neue linke Sammlungsbewegung gewonnen werden. Ob das realistisch ist, steht dahin – ambitionierter als das „Weiter so“ der Bartsch und Co. ist es allemal.

Immerhin gab es 2005 mit der Entstehung der „Wahlalternative für soziale Gerechtigkeit“ (WASG) schon einmal eine ähnliche Situation der Krise der SPD und der enttäuschten Abwendung vieler SPDler von ihrer Partei. Das Gros dieses Milieus ging damals allerdings nicht zur WASG. Schon gar nicht erfolgte in der WASG eine grundsätzliche Abwendung vom Reformismus der SPD – nicht zuletzt unter tätiger Mithilfe etlicher „radikaler Linker“ (v.a. Linksruck, heute Marx 21). Letztlich versandete dieser  bescheidene Aufbruch in der „Fusion“ der WASG mit der PDS zur LINKEN, die eigentlich ein Beitritt der WASG zur PDS war. Seitdem betreibt die LINKE zwar eine meist etwas linkere Politik als die SPD, einen grundsätzlichen Bruch mit deren Reformismus gab es jedoch nicht einmal ansatzweise. Dort, wo die LINKE mitregiert, ist sie politisch ohnehin kaum von der SPD unterscheidbar.

Welche Bewegung?

Lafontaine und Wagenknecht haben bis jetzt wenig bis nichts darüber gesagt, was denn diese Sammlungsbewegung genau sein solle. Eine größere Linkspartei?, Eine Linkspartei Plus?, Eine SPD der Ära Willy Brandt?, Soll aus der Bewegung eine neue Partei entstehen? usw. usf. Jede(r) kann sich alles und nichts darunter vorstellen.

Diese Verschwommenheit ist eine Ur-Tradition des Reformismus. Zum einen soll durch die politische Beliebigkeit niemand verschreckt, umso mehr Leute dadurch aber angezogen werden (als ob politische Unklarheit jemals besonders anziehend gewesen wäre). Das Im-Unklaren-lassen hat auch den Vorteil, dass eine Klärung von Mitteln und Zielen unterbleibt, d.h. niemand wird dazu verführt, Politik genauer zu hinterfragen. Das ist auch angenehm für die „Spitzen“, weil sie nicht an einem Programm gemessen (und vielleicht für untauglich befunden) werden. Die Bürokratie, welche die SPD wie auch die LINKE in Wahrheit führt, d.h. die Tausenden Abgeordneten, MitarbeiterInnen, Funktionsträger in Partei, Gewerkschaften, Sozialverbänden und Staat – die „Arbeiterbürokratie“, wie Lenin sie einmal nannte – bestimmen das Geschick der Organisation und stellen jenes Milieu, jene Struktur dar, das wesentlich bürgerliche Politik und letztlich die Klasseninteressen der Bourgeoisie in die Arbeiterbewegung hinein trägt.

Es ist auch kein Zufall, dass die „Bewegungsidee“ nicht etwa zuerst in der LINKEN, geschweige denn in der Arbeiterbewegung und der politischen Linken diskutiert oder zumindest avisiert wurde,  das tun zu wollen. Nein, zuerst erfuhren wir davon durch die bürgerlichen Medien. Fast noch schlimmer als dieses Vorgehen ist aber der Umstand, dass sich die LINKE – alle ihre Vertreter, Flügel und Plattformen -, beharrlich, das „normale“ Agieren der Gewerkschaften, d.h. ihre reformistische Ausverkaufspolitik, zu kritisieren und die politische, personelle und strukturelle Vorherrschaft der SPD über den DGB zu attackieren. Wer das jedoch versäumt, von denen sollten wir nicht erwarten, dass sie eine wirklich „neue Bewegung“ kreieren und eine Alternative zum Reformismus aufbauen könnten oder wollten.

Die politische Unklarheit bedeutet jedoch keineswegs, dass das Wesen, dass der Klassencharakter der linken Sammlungsbewegung a la Wagenknecht „offen“ wäre. Im Gegenteil: gerade die „Offenheit“ erweist sich in der Substanz als vollkommen bürgerlich-reformistisch, schon deshalb, weil die Grundstrukturen des Kapitalismus nicht infrage gestellt, sondern allenfalls etwas modifiziert werden.

Reformistische „Aufarbeitung“

Als Martin Schulz neuer SPD-Chef wurde, versprach er, die Politik der SPD, in der „einiges schief gelaufen“ wäre, aufzuarbeiten. Dabei bezog sich Schulz aber nur auf die Jahre seit der Agenda 2010, die von der Schröder-Regierung eingeführt wurde. Diese Verkürzung der Betrachtungszeit für die Politik einer Partei, die es schon seit 1875 gibt, bedeutet aber, dass die grundsätzliche politische Methode – der Reformismus – nicht in Zweifel gezogen wird. Wenigstens die SPD-Politik seit 1914, der Zustimmung zum Krieg bzw. die Blockierung von Widerstand dagegen, die offen konterrevolutionäre Rolle der SPD in der Weimarer Republik und ihr kampfloser Bankrott vor dem Faschismus hätten thematisiert werden müssen. So wird bei der Fehler-Aufarbeitung nie der Reformismus als solcher in Frage gestellt, sondern es werden immer nur verschiedene Ausprägungen reformistischer Politik betrachtet. Der „Blick zurück“ erweist sich so einfach nur als Kurzsichtigkeit.

Nicht viel anders sieht es bei der Linkspartei aus. Auch Sahra Wagenknecht betonte z.B. wiederholt, dass die SPD wieder zu der Partei Willy Brandts werden müsse, der eine sozialere und überhaupt bessere Politik gewollt und tw. auch umgesetzt hätte. Dass das einerseits einfach falsch ist, zeigt  das positive Verständnis Wagenknechts u.a. Politiker der LINKEN von Brandts „neuer Ostpolitik“. Diese war nämlich überhaupt nicht fortschrittlich, sondern nur eine andere, evtl. cleverere Strategie des Kapitals gegenüber dem Ostblock. Fortschrittlich wäre sie gewesen, wenn sie auf den revolutionären Sturz der Bürokratie in den Ostblockstaaten gesetzt hätte. Statt dessen setzte Brandt auf den „Wandel durch Annäherung“, d.h. auf die Kungelei mit den Unterdrückern in Moskau und Berlin.

Ansonsten war die „erfolgreiche“ Politik Brandts lediglich die Ausnutzung der relativ großen sozialen Spielräume in der Phase des langen Booms. Als dieser vorbei war, war es auch mit der Herrlichkeit der Sozialdemokratie vorbei. Schon unter SPD-Kanzler Helmut Schmidt war eher Sparpolitik als Ausbau des Sozialstaates angesagt, von Schröder ab 1998 ganz zu schweigen.

Nein, weder die LINKE noch eine neue linke Sammlungsbewegung sind Alternativen zur SPD, zumindest nicht in dem Sinn, dass der reformistische Rahmen, dass die reformistischen Methoden auch nur punktuell in Frage gestellt würden. Hinter dem Streit in der Linkspartei um die neue linke Sammlungsbewegung verbirgt sich allerdings ein Konflikt darüber, in welchem Maße sich die LINKE der SPD als Koalitionspartner (im weitesten Sinne) anbietet oder aber sich stärker als – ebenfalls reformistische – Alternative zur SPD darstellt. Allen Kräften geht es aber immer darum – falls eine Bewegung entstünde -, diese als Manövriermasse für die Durchsetzung ihrer Politik zu benutzen. Dagegen wäre ganz allgemein nichts zu sagen, wenn dabei die klassenkämpferischen und antikapitalistischen Potentiale gestärkt würden – gerade das soll aber verhindert werden. Beweise dafür gab es in den letzten Jahren zuhauf: die WASG oder diverse Streiks – immer ging es darum, eine Ausweitung der Perspektive und des Kampfes zu verhindern und den politischen und strukturellen Zugriff der reformistischen Apparate auf die Bewegung zu sichern.

Was tun?

Für AntikapitalistInnen ist es notwendig, solche Manöver genau zu analysieren und Mittel und Wege zu erkunden, wie es möglich ist, den Reformismus insgesamt zu entlarven und zu bekämpfen und eine revolutionär-sozialistische Alternative voran zu bringen. Dazu wäre es gegenwärtig z.B. sinnvoll, Foren zu etablieren, in denen über das GroKo-Projekt und die Beteiligung der SPD, aber eben v.a. auch über grundsätzliche Fragen geredet wird: Warum geht es mit der SPD seit mindestens 20 Jahren nur bergab?, Was ist Reformismus?, Warum nutzen die Gewerkschaften ihr Potential nicht? usw. usf.

Die Idee einer linken Sammlungsbewegung hätte dann einen Sinn, wenn sie damit verbunden wäre,  konkrete Ansätze von Widerstand zu koordinieren und sie politisch zum Kampf auch gegen den Reformismus in Stellung zu bringen. Sie hätte Sinn, wenn sie die Frage aufgreifen würde, was die gesellschaftlich-historische Alternative zum Kapitalismus wäre und wie dieser überwunden werden könnte? Was würde das z.B. für die Gewerkschaften und ihr Agieren bedeuten? Vor allem wäre eine Bewegung dann „neu“, wenn sie sich nicht nur als eine politische Bewegung verstünde, die politische Kämpfe führt und politische Strukturen aufbaut (auch Streiks und Demonstrationen zielen letztlich v.a. darauf ab), sondern auch „soziale“ Strukturen, genossenschaftliche und selbstverwaltete Strukturen etabliert und verbindet, wo – so weit wie möglich – ohne und gegen Staat und Kapital Leben organisiert wird.

Hier würde es spannend werden, und genau hierzu schweigen Wagenknecht und Co. Ihre neue Folge des Films vom Reformismus mit Namen „linke Sammlungsbewegung“ ist langweilig, unnütz und hat nur ein Gutes: ihm gehen zwar nie die Regisseure, aber immer mehr die Darsteller und Zuschauer aus.

Ein Gedanke zu „Bewegung ins Nichts: Zur Idee einer neuen linken Bewegung“

  1. Rund 10 Monate nach Verfassen des Artikels ist eine Korrektur vonnöten. Heute, nach dem Beginn von „Aufstehen“, ist klar, dass es dafür tatsächlich ein reales Potential gibt. Das war im Januar 2018 noch nicht absehbar. Wenn es Sahra Wagenknecht schon gesehen hat – Chapeau. Von den politischen Einschätzungen des Artikels muss allerdings nichts zurück genommen werden. Sie haben sich insgesamt bestätigt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert